Interview zur 3D-Bestandsdokumentation: „Die genaue Erfassung hilft Bauforschern”

Nachgefragt bei Professor Johannes Cramer, Professor für Bau- und Stadtbaugeschichte an der TU Berlin, und Lars Sörensen, Geschäftsführer von Scan3D, über Chancen und Grenzen der digitalen 3D-Bestandsdokumentation in der Denkmalpflege.

 

Der freie Architekt Prof. Dr.-Ing. Johannes Cramer ist emeritierter Professor für Bau- und Stadtbaugeschichte an der TU Berlin. Mit dem Buch „Architektur im Bestand“ hat er 2007 eines der gültigen Standardwerke für das Thema verfasst. Foto: Johannes Cramer
Der freie Architekt Prof. Dr.-Ing. Johannes Cramer ist emeritierter Professor für Bau- und Stadtbaugeschichte an der TU Berlin. Mit dem Buch „Architektur im Bestand“ hat er 2007 eines der gültigen Standardwerke für das Thema verfasst. Foto: Johannes Cramer

Im Umfeld des Brandes von Notre Dame wird viel von der 3D-Punktwolke des Gebäudes gesprochen, die vor einigen Jahren erfasst wurde. Welche Aussagekraft haben die 3D-Punktwolken überhaupt für die bauhistorische Dokumentation?

Cramer: Hinreichende Genauigkeit vorausgesetzt kann die Punktwolke einen Vergleich des alten Zustands mit den gegenwärtigen Veränderungen infolge des Brandes leisten und damit zur Beurteilung von Art und Ausmaß der Schäden beitragen.
Sörensen: Vollständigkeit und geometrische Qualität hängen sehr stark vom Aufnahmekonzept, den verwendeten Sensoren und der Datenverarbeitung ab. Es ist unbedingt eine Analyse der vorliegenden Daten erforderlich.

 

Wissen Denkmaleigentümer um die Potenziale der digitalen Verfahren zur detaillierten Bestandsaufnahme?
Sörensen: Obwohl 3D-Scanning ja schon vergleichsweise lange existiert, wird die Technik von den meisten Denkmaleigentümern noch eher skeptisch beurteilt. Das liegt unter anderem am fehlenden Verständnis für die technischen Grundlagen.

 

Was können Bauforscher von der digitalen 3D-Dokumentation lernen?
Cramer: Bauforscher können schneller in die Erfassung von Befunden und Informationen einsteigen. Darüber hinaus lassen sich alle erfassten semantischen Informationen des Befunds im Kontext des Bauwerks zuordnen und miteinander vernetzen.

 

Kann man von der Digitalisierung des Bauaufmaßes gleichzeitig eine Verbesserung der Dokumentation erwarten?
Cramer: In jedem Fall, wenn die digitale Erfassung die Auseinandersetzung mit dem konkreten Bauwerk nicht vollständig ersetzt.

 

Zum Thema Wirtschaftlichkeit: Die 3D-Erfassung von Gebäuden ist aufwändig und teuer. Wie wird die Wirtschaftlichkeit bewertet?
Cramer: Jede gründliche Erfassung ist aufwändig – nicht nur der 3D-Scan. Wesentlich ist, dass alle Beteiligten nur eine einzige, gut überlegte und sorgfältig hergestellte Unterlage nutzen und nicht jeder seinen eigenen – dann meist schnell hingehudelten – Plansatz, der dann auch noch von dem der weiteren Fachleute abweicht.

 

Könnte also das hochgenaue Komplettaufmaß per Scanner andere Verfahren nicht nur ergänzen, sondern auch substituieren?
Sörensen: Aufgrund der begrenzten Aufnahmeauflösung kann das terrestrische Laserscanning die Erfassung vieler Details nicht ersetzen sondern nur ergänzen.
Cramer: Substituieren nicht, aber als verlässliche Arbeitsgrundlage ergänzen und verfeinern.
Lars Sörensen ist Zimmermann, Dipl.-Ing. Architektur und Beratender Ingenieur mit dem Schwerpunkt Bauen im Bestand. Seit 2005 ist er als Gründer und Geschäftsführer für die Scan3D GmbH tätig. Foto: Scan3D
Lars Sörensen ist Zimmermann, Dipl.-Ing. Architektur und Beratender Ingenieur mit dem Schwerpunkt Bauen im Bestand. Seit 2005 ist er als Gründer und Geschäftsführer für die Scan3D GmbH tätig. Foto: Scan3D

Wie ist die Situation generell in der Denkmalpflege: Sind Baudenkmäler genügend messtechnisch erfasst?

Cramer: Nein. In der Regel erfolgen Aufmaß und Dokumentation erst als Vorbereitung geplanter Maßnahmen. Unfälle wie bei Notre Dame sind nicht vorgesehen.

 

Entwurf, Planung und Umsetzung sind klassischerweise getrennte Phasen in der Bauwirtschaft. Wie kann die digitale Vermessung die Brücken über die verschiedenen Zyklen bilden?
Cramer: Die flächige Dokumentation sämtlicher Oberflächen mit Schnitten als Digitalisat könnte grundsätzlich von allen Verfahrensbeteiligten einheitlich verwendet werden – wird es aber bisher nicht.

 

Oder anders gefragt: Greift der BIM-Gedanke auch in der Denkmalpflege?
Cramer: Bisher nicht, sollte er aber.
Sörensen: Im Falle historischer und verformter Bausubstanz bis hin zu Monumental- und Sakralbauten bieten die etablierten BIM-Plattformen bisher keine geeigneten Werkzeuge, um auf Grundlage der Punktwolke ein ausreichend verformungsgetreues Modell zu erstellen.

 

Als Zielgruppen der Bestandsaufnahmen werden Bauforschung, Historiker oder Techniker genannt: Wie profitieren die einzelnen Gruppen von den digitalen Aufmaßen?
Cramer: Die Erfassung sämtlicher Flächen hilft Bauforschern und Restauratoren. Die Beurteilung von Verformungen gibt den Tragwerksplanern und Architekten wichtige Hinweise für die Planung von Instandsetzungs- und Ergänzungsmaßnahmen.

 

Das Thema Langzeitarchivierung des digitalen Bestands dürfte Denkmalpfleger sicher interessieren. Gibt es ein (Problem-) Bewusstsein gegenüber diesem Thema?
Cramer: Einzelne Arbeitsgruppen befassen sich mit dem Problem, ohne dass es bisher zu einer nachhaltigen Lösung mit der langfristigen Verwendbarkeit der Daten gekommen wäre.
Sörensen: Die Langzeitarchivierung ist heutzutage möglich, wird aber in der Praxis kaum umgesetzt. Die erhaltenen Baudenkmäler bleiben das sicherste „Dokument“.

 
 
 

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