Hintergrund: Digitalisierung der Wasserwirtschaft

Urbanes Wassermanagement wird zunehmend problematisch. Initiativen wie die Nationale Wasserstrategie beinhalten auch die Abkehr von gängigen Paradigmen.

Man stelle sich vor, Bundeskanzler Olaf Scholz steht am Bleilochsee, dem größten Stausee Deutschlands, und fordert deutsche Unternehmen auf, Wassersparpläne aufzustellen, um der Wasserknappheit zu begegnen. In Deutschland noch unvorstellbar, in Frankreich Ende März bereits Realität. Präsident Emmanuel Macron stellte am Lac de Serre-Ponçon, dem größten Süßwasserreservoir Westeuropas, rund 150 Kilometer nördlich von Marseille, den französischen Wasserplan vor, nach dem das Land seinen Trinkwasserverbrauch bis 2030 um zehn Prozent senken will. Er propagiert sogar eine neue Form der „Abstinenz“. Hintergrund ist eine alarmierende Situation, die die Grande Nation in den letzten Jahren besonders hart getroffen hat. 80 Prozent der Grundwasserreserven lagen im Februar unter dem Normalwert. Macron warnt, dass bis 2050 30 bis 40 Prozent weniger Wasser zur Verfügung stehen werden. Der Begriff „Winterdürre“ (Sécheresse hivernale) ist nach den extrem niederschlagsarmen Monaten Oktober bis Februar, die fast den gesamten Mittelmeerraum betrafen, zum geflügelten Wort geworden. Erst der März, der letzte Monat, in dem das Grundwasser durch Regen gespeist wird, konnte dem Trend etwas entgegenwirken.

Niedrigwasser an der Sieg – eines der vielen Probleme mit dem Wassermanagement in Zeiten des Klimawandels.
Quelle: DWA

Deutschland war im Winter und im Frühling dagegen mit überdurchschnittlichem Niederschlag gesegnet, dennoch ist die Fachöffentlichkeit bereits gewarnt. Neueste wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass Deutschland in den letzten Jahren stark an Wasser verloren hat. Obwohl das Land eine im weltweiten Vergleich sehr wasserreiche Region darstellt, zeigt es relativ gesehen die höchsten Verlustwerte. Das zeigen auch Daten der Satellitenmission Grace. Die Satelliten messen Veränderungen der Schwerkraft der Erde und geben demnach Auskunft darüber, wie hoch die Gesamtmenge des gespeicherten Wassers großflächig gesehen ist. Dies umfasst Grundwasser, Gewässer oder Gletscher, man spricht auch von Terrestrial Water Storage (TWS). Die Schwerefeldsatelliten liefern als einziges System der Fernerkundung Daten, die diesen Gesamtwert erfassen können, etwa im Vergleich zu bildgebenden Verfahren, die lediglich die Oberflächen von Gewässern messen können. Besondere Verluste gab es demnach in den Trockensommern 2018 und 2019, als die Auswirkungen auch besonders sichtbar wurden. Experten beschreiben den Wassermangel jedoch als systematisches Defizit, das lange, bevor es sichtbar wird, schon wirksam ist.
Die politischen Folgen werden zwar in der Öffentlichkeit von anderen Krisen überdeckt, doch sie sind bereits wirksam. Am 19. April 2023 hat das Bundeskabinett die Nationale Wasserstrategie beschlossen, was einen Meilenstein für einen besseren Umgang mit Wasser in Deutschland darstellen soll. Darin sind einige Paradigmenwechsel beim Umgang mit Trinkwasser und Abwasser vorgesehen. Der Norden Deutschlands soll etwa per Fernleitungen an südliche, wasserreiche Regionen angeschlossen werden. Hierbei spielt zum Beispiel auch eine Rolle, dass wasserintensive neue Produktionsstätten etwa im Bereich der Elektromobilität, gefördert werden sollen. Ebenfalls vorgesehen ist, dass Risikokarten für Hochwasser und Starkregen zur Pflicht werden sollen. Die städtische Abwasserentsorgung steht ebenfalls vor grundlegenden Änderungen. Die neue Kurzformel: Mehr Versickerung und Retention als schnelle Abführung im Kanal. Rund 80 Maßnahmen sind insgesamt in der Nationale Wasserstrategie benannt.
Der Paradigmenwechsel hat konkrete Auswirkungen auf die Infrastruktur. Nicht nur Starkregen muss vor Ort zurückgehalten werden, um Schäden zu vermeiden oder zumindest zu minimieren, wozu Gründächer und begrünte Fassaden sowie multifunktionale Retentionsflächen einen Beitrag leisten sollen. Abwasser soll damit zugleich wieder vermehrt das Grundwasser speisen. Zudem mindert die Verdunstungskühlung den Hitzestress. Stadtgrün und Wasserflächen können, so aktuelle Studien, die Temperaturen um bis zu drei Grad mindern.
Ein Umdenken hat bereits Kontouren gewonnen. Fassaden- und Dachbegrünungen, neue Retentionsvolumen spielen eine große Rolle. Unverschmutztes Regenwasser gehört nach DWA-A/M 102 (BWK-A/M 3) nicht in die Kanalisation. Regenwasser wird gezielt abgeleitet, etwa zu Tiefbeeten oder Baumrigolen. So wird das Straßenbegleitgrün gewässert, Grundwasserneubildung angeregt und Überflutungsgefährdung reduziert. Man spricht von wassersensibler Straßenraumgestaltung.
Kommunen und Behörden sind die maßgeblichen Akteure, um urbane Starkregen, langanhaltende Trockenphasen und Hitzetage mit tropischen Nächten zu meistern. Eine der zentralen Herausforderungen liegt darin, dass sich verschiedene Planungsebenen überlagern. Verkehrsraum, Grünflächen- und Freiraumplanung sowie Gebäude und Infrastruktur müssen zusammenarbeiten. Singuläre, sektorale Perspektiven, an dieser Stelle sind sich Experten einig, verhindern zukunftsfähige Ansätze.

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