Das gesamte Infrastruktursystem in Deutschland und Europa unterliegt immer stärkeren Verkehrsbelastungen, die häufig zu langen Staus und Verlustzeiten für die Verkehrsteilnehmer führen. „Gerade in diesem Kontext zeigt sich, dass die regelmäßige Prüfung und Erhaltung der Infrastrukturbauwerke eine wachsende Bedeutung erhalten müssen“, sagt Dr.-Ing. Rico Steyer vom CAD-Systemhaus AKG Software. „Tunnel sowie andere Ingenieurbauwerke gehören zu den besonders sensiblen und sicherheitsrelevanten Bestandteilen unseres Verkehrssystems.“ Bauliche Mängel wie Risse oder Wassereinbrüche würden ein besonders großes Risiko darstellen, führt der Experte weiter aus.
Um die Sicherheit und Befahrbarkeit von Tunneln zu gewährleisten, sind durch den Gesetzgeber regelmäßige Kontrollen vorgeschrieben. Diese teuren und teils langwierigen Zustandsüberwachungen werden durch unterschiedliche Messsysteme vorgenommen. „Durch dieses Vorgehen entstehen vielfach Daten unterschiedlichen Formats, die häufig zueinander weder einen geometrischen noch einen fachlichen Bezug haben“, erklärt Steyer. „Der Grad der Digitalisierung ist in diesem Kontext noch immer recht gering. In Zukunft wird die Digitalisierung im Sinne eines durchgängigen Prozesses von der Bauplanung bis hin zur Unterhaltung eines Objekts beziehungsweise zum Erhaltungsmanagement eine immer bedeutendere Rolle spielen.“
Projektansatz und Workflow
Um diesen Problemstellungen zu begegnen und einen weiteren Schritt in die digitale Zukunft gehen zu können, ist AKG Software Mitglied eines internationalen Forschungsteams, das sich mit der Entwicklung eines Tunnelinspektionssystems befasst. Rico Steyer dazu: „Die Idee hinter dem Projekt, das den Namen ‚OpOrTunIty‘ (Operation Oriented Tunnel Inspection System) trägt, ist die Entwicklung eines Systems, an dessen Ende ein BIM-konformes 3D-Modell entsteht, das wiederum als Grundlage für die Erhaltung und Bewirtschaftung eines Bauwerks dient.“ Der Forschungsansatz des Konsortiums besteht also in der Entwicklung eines integrierten Prozesses zur Tunnel-Zustandsüberwachung von der Datenerfassung, der automatisierten Analyse und Aufbereitung dieser Daten bis hin zur Übernahme in ein BIM-konformes Datenmodell.
Grundlage dieses Workflows ist ein vom Fraunhofer IPM entwickeltes neuartiges Multisensor-System, das hochauflösende und georeferenzierte Aufnahmen der Tunnelgeometrie sowie der Oberflächenbeschaffenheit und Feuchtigkeit der Tunnelwand in nur einem Messgang ermöglicht. Dabei erfasst ein Hochgeschwindigkeitsscanner, der mit mehreren Lasern unterschiedlicher Wellenlängen ausgestattet ist, die Tunneloberfläche. „Damit können auch Risse und Fehlstellen mit sehr geringer Ausdehnung von weniger als 1 Millimeter erkannt und dargestellt werden“, berichtet Rico Steyer. „Zudem erkennt eine zusätzliche multispektrale Messeinheit die Wassereinträge auf der Oberfläche der Tunnelwände.“
Die so erfassten und durch die beiden Projektpartner Amberg Technologies AG und Elaborarium SL aufbereiteten Daten werden anschließend durch eine neu zu entwickelnde Schnittstelle in das AKG-Tiefbausystem VESTRA INFRAVISION importiert und in ein BIM-konformes 3D-Modell konvertiert. „Um dabei einen durchgängigen Datenfluss gewährleisten zu können, sind neue Fachobjekte zu erstellen, die mit gegebenenfalls schon vorhandenen nationalen und internationalen Fachobjektkatalogen abzugleichen sind“, führt AKG-Experte Steyer aus. Zur weiteren Bearbeitung des Tunnels müssten die Daten dann so aufbereitet werden, dass das georeferenzierte 3D-Modell und die damit verbundenen Attribute in Softwaretools für die Betriebsphase – sogenannte Erhaltungsmanagementsysteme – übergeben werden können.
Positiver Ausblick
„Das Multisensor-System zur Tunnelüberwachung wird die Inspektion von Tunnelbauwerken künftig vereinfachen“, gibt Rico Steyer einen positiven Ausblick. „Die Messdaten aus einem einzigen Sensorsystem sind digital verfügbar und können BIM-gerecht genutzt werden.“ Im Ergebnis des OpOrTunIty-Forschungsprojekts entstehe somit ein durchgängiger Prozess von der Datenerhebung durch das Multisensor-System über die Aufbereitung der Punktwolkendaten und Analyse der Tunneloberfläche zur Erkennung von Fehlstellen bis hin zur Übergabe der Daten und zugehörigen Informationen (Merkmale sowie Attribute) für die Aufbereitung eines BIM-konformen 3D-Modells.
„Alle Komponenten dieses Gesamtprozesses sind darüber hinaus so aufeinander abgestimmt, dass ein durchgängiger Workflow bis zur Übergabe der Modelldaten in die Betriebsphase eines Tunnels erreicht wird“, berichtet Steyer. Nichtsdestotrotz seien die Komponenten auch separat nutzbar, so der Experte: „Alle Bestandteile des Gesamtprozesses können auch ‚stand-alone‘ eingesetzt werden. Dies ermöglicht den Import weiterer externer Daten. Im Rahmen des Forschungsprojekts wurde damit ein Beitrag zur Anwendung der BIM-Methodik in der Betriebsphase eines Infrastrukturbauwerks geleistet.“
Das OpOrTunIty-Forschungsprojekt wird im Rahmen des Eurostars-Projekts durch die Europäische Union kofinanziert. Neben AKG Software sind das Fraunhofer IPM, die Amberg Technologies AG sowie Elaborarium SL an OpOrTunIty beteiligt. (jr)