Viele Unternehmen der Geoinformationswirtschaft suchen Mitarbeiter mit Kompetenzen im Bereich Geoinformationstechnologie (Geo-IT). Umgekehrt können Universitäten, Hochschulen und Ausbildungsstätten diese Nachfrage kaum bedienen, vor allem aufgrund der nach wie vor geringen Anzahl an Studienanfängern und -absolventen. Gleichzeitig nimmt das Interesse junger Leute an den MINT-Fächern ab. Business Geomatics sprach mit Uwe König, Geschäftsführer der con terra GmbH aus Münster und Professor Andreas Wytzisk-Arens, Dekan des Fachbereichs Geodäsie an der Hochschule Bochum, über die Herausforderungen des Fachkräftemangels.
Über mangelnde Nachfrage nach Absolventen aus Fakultäten mit Geoinformatik-Angeboten können Universitäten ja nicht gerade klagen.
Wytzisk-Arens: Wir werden in den Hochschulen geradezu bombardiert mit Anfragen aus der Wirtschaft und der Öffentlichen Verwaltung. Dem können wir bei weitem nicht Rechnung tragen. Dieser Trend zeigt sich nicht nur in Deutschland, sondern europaweit. Es gab zwar in den letzten Jahren wieder einen leichten Anstieg der Studierendenzahlen, aber dieser reicht längst nicht aus. Insbesondere bei den Master-Absolventen und -Absolventinnen wird es sehr dünn.
König: Das ist nicht nur dem Wachstum der Geoinformationswirtschaft geschuldet. Ebenso stellt die Alterspyramide eine Herausforderung dar. In der Geoinformationswirtschaft hatten wir in den 1990er Jahren eine Firmengründungswelle. Zur gleichen Zeit kam es in der Öffentlichen Verwaltung und in Unternehmen verstärkt zum Aufbau von Geoinformationsabteilungen. Die Mitarbeiter dieser Generation beginnen nun so langsam, aus dem Berufsleben auszuscheiden. Neben der erhöhten Nachfrage muss also auch dieser Brain-Drain aufgefangen werden.

Für Uwe König ist die Umsetzung von Konzepten für das Life-long-learning gerade in Unternehmen essentiell. Foto: con terra GmbH
Die IT ist bekannt für ihren schnellen technologischen Wandel, der durch die zunehmende Digitalisierung nicht gerade verlangsamt wird. Wie ändert sich die Arbeit inhaltlich?
König: Die Digitalisierung greift ja erst seit zwei bis drei Jahren richtig und nimmt seitdem extrem an Dynamik zu. Wir verstehen darunter vor allem die nahtlose, abteilungs- und firmenübergreifende Integration von Prozessen, bei denen Geodaten an den verschiedensten Stellen eine Rolle spielen, egal ob als Teilaspekt, oder aber als Kernaufgabe. Der Kontakt zu anderen Disziplinen wird immer intensiver. Themenbereiche wie Künstliche Intelligenz, Visual Analytics, Sensor Web, Big Data oder Smart Farming nehmen rasant an Bedeutung zu.
Wytzisk-Arens: Diese Aufgabenverschiebung lässt sich auch beim Vermessungsingenieur erkennen. Er hat heute die Aufgabe, komplexe Informationsprodukte zu erstellen und die dafür erforderlichen Geschäftsprozesse und Daten-Workflows zu planen und zu implementieren. Die eigentliche Datenaufnahme ist dabei nur ein Teilaspekt, obwohl die Vielfalt an Messverfahren gleichzeitig immer größer wird. König: Das ist richtig, das muss ich aber in einem ganz wichtigen Punkt ergänzen. Früher wurden Daten mit Raumbezug fast ausnahmslos von einem Vermesser generiert. Heute gibt es viel mehr Quellen für den Raumbezug. Er findet sich in Sensoren, vernetzten IoT und letztendlich sind wir alle als Person „Sensoren”. Geoinformatiker müssen diese Vielfalt orchestrieren und in ein anwendungsbezogenes, stimmiges Bild bringen.
Wird die Geo-IT immer mehr zur Mainstream-IT?
König: Wir sind an einem Punkt, wo die klassischen Geotechnologien immer mehr ihren Spezial-Status verlieren und mit klassischer IT verzahnt werden. Geoinformationssysteme gehören inzwischen in vielen Fällen zu den unternehmens- und verwaltungskritischen Bausteinen der Infrastruktur. Es gibt übergreifende GIS-Prozesse und es finden sich immer wieder neue Themen, bei denen Geo-Know-how gefragt ist.
Wo zum Beispiel?
König: Wenn man sich zum Beispiel anschaut, dass der Nachbergbau im Ruhrgebiet Oberflächenveränderungen mit Fernerkundungsdaten in Echtzeit überwachen könnte, so kann man ermessen, welche neuen Ergebnisse auf der Analyse von Massendaten beruhen. Für solche Aufgaben müssen fachübergreifende Teams intensiv zusammenarbeiten. Es ist nicht mehr ein einzelner Systemanalytiker, der solche Aufgaben bewältigen kann.
Wytzisk-Arens: Dies stellt einen Paradigmenwechsel dar. Früher waren selbst GIS und die Erdbeobachtung mehr oder weniger getrennte Welten. Heute beobachten wir nicht zuletzt durch die Copernicus-Angebote und die damit einhergehende „Demokratisierung” der Erdbeobachtung eine deutlich stärkere Verzahnung der Communities. Vor allem aber geht es nicht mehr nur darum, Prozesse zu automatisieren, sondern Datenströme aus verschiedenen Quellen in Echtzeit zu analysieren, geschlossene Zeitreihen zu erstellen und Ereignisse wie zum Beispiel Gebäudebewegungen zu detektieren.
Werden die aktuellen Technologien und Methoden auch in der akademischen Lehre ausreichend behandelt?

Andreas Wytzisk-Arens sieht die Universitäten in der Verantwortung für die Grundlagenausbildung. Foto: con terra GmbH
Wytzisk-Arens: Die Universitäten und Hochschulen sind da auf dem neuesten Stand. Aber man darf nicht vergessen, dass die Grundlagen moderner Verfahren vielmals die gleichen sind wie der traditionellen Ansätze. Es sind auch noch viele klassische Ausbildungsprofile gefragt, sowohl in der Industrie als auch bei der Öffentlichen Hand. Die zentrale Aufgabe der Hochschulen ist es heute mehr denn je, Grundlagenkompetenzen zu vermitteln. Die fachlich-spezifische Ausprägung erfolgt dann im Berufsleben.
König: Das ist richtig. Die Hochschule kann eine maßgeschneiderte Ausbildung für die Wirtschaft nur bedingt leisten. Die Unternehmen haben auch alle in der Regel sehr unterschiedliche Bedarfe. con terra fokussiert sich zum Beispiel sehr stark auf Prozess- und Integrationsthemen. Unsere Mitarbeiter haben weitreichende Kompetenzen etwa bei SAP, Dokumentenmanagement oder beim Datenmanagement. Die reine Geoinformatik reicht da nicht aus. Unternehmen, die eher im Bereich der Verarbeitung von Sensordaten spezialisiert sind, haben ganz andere Herausforderungen.
Wytzisk-Arens: Ein wichtiger Punkt, den es bei den heutigen Ausbildungszielen der Universitäten zu beachten gilt, ist auch ein gesamtgesellschaftlich wirksamer Trend: Wir beobachten zunehmend, dass das Niveau der Schulabgänger in Bezug auf die Ausbildung in den MINT-Bereichen im Durchschnitt abnimmt. Diese Lücke muss auch kompensiert werden.
König: Bei dem Thema Berufsorientierung in den Schulen werden tatsächlich schon viele Chancen verpasst, insbesondere was das Aufzeigen von praktischen Einsatzfeldern der MINT-Fächer angeht. Programmierung im Projektkontext macht Spaß und stärkt die Lösungskompetenz, dieses gilt es frühzeitig zu vermitteln und in den Lehrplänen zu verankern.
Wytzisk-Arens: Wir stellen immer noch fest, dass Schulabgänger den Begriff und die Disziplin der Geoinformatik noch gar nicht kennen. Das gilt auch für IT-affine Schüler. Selbst viele Lehrer kennen das Thema nicht. Und dies obwohl sich die Geoinformatik nicht nur bestens zur informatischen Grundbildung sondern vor allem auch zur Vermittlung digitaler Anwendungskompetenzen und kritischer Medienkompetenz eignet. Der Umgang mit Geoinformation müsste also an den Schulen noch viel stärker gefördert werden, insbesondere auch durch gezielte Angebote zur Lehrerfortbildung.
König: Das ist übrigens eine Aufgabe für die gesamte Community: Wir müssen das Thema Geo in seiner gesamten Bandbreite viel intensiver, breiter und enthusiastischer kommunizieren. Am Beispiel von Alexander Gerst sieht man, welches Potenzial darin liegt. Das Weltraumsegment und das Copernicus-Programm liegen thematisch so nah zusammen. Unsere Branche sollte diese Welle viel intensiver nutzen, sodass es auch in den Schulen stärker wahrgenommen wird.
Wytzisk-Arens: Das heißt aber auch Fluch und Segen zugleich. Einerseits haben wir den Erfolg und die Vielfalt der Geoinformatik, andererseits haben wir durch die Überwindung von Grenzen aber auch einen Verlust an Identität und Sichtbarkeit. Der Geoinformatik gelingt es bis heute noch nicht, sich griffig darzustellen und ihre Mehrwertpotenziale deutlich zu machen. Denn je mehr Anwendungsgebiete und Facetten die Geoinformatik gewinnt, desto mehr verliert sie auch an Kontur, Sichtbarkeit und folglich auch an Wahrnehmung.
Wie sehen die inhaltlichen Implikationen für die Geoinformationswirtschaft aus?
Wytzisk-Arens: Mit diesen Verschiebungen geht auch eine Neuorientierung bei den Disziplinen einher. In der Vergangenheit war die Geoinformatik – zumindest im ingenieurwissenschaftlichen Kontext – vor allem unter der Dachmarke der Geodäsie einsortiert. Heute ist die Geoinformatik wesentlich universeller aufgestellt, sodass ihr eine eigenständige Identität gebührt. Es sind vor allem aufstrebende Disziplinen und Technologien der Informatik, die zunehmend das Profil der Geoinfomatik prägen. Zu nennen sind hier Themen wie IoT, Künstliche Intelligenz oder Augmented Reality.
König: Die Digitalisierung erfordert Man-Power, also persönliche Bildung und Qualifikation. Alle Projekte sind individuell. Mit der Anwendung von Standard-Wissen kommt man hier nicht weiter. Der Projektierungs- und Engineeringaufwand ist sehr hoch. Daher benötigt man viel Wissen, was zum Beispiel IT, Domainwissen, UCD, Softwareintegration und Programmierung angeht.
Ist die Industrie nicht manchmal zu schnell, was Innovationen angeht, und überfordert ein wenig die Praxis?
Wytzisk-Arens: Klar, die Möglichkeiten der Technologie sind heute enorm. Aber ich sehe eine große Barriere vor allem in den Rahmenbedingungen, wie sie unter anderem von der Politik mitbestimmt werden. Es gibt genügend Beispiele, wie den Breitbandausbau, die Vorbereitung der 5G-Mobilfunkgeneration, das Infrastrukturmanagement oder auch die Energiewende, die ein enormes Potenzial bergen, Wirtschaft und Innovationen über die Digitalisierung anzukurbeln. Die vor allem im internationalen Vergleich nur zögerliche Umsetzung lässt diese Potenziale oft ungenutzt. Autonomes Fahren, Energie- und Mobilitätswende sind ohne konsequente Digitalisierung nicht umsetzbar.
König: Auch was das Life-long-learning angeht benötigen wir verlässliche Konzepte. Aktuell fehlen diese noch. Mitarbeiter von Unternehmen und auch der Verwaltung lernen zwar ihr ganzes Berufsleben lang, aber de facto machen sie das häufig im Selbststudium. Auch der Wissenstransfer zwischen Mitarbeitern verschiedenen Alters oder zwischen akademischen Einrichtungen und der Industrie ist noch wenig strukturiert. Wir haben daher bei con terra ein umfassendes Knowledge Management etabliert, bei der Weiterbildung, Qualifikation und auch die Soft Skills stark im Fokus stehen. Aber als Wirtschaftsbetrieb können wir diese Aufgabe nicht allumfassend alleine stemmen.
Wytzisk-Arens: Dafür fehlen derzeit noch die Strukturen. Aber es gibt große Chancen. Etwa darin, dass Mitarbeiter in allen Phasen ihres Berufslebens die Chance haben, sich an Hochschulen und Forschungsinstitutionen weiterzubilden. Heute ist es in der Regel noch so, dass zwar bei Abschlussarbeiten vielfach mit der Wirtschaft oder der öffentlichen Verwaltung kooperiert wird, im weiteren Berufsleben aber kein systematischer Kontakt mehr gepflegt wird. Dabei würden beide Seiten davon profitieren, wenn Forschung, Lehre und Praxis enger kooperieren.
König: Das entspricht auch den Wünschen junger Mitarbeiter heutzutage, die sehr gerne spannende, neuartige Projekte machen. Solche „dicken Bretter“ machen dann Spaß. Und dafür kann es nur gut sein, wenn permanent Impulse aus der akademischen Welt kommen – und umgekehrt. (sg)
Werben um den Nachwuchs
Das Unternehmen con terra GmbH aus Münster macht einiges, um sich als attraktiver Arbeitgeber zu profilieren. Dazu hat das Unternehmen beispielsweise einen Imagefilm gedreht, der kürzlich den German Design Award 2019 in der Kategorie „Audiovisual“ erhalten hat. Der Film mit dem Titel „locate the future“ trifft den Kern der Marke im Spannungsfeld von Technik und Emotionen. 90 Sekunden lang wird der Zuschauer auf eine phantastische Reise entführt, in der ein kleines Mädchen – motiviert durch den eigenen Wissensdurst – Unglaubliches schafft. Als Pendant wurde eine Reihe von Interviews veröffentlicht, in denen Mitarbeiter der con terra über ihre Aufgaben, die Zusammenarbeit mit Kunden und das Miteinander in Unternehmen berichten. Neben vielen Projekten und Strukturen, die im Zeichen von Mitarbeiterqualifikation und -zufriedenheit stehen, hat con terra auch im Zuge seines letztjährigen Umzugs auf mordernste Gestaltung der neuen Räumlichkeiten geachtet. Individuelle Arbeitsbereiche, Funktionsflächen und verschiedene Kommunikationsbereiche sollen den Austausch mit Kunden, Partnern und Kollegen ebenso fördern, wie die Kollaboration in den Projekten. (sg)