Forscher des KIT konnten mithilfe eines neuen Kartensatzes aus hoch aufgelösten Satellitendaten und Statistiken nachweisen, dass Landnutzungsänderungen etwa viermal so groß sind wie bislang angenommen.
Ob das Abholzen von Wäldern, das globale Wachstum von Städten und urbanen Gebieten, die Ausbreitung der Landwirtschaft oder die Aufforstung: Landnutzungsänderungen sind vielfältig und prägen die gesamte Menschheitsgeschichte. „Um die globalen Herausforderungen unserer Zeit zu meistern, müssen wir das Ausmaß von Landnutzungsänderungen und ihren Beitrag zu Klimawandel, Biodiversität und Nahrungsmittelproduktion besser verstehen“, betont Karina Winkler vom Institut für Meteorologie und Klimaforschung – Atmosphärische Umweltforschung (IMK-IFU) am Campus Alpin des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) in Garmisch-Partenkirchen. „Denn auch die Landnutzung spielt eine entscheidende Rolle zum Erreichen der Klimaziele unter dem Pariser Abkommen.“
Trotz des Zeitalters von Satellitendaten, „Big Data“ und der zunehmenden Menge an verfügbaren Informationen sind bestehende Studien zu Landnutzungsänderungen bislang noch lediglich bruchstückhaft vorhanden und räumlich oder zeitlich eingeschränkt. Ein Forschungsteam des IMK-IFU rund um Karina Winkler und der Universität Wageningen in den Niederlanden hat daher verschiedene freie Daten miteinander kombiniert und einen neuen, hoch aufgelösten Kartensatz namens „HILDA+“ (Historic Land Dynamics Assessment +) entwickelt. HILDA+ rekonstruiert mithilfe hoch aufgelöster Satellitendaten und Landnutzungsstatistiken globale Landnutzungsänderungen sowie ihre raumzeitlichen Muster zwischen 1960 und 2019. „Die Schwierigkeit bei unserer Arbeit liegt vor allem im Umgang mit sehr unterschiedlichen Datensätzen“, erläutert Winkler. „Wenn zum Beispiel bei Landnutzungskarten die räumliche Auflösung, die zeitliche Abdeckung oder die Einteilung von Landnutzungsklassen voneinander abweichen, braucht es eine sinnvolle Strategie zur Harmonisierung der Daten.“
Fast ein Drittel in 60 Jahren
Der HILDA+-Kartensatz zeigt: Landnutzungsänderungen betreffen in nur sechs Jahrzehnten fast ein Drittel der globalen Landfläche und sind damit etwa viermal so groß, wie bisher aus langfristigen Analysen bekannt ist. „Dabei zeigen die Landnutzungsänderungen aber nicht überall auf der Welt die gleichen Muster“, so Winkler. In ihrer Studie weisen die KIT-Wissenschaftler beispielsweise auf Unterschiede zwischen Nord und Süd hin. Demnach haben sich im globalen Norden – also beispielsweise in Europa, den USA und Russland – die Wälder ausgebreitet und die Ackerfläche reduziert, während sich im globalen Süden – unter anderem in Brasilien oder Indonesien – die Waldflächen eher verringert und die Äcker sowie Weideflächen vergrößert haben.
Zudem hat sich die Geschwindigkeit von Landnutzungsänderungen im Laufe der Zeit verändert. So erkannten die Wissenschaftler für den Zeitraum von 1960 bis etwa 2005 eine Phase des beschleunigten und von etwa 2006 bis 2019 eine Phase des verlangsamten Landnutzungswandels. „Diese Trend-Umkehr könnte im Zusammenhang mit einer zunehmenden Bedeutung des globalen Handels für die landwirtschaftliche Produktion und mit der Weltwirtschaftskrise 2007/2008 stehen“, spekuliert Winkler und führt aus: „Die neuen Landnutzungsdaten könnten eine verbesserte Datengrundlage für Klima- und Erdsystem-Modelle sein – und so einen Beitrag zu politischen Debatten um Handlungsstrategien für eine nachhaltige Landnutzung in der Zukunft leisten.“
Die Daten sowie die HILDA+-Karte sind freu verfügbar und in einer Online-Applikation einsehbar. (jr)