Eine neues Messsystem erfasst Schienenverkehrsinfrastruktur in der Fahrt. Verschiedenste Messsensoren sorgen für die Vermessung von Gleiskörper und Untergrund. Die Daten werden in der Planungssoftware ProVI genutzt.
Mit insgesamt etwa 43.500 Kilometern Länge verfügt Deutschland über das dichteste Schienennetz innerhalb der Europäischen Union. Für die deutsche Verkehrsinfrastruktur ist das Netz essentiell – sowohl für den Transport von Personen als auch für den von Gütern. Ist eine Strecke beschädigt, entstehen demnach erhebliche wirtschaftliche Schäden für Privatpersonen und Industrie. So ist es nur logisch, dass auf die Sanierung der bestehenden Schieneninfrastruktur gehörige Arbeit aufgewendet werden muss. Im Vorfeld einer Streckensanierung muss jedoch zunächst eine entsprechend hochqualitative und umfangreiche Datengrundlage geschaffen werden. Bislang geschah das durch personal-, zeit- und sicherungsintensive Streckenbegehungen. Um die Qualität und Wirtschaftlichkeit dieser Grundlagenerfassung zu steigern, hat ein Team der Unternehmen Plasser & Theurer und OBERMEYER Planen + Beraten mit Unterstützung von 3D Mapping Solutions, ENOVA Engineering und dem Vermessungsbüro Döller eine alternative Arbeitsmethodik entwickelt.
Grundidee des neuen Planungsprozesses zur Bestandserneuerung ist die Befahrung einer vorher festgelegten Strecke mit einem von Plasser & Theurer speziell dafür entwickelten Messfahrzeug. Das EM100VT ist mit unterschiedlichsten Sensoren bestückt und nimmt somit eine Vielzahl an Messdaten direkt beim Befahren der Strecke auf. Das Messsystem ist nach Herstellerangaben zudem in der Lage, die äußere Geometrie des Gleises mit einer zwanzigmal höheren Messgeschwindigkeit zu erfassen als herkömmliche Systeme. Auf dem EM100VT installierte Laserscanner nehmen dafür eine dichte, hochgenaue Punktwolke auf, diverse Infrarot- und Farbkameras sorgen für eine ausführliche Fotodokumentation der Strecke und Georadarsensoren detektieren die Schotterunterkante. Somit entsteht eine komplette, mehrdimensionale Umgebung der Strecke – ein sogenannter Digital Twin (dt.: digitaler Zwilling).
Virtuelle Begehung nach Vier-Augen-Prinzip
Zudem können aus der Punktwolke der Laserscanner an jeder Stelle Querprofile und Querschnitte der Strecke und ihrer Bauwerke generiert werden. So lässt sich etwa der Lichtraum in Tunnelabschnitten überprüfen oder die Fahrdrahthöhe bestimmen. Anschließend werden die gesammelten Bild-, Scan- und Georadar- Daten von der PlasserSmartMaintenanceCloud an die Verkehrsplanungssoftware ProVI von OBERMEYER übergeben und für eine virtuelle Begehung aufbereitet. Diese läuft nach dem Vier-Augen-Prinzip sowie einer abschließenden Qualitätskontrolle ab, um eine hohe und abgesicherte Qualität zu gewährleisten. Dabei können in einem interaktiven und automatisierten Pro- zess umfangreiche Bestandsdaten – beispielsweise Signale, Weichenantriebe oder Kabelkanäle – erfasst sowie automatisch vermessen werden.
Die Datenkonsistenz wird über ein zentrales Datenmodell sichergestellt, welches alle Informationen aus der Planung beinhaltet. Die hier hinterlegten Daten können über den gesamten Lebenszyklus des Bauwerks verwendet und zentral an einem Ort gespeichert und gepflegt werden. So soll nach Angaben von OBERMEYER durch Anwendung der BIM-Methodik ein Informationsverlust vermieden und in Bau sowie Betrieb nachhaltig ein erhöhter Wissensstand gewährleistet werden können.
Vorteile für den Anwender
Für den Anwender bietet die neuentwickelte Planungsmethode einige Vorteile: Da die Strecke nun nicht mehr begangen wird, ist die „Begehungsgeschwindigkeit“ deutlich höher als beim herkömmlichen Verfahren. Zudem werden nicht nur die Bestandsdaten des Oberbaus erfasst, sondern alle Daten innerhalb einer bestimmten Entfernung. Künftig sollen außerdem genormte und regelmäßige Bauteile – etwa Oberleitungsmasten, Schwellen oder Schienen – in einem vollautomatisierten Prozess von der Software detektiert und mit Attributen versehen werden. Dies entlastet die beteiligten Anlagenbetreiber und Planer bei der virtuellen Erfassung der Daten und lässt sie sich stärker auf die Besonderheiten der jeweiligen Anlagen konzentrieren. Auch die Zusammenarbeit der Gewerke und Fachplaner untereinander soll durch dieses Vorgehen gestärkt werden. Durch den Zugriff auf ein gemeinsames Datenmodell wird zudem die Konsistenz der Planung erhöht. Letztlich entsteht also ein ganzheitliches Datenmodell für die Bauausführung.