Bentley Systems rät Anwendern zu einem Vorgehen in kleinen Schritten bei der Realisierung von Digitalen Zwillingen für Smart Cities.
Man kann die Entwicklungen des Softwareherstellers Bentley in verschiedene Phasen aufteilen. Beginnend mit CAD startete das Unternehmen als Vorreiter in die Ära des digitalen Zeichnens. Bis in die späten Nuller Jahre diversifizierte das Unternehmen sein Programm und entwickelte Lösungen für alle Anwendungsbereiche von raumbezogenen, geometrischen Daten. Dann gestaltete das Unternehmen das Zeitalter des BIM mit, also eines Ansatzes für ein Datenmanagement, bei dem alle Informationen in einer zentralen Modellierungsumgebung vorgehalten werden. Nun läutet das Unternehmen die nächste Phase der Digitalen Zwillinge ein. Was also unterscheidet BIM von Digitalen Zwillingen?
„Im Kern geht es uns darum, dass BIM weitestgehend statisch ist, ein Digitaler Zwilling dagegen einen dynamischen Datenkreislauf aufweist“, so Dr. Richard J. Vestner. In der Modellierung werden Echtzeit- Daten integriert, die von den verschiedensten Sensorebenen stammen können. „Das können sowohl fachliche Prozessdaten sein, semantische Daten oder auch aktualisierte geometrische beziehungsweise räumliche Daten“, beschreibt der Senior Director von Bentley Systems. So werden permanente Updates zwischen realer und physikalischer Welt gewährleistet und umgekehrt, immer bessere Informationen der operativen Betriebsführung (also der realen Welt) zur Entscheidungsunterstützung bereitgestellt. Ein Digitaler Zwilling ist also ein lebendes Modell, das aufgrund der historischen Datenauswertung Prognosen für die Zukunft ermöglicht: Welche Schäden drohen bei weiterer Missachtung akuter Problemstellungen, welche Szenarien der Problemstellung bieten sich an und welche Folgen wird es haben, wenn eines dieser Szenarien verfolgt wird, sowohl auf technischer als auch auf monetärer Ebene? Die verschiedenen Methoden der Künstliche Intelligenz wie etwa Maschinelles Lernen sorgen dafür, dass Analysen und Prognosen immer schneller und belastbarer zur Verfügung stehen.
Weiteres Verschmelzen von Systemebenen
Eine konkrete Verbesserung bei diesem Ansatz ist, dass bisher getrennte Systemebenen verschmolzen werden. Diese bezeichnet Bentley als Engineering-, Operations- und IT-Systeme. Engineering umfasst die ingenieurtechnischen Grundlagendaten, also auch räumliche, statische und geotechnische Modellierungen. Unter Operations versteht das Unternehmen die Echtzeitverarbeitung der Daten aus den Sensorsystemen/Vermessung oder auch Betriebsdaten auch aus der Leittechnik. Unter IT subsummiert Bentley klassische Unternehmens-IT Aufgabenbereiche wie Wartung, Betriebsmanagement oder ERP beziehungsweise CRM.
Hinzu kommt die Verwendung neuester digitaler Applikationen. Digitale Zwillinge können etwa per 3D-Brille visualisiert werden, mit der Zustandsänderungen oder auch Analyseergebnisse in ihrer räumlichen 3D-Struktur angezeigt werden können.
„Sie erleichtern die abteilungsübergreifende und interdisziplinäre Zusammenarbeit – und das unabhängig vom Ort des jeweiligen Nutzers“, so Vestner. Im Rahmen einer Zusammenarbeit mit dem Spezialisten für Grafikhardware Nvidia hat Bentley beispielsweise Lösungen entwickelt, mit denen auch die Modellierung sehr großer Datenbestände, wie sie bei großen Punktwolken oder 3D-Meshes auftreten, performant ablaufen können, einschließlich Simulationen, die quasi in Echtzeit durchgeführt werden können. Auch Inspektionen von Brücken per HoloLens sind Beispiele.
Konkreter Nutzen für Städte
Wie also können Städte, Metropolen und Betreiber großflächiger Liegenschaften Digitale Zwillinge nutzen? „Sie bieten erstmals die Möglichkeit, dass damit umweltbedingte Herausforderungen softwarebasiert dargestellt, analysiert und auch bearbeitet werden können“, so Vestner. Beispielsweise könnten CO2-Emmsissionen analysiert, der Kreislauf von Wasser und Abwasser, auch bei Starkregenereignissen, dargestellt und prognostiziert, oder Auswirkungen der Klimaerwärmung konkret bestimmt werden. „So kann eine Stadt ihre Resilienz gegenüber Klimaauswirkungen verbessern“, so Vestner. Die Bereiche Energie, Mobilität, Versorgung, Sicherheit und öffentliche Kommunikation werden hier integriert betrachtet. Für Städte gibt es die vier wesentlichen Treiber Nachhaltigkeit, Resilienz, Wachstum und Zufriedenheit der Bürger, die über den Digitalen Zwilling alle zusammen adressiert werden.
Bentley bietet Städten mit OpenCities 365 eine Lösung an, mit der sie eine Plattform für einen Digitalen Zwilling aufbauen können. Sie baut auf der Cloud-Plattform iTwin von Bentley auf, auf der nicht nur alle hauseigenen Applikationen unterstützt werden. Wesentliche Bausteine eines Digitalen Zwillings für Infrastruktur sind auf der iTwin Plattform von Bentley als Open Source Software über Github verfügbar, so dass Entwickler hier beliebig eigene Anwendungen aufsetzen können. Des Weiteren baut der Bentley-Ansatz auf dem OpenCities Planner auf, einer Applikation, die den räumlichen Kontext von Stadtplanungsaufgaben in 3D und Cloud-basiert visualisiert.
Damit will das Unternehmen eine spezifische Anforderung an Digitale Zwillinge abdecken, die nämlich, so Vestner, andere Anforderungen als Expertenanwendungen mit sich bringen. Digitale Zwillinge müssen intuitiv und einfach zu nutzen sein, so dass sie die tägliche Arbeit von Entscheidungsträgern oder die Meinungsbildung im Rahmen öffentlicher Kommunikation unterstützen können. Aber gleichzeitig müssen sie „alle relevanten Daten kontextbezogen visualisieren und selektieren können“, so Vestner.
Das Konzept der Opencities 365 basiert auf einem tiefen Integrationskonzept von der Repräsentation des Zwillings in die jeweiligen Expertensysteme hinein. Für Nutzer äußert sich dies in der Fähigkeit, von der kleinmaßstäblichen 3D-Visualisierungsebene bis in fachliche Spezialanwendungen hinein durchgreifen zu können (drill down) – etwa vom 3D-Stadtmodell auf detaillierte BIM Modelle, 2D-Pläne oder Kostenentwicklungen für Einzelobjekte.
Die Anwendungsfälle sind fast beliebig vielfältig. Beispiele sind die Integration von Immobiliendaten in einen Digitalen Zwilling, so dass man virtuell in Gebäude navigieren und dort Mietpreise, Grundrisse, Besitzerangaben oder 3D-Innensichten aufrufen kann. Ein Beispiel liefert Bentley aus weltweiten Projekten auch für das wichtige Themengebiet der Mobilität, bei denen multimodale Verkehrsströme angezeigt und prognostiziert werden können. Nutzer können dort sehen, wie sich beispielsweise Baustellen auf die Verkehrsflüsse auswirken. Dafür integriert Bentley Mobilitätdaten aus verschiedensten Quellen in den Digitalen Zwilling.
Vorgehen Schritt für Schritt
Kommunalen Kunden empfiehlt Bentley, ihre bestehenden Datensätze Stück für Stück in die Bentley-Modellierungsumgebung einzubinden, sukzessive zu erweitern und so die Detailfülle und Genauigkeit der Daten nach und nach zu verbessern. „Der Weg zu Digitalen Zwillingen ist wie eine Reise, bei der man Schritt für Schritt vorzugehen sollte“, so Vestner. Jede neue Datenebene könne in beliebiger Reihenfolge zum Digitalen Zwilling hinzugefügt werden, um sie dann in ihrem eigenen Tempo und mit ihrer eigenen Genauigkeit fortzuführen. Dafür unterstützt das Unternehmen offene Standards bei Schnittstellen, APIs und Konnektoren, damit Kunden möglichst viele Daten aus bestehenden Systemen nutzen und mobilisieren können.