Gründachkataster zeigen das Potenzial von Dachbegrünungen in der Stadt auf und gehören heute zum State-of-the-Art. Moderne Softwaretools können solche Gründachkataster quasi per Knopfdruck aus bereits bestehenden Katasteranwendungen exportieren – etwa aus Solarpotenzialanalysen. Nichtsdestotrotz lauern nach wie vor einige Herausforderungen in der Auswertung von Gründachkatastern.

Grüne Dächer und Fassaden sind nicht nur optischer Blickfang, sondern bieten enorme Mehrwerte: sie können Wasser und CO2 binden, als Klimaanlage der Stadt dienen und gefährdeten Insektenarten auch in urbanen Gegenden einen Lebensraum bieten. Foto: Pixabay/cocoparisienne
Schon die antike Königin Semiramis wollte weder auf die Vorteile des städtischen Wohnens, noch auf die Ästhetik und den Mehrwert von Grünanlagen verzichten. Kurzerhand entschloss sie sich also für den Bau von etwas, was bisher noch nie dagewesen war: die Hängenden Gärten von Babylon, eines der sieben antiken Weltwunder. Und auch heute noch finden sich in der modernen Stadtplanung ähnliche Konflikte zwischen Nutzen und Schönheit, zwischen notwendiger Funktionalität und Luxus, zwischen Stadt und Natur.
Denn die Stadtplanung muss sich immer wieder an neue Gegebenheiten anpassen. Wächst die Bevölkerung, müssen neue Wohnkonzepte erdacht werden. Altert die Gesellschaft, muss die Stadtplanung dementsprechende Angebote, beispielsweise Reha- oder Freizeitangebote für Rentner, in den Wohnquartieren verankern. Verändert sich das Klima und damit auch die Wetterlage, muss die bauliche Infrastruktur daran angepasst werden.
Genau das will die moderne Stadtplanung in Deutschland leisten. Denn spätestens der Sommer 2021 hat mit seinen verheerenden Unwettern in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, mit etlichen Todesopfern und Schäden in Millionenhöhe, aufgezeigt, dass die Gebäudeinfrastruktur vielerorts nicht auf extreme Unwetter angepasst ist. Klar ist also, dass hier etwas geschehen muss, damit solche Schäden bestenfalls gar nicht mehr entstehen. Mittlerweile gibt es zahlreiche Konzepte, die genau hier ansetzen und die Stadt insgesamt in eine neue Dimension hieven wollen. Dabei sollen bestenfalls Nutzen und Ästhetik sowie Erholungspotenzial für die Bürger miteinander verschnitten und in Einklang gebracht werden.
Das Konzept der Schwammstadt
Ein solches städtebauliches Gesamtkonzept ist das der sogenannten Schwammstadt. Grundlage der Schwammstadt ist die These, Regenwasser als Ressource zu verstehen. Nach dem Schwammstadt-Prinzip soll das Wasser also nicht mehr abgeleitet, sondern zur Kühlung der Städte eingesetzt werden. Anstelle des Ausbaus teurer Infrastrukturen, beispielsweise einer Erweiterung der Kanaldimensionen, wird dabei die Oberfläche der Stadt durch eine geschicktere Integration dieser neuen Anforderungen genutzt. Das kann etwa durch die Umgestaltung von Straßen geschafft werden – besonders effektiv sind jedoch Dach- und Fassadenbegrünungen.
Denn begrünte Dächer, ganz nach dem Vorbild der Hängenden Gärten, wirken sich nicht nur positiv auf das Klima aus. Sie können die Temperaturen in der Stadt senken sowie eine Schwammfunktion einnehmen und damit versiegelte Räume auch zum Beispiel bei Starkregenereignissen schützen. Insbesondere Letzteres ist in den vergangenen Jahren immer mehr in den Fokus von Öffentlichkeit, Industrie und Politik gerückt – vor allem auch durch extreme Wetterereignisse und verheerende Unwetter. So rief die Fachvereinigung Bauwerksbegrünung (FBB) bereits 2016 die „Bundesweite Strategie Gebäudegrün“ ins Leben, wodurch die Begrünung von Dächern und Fassaden in deutschen Städten gefördert werden sollte.
Gründachkataster NRW: Zahlen & FaktenMit dem Gründachkataster NRW hat das Bundesland Nordrhein-Westfalen ein flächendeckendes Potenzialkataster vorgestellt, welches für fast jede Dachfläche Informationen liefert, ob die Dachfläche für die Gründachnachrüstung geeignet ist und wenn ja, welche Vorteile damit verbunden sind und welche ungefähren Kosten eine Nachrüstung nach sich ziehen würde. Wie das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (LANUV) mitteilt, hat die Potenzialberechnung dabei ergeben, dass von den 11,3 Millionen Gebäuden in Nordrhein-Westfalen mit einer gesamten Dachfläche von rund 1.380 Quadratkilometern insgesamt circa 440 Quadratkilometer Dachfläche potenziell sehr gut geeignet (0° bis 5° Dachneigung) bis noch geeignet (>10° bis 15° Dachneigung) für eine nachträgliche Dachbegrünung sind. Das entspricht etwa 32 Prozent aller Dachflächen Nordrhein-Westfalens. Eine Tabelle mit Auswertungen der Potenziale für das Landesgebiet, jeden Kreis und jede Gemeinde kann kostenfrei auf der LANUV-Webseite heruntergeladen werden. (jr)
Gründachkataster als Booster
Dennoch wächst der Gründachmarkt bisweilen nur geringfügig: nach FBB-Angaben liegt der Zuwachs hier seit Jahren auf einem Niveau von etwa acht Millionen Quadratmetern pro Jahr. Insbesondere Kommunen haben die Bedeutung der Gebäudebegrünung vielerorts noch nicht erkannt. In der Folge tauchen Dachbegrünungen in städtischen Bebauungsplänen kaum auf und die Nutzung als strategisches städtebauliches Instrument wird vernachlässigt. Zumal direkte Zuschüsse nach wie vor nicht steigen, obwohl die Erfahrungen vieler größerer Städte wie Stuttgart, München oder Karlsruhe, die Fördergelder von bis zu 20 Euro pro Quadratmeter vergeben, positive Auswirkungen auf Umwelt und Lebensqualität nachweisen.
Es gibt also durchaus Konzepte, die – ähnlich wie das historische Vorbild aus Babylon – sowohl Nutzen als auch Ästhetik und Mehrwerte für die moderne Gesellschaft bringen. Um das Potenzial der Dachbegrünung nun auch endlich nachhaltig in Politik und Öffentlichkeit zu positionieren und bekannt zu machen, haben Kommunen und Stadtplaner seit einigen Jahren die Möglichkeit, ein sogenanntes Gründachkataster zu entwickeln und aufzubauen. Analog zu dem bekannteren Solardachkataster wird dabei ein kartografischer Datensatz erstellt, bei dem alle Dachflächen, die sich für eine Begrünung eignen, vermessungsgenau dargestellt werden. Wie das aussehen kann und welche Vorteile ein solches Web-Kataster für Kommunen und Bundesländer haben kann, hat das Land Nordrhein-Westfalen mit der Entwicklung des „Gründachkataster NRW“ gezeigt.
Gründach- und Solarkataster
Grundlage eines Gründachkatasters sind hochaufgelöste Luftbildaufnahmen des Stadtgebiets, aus denen für die jeweiligen Dächer dann für die Anwendung wichtige Parameter – etwa die Dachneigung, die Dachgröße oder mögliche Verschattungen – abgeleitet werden können. Innerhalb der Katasteranwendungen können die Dächer dann adressscharf mithilfe des Auswahlfensters gesucht werden. Auf Basis dieser Potenzialanalyse können die Web-Anwendungen schließlich Aussagen beispielsweise zur potenziellen Speicherfähigkeit einer Dachbegrünung oder zum wahrscheinlichen Pflegeaufwand der Bepflanzung treffen. Aber auch weitere Analysen, beispielsweise zur Amortisationszeit der Maßnahme oder zum klimatischen Nutzen einer jeweiligen Dachbegrünung, sind möglich.
Welche Pflanzenart dann schließlich auf einem Dach angebaut werden soll, ist für die gewünschte Schwammfunktion dabei zunächst nur sekundär wichtig. Entscheidend ist vielmehr die Bodentiefe, um genügend Regenwasser aufnehmen und speichern zu können. Als optimal gilt eine Retentionsfläche von rund zehn Zentimetern plus eine Bodentiefe zwischen zehn und 15 Zentimetern.
Für Kommunen und Stadtplaner besonders interessant ist zudem die Verzahnung von Gründach- und Solardachkataster: weil beide Anwendungen auf einer ähnlichen Grundlage basieren, können sie auch zusammengefasst werden. Nutzer haben dann die Möglichkeit, das Potenzial ihrer Dachflächen sowohl für Solaranlagen als auch Begrünungsmaßnahmen zu errechnen. Dabei ist es sogar möglich, ein Gründachkataster quasi per Knopfdruck aus einem Solardachkataster heraus zu exportieren.

Das Bundesland Nordrhein-Westfalen hat mit seinem freizugänglichen Gründachkataster NRW aufgezeigt, wie eine solche Web-Anwendung funktionieren kann. Dabei wurden auch Elemente des Solardachkataster NRW genutzt. Screenshot: Gründachkataster NRW
Die drei Arten der Dachbegrünung
Bei Dachbegrünungen wird zwischen drei verschiedenen Varianten unterschieden: der extensiven, der intensiven und der einfach intensiven Dachbegrünung. Die Extensivbegrünung ist dabei die günstigste und pflegeärmste Art und kommt vorwiegend bei nicht nutzbaren Dachflächen wie z.B. Garagen oder Carports zum Einsatz. Intensive Dachbegrünung hingegen wird vorwiegend bei Dachgärten und benutzten Dächern verwendet. Hier geht es nicht nur um eine möglichst effiziente Begrünung, sondern auch um Schönheit und Pflanzenvielfalt. Dadurch benötigt eine Intensivbegrünung jedoch mehr Pflege und verursacht höhere Kosten. Die einfache Intensivbegrünung gilt als Mischform der anderen beiden Varianten. (jr)
Ein Gründachkataster hilft somit dabei, das Potenzial von Gründächern für ein bestimmtes Areal einschätzen zu können. Gleichsam finden auch Gründachkataster ihre Grenzen, etwa dann, wenn die Gesamtspeicherfähigkeit der Dächer bestimmt werden soll: da ein Gründachkataster auf Luftbildaufnahmen basiert, kann lediglich gesagt werden, welches Dach sich prinzipiell für eine Gründach-Installation eignet. Hingegen kann nicht analysiert werden, welche Pflanzen auf einem bereits bestehenden Gründach vorhanden sind und wie tief die Retentionsfläche unter der bepflanzten Fläche ist. Demnach können keine Aussagen zur Speicherfähigkeit von bereits installierten Dächern getroffen werden. Ebenso liegen statische Informationen zu den Dächern meist nicht vor, wodurch diese unabhängig vom Gründachkataster von Experten vor Maßnahmenstart geprüft werden müssen. (jr)