Für die Deutsche Bahn, größter Bauherr im Bereich Infrastruktur in Deutschland, steht die Digitalisierung im Mittelpunkt der Konzernstrategie 2020. Die Gründe, BIM einzuführen, sind betriebswirtschaftlich altbekannt.
Die Deutsche Bahn rüstet sich für die Zukunft. Der vornehmlich in staatlicher Hand befindliche Konzern hat die gesellschaftliche Aufgabe, schienengebundene Mobilität zu ermöglichen, und das zu verträglichen Kosten, höchstmöglicher Qualität und mit der maximal erforderlichen Sicherheit. Die Digitalisierung ist dafür die Schlüsselstrategie. Dabei geht es nicht nur um digitale Services für Fahrgäste, sondern vor allem um Planung, Aufbau und auch der Bewirtschaftung der Infrastruktur. Als Teil der Digitalisierungsstrategie ist die Einführung der ganzheitlichen Methode des Building Information Modeling (BIM). Sie beinhaltet u.a. die Einführung einer möglichst zentralen Datenplattform, auf die alle Beteiligten über den gesamten Lebenszyklus der Assets zugreifen können. Dort soll die Infrastruktur anforderungsgerecht und detailgetreu modelliert, geplant und dann bauteileorientiert ständig aktualisiert werden. Dies bildet die Grundlage für Kostenkalkulationen und Terminplanungen. Bis Ende 2020 sollen alle neuen Projekte des Konzerns mit der BIM-Methode durchgeführt werden. Daran sind alle Infrastrukturgesellschaften des Konzerns beteiligt, die DB Netz AG, DB Engineering & Consulting, die DB Energie und die DB Station & Service AG. Die DB Systel als Digitalpartner des Unternehmens fungiert hier als zentraler Dienstleister und Enabler für alle Tochterunternehmen.
Ursachen und Ziele
Doch warum setzt die Deutsche Bahn auf die BIM-Methode? Wo liegt die Motivation und welche Vorteile verspricht sich das Unternehmen? Infrastrukturbetreiber stehen heute unter einem enormen wirtschaftlichen Druck. Die Gewinnmargen werden immer knapper bemessen und die Assets selbst (Schienen, Autobahnen, Brücken, Stromleitungen etc.) befinden sich teilweise am Ende der Nutzungsdauer. „Eine Möglichkeit, diese Situation besser in den Griff zu bekommen, besteht darin, innovative Methoden und Technologien einzusetzen“, sagt Stephan Wrede, Portfoliomanager bei der DB Systel GmbH. Im Englischen hat sich im Umfeld des Infrastrukturmanagements der Begriff Asset Management etabliert. Er stammt ursprünglich aus der Finanzindustrie und zielt neben den technischen Aspekten vor allem auf die betriebswirtschaftliche Betrachtung über den gesamten Produktlebenszyklus der Infrastruktur – mit den dazugehörigen Themen Sicherheit, Ökologie und soziale Akzeptanz. „Damit verfolgt Asset Management genau die gleichen Ziele wie BIM“, sagt Wrede.
Auch die Deutsche Bahn steht vor einem entscheidenden Modernisierungsschub des Netzes. Weltweit werden Konzepte für den automatisierten Zugbetrieb diskutiert. Kürzlich wurde ein milliardenschweres Investitionsprogramm „Digitale Schiene Deutschland“ verabschiedet, um das gesamte Streckennetz von rund 33.000 Kilometern bis zum Jahr 2033 zu digitalisieren. Die Auslastung des bestehenden Netzes soll um 20 Prozent gesteigert werden. Dazu soll unter anderem auch das europäische Zugsicherungssystem ETCS eingeführt werden. Es beinhaltet eine automatische Überwachung der Zugfahrt. Das System, das auf einzelnen Strecken bereits implementiert wird, soll viele der bestehenden Signalanlagen überflüssig machen. Gleichzeitig sind Teile der Netzinfrastruktur in der letzten Phase ihres Lebenszyklusses angekommen und müssen umfassend saniert beziehungsweise erneuert werden.
Für diese Modernisierung benötigt die DB die softwarebasierte BIM-Methode. Schon in der frühen Planungsphase will der Konzern Bauvorhaben simulieren und optimieren. Auch die Öffentlichkeit soll viel enger und früher in den Planungsprozess mit einbezogen werden. 3D-Visualisierungen sind dafür prädestiniert. Rein fachlich werden Energiebilanzen erstellt oder Verkehrsströme simuliert, um mögliche Konflikte frühzeitig zu erkennen. Auch Genehmigungen von behördlicher Seite sollen beschleunigt werden, schließlich können die notwendigen, belastbaren und aktuellen Daten viel einfacher bereitgestellt werden.
Moderne Instandhaltungsstrategien
Schienennetz und Bahnhöfe stellen gewissermaßen das Betriebskapital der DB dar: ein sehr langlebiges Asset, dessen Alterungsverhalten immer im Blick gehalten werden will. „Gerade bei räumlich sehr weit verteilten Betriebsmitteln ist dieses eine Aufgabe, die ohne einen effizienten Einsatz von IT nicht gewährleistet werden kann“, so Wrede. Ideal wäre es, dass einzelne Betriebsmittelgruppen im Alterungsverhalten bis hin zum Austausch simuliert werden könnten. Im Industrie-Umfeld werden zunehmend neue Strategien in der Instandhaltung umgesetzt. Statt einer althergebrachten reaktiven Instandhaltung werden präventive, zustandsorientierte oder vorausschauende Instandhaltungen umgesetzt, um so teure Ausfallzeiten zu reduzieren. „BIM ist auch für diese Kernaufgabe der Zukunftsschlüssel“, so Wrede.
Die zentrale Datenhaltung á la BIM ist dafür eine Voraussetzung. In das Modell fließen alle Informationen aus benachbarten Systemen ein. „Wir integrieren zunehmend neue Konzepte wie etwa Big-Data-Lake, bei dem es darum geht, Daten aus verschiedenen Quellen in ihrer Ursprungsform zu behalten, sie aber trotzdem in übergreifende Analysen mit einbeziehen zu können“, so Wrede. Das bisherige Konzept, erst eine einheitliche Modellierungsumgebung zu schaffen und eine mühselige Datenintegration zu realisieren, soll damit überwunden werden.
Konkret werden alle möglichen Messwerte, Datenbanken und Übersichtslisten herangezogen, um zum Beispiel genauere Erkenntnisse über die Zustandsentwicklung von Infrastrukturelementen zu bekommen. „BIM schafft dafür ein strukturiertes Datenmodell, dass in den meisten Fällen auch georeferenziert ist und mit einfachen Mitteln visualisiert werden kann“, so Wrede.
Wildwuchs vermeiden
Dass BIM und Digitalisierung moderne Trendbegriffe sind, ist kein Zufall. Die zunehmende Transformation analoger, papiergebundener Verfahren und Kommunikationsprozesse ist gewissermaßen eine omnipräsente Erscheinung, deren Wildwuchs es zu bändigen gilt. BIM stellt also auch den Versuch dar, Struktur in diese Entwicklung zu bringen. Man will betriebswirtschaftliche Kontrolle, Messbarkeit und Bewertbarkeit erreichen. BIM soll Datenredundanz, Inhomogenität, Datenwidersprüche und Fortführungsfehler vermeiden. Informations- und damit Know-how-Verlust soll verhindert und der maximal mögliche Wissensstand für alle Mitarbeiter ermöglicht werden. „Es gibt quasi keine Alternative dazu, auf die zunehmende Digitalisierung zu reagieren, außer man bändigt sie mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln“, sagt Wrede.
Schon einzelne Digitalisierungsschritte können immense Vorteile bringen. Automatische Verfahren wie das kinematische Laserscanning sorgen beispielsweise dafür, dass das Schienennetz während des Betriebs ohne Risiko für die Mitarbeit vollumfänglich dokumentiert werden kann, was im Gegensatz zur herkömmlichen manuellen Dokumentation eine erhebliche Zeitersparnis bedeutet. Im Zuge von BIM werden diese Daten in ein zentrales Modell überführt und stehen für alle folgenden Arbeitsprozesse zur Verfügung – auch für weitere Ausschreibungen, Vergabeprozesse und Abrechnungen. „Erst BIM legt die Potentiale frei, die in den Daten legen“, so Wrede.
Häufig wird BIM mit digitalem Planen assoziiert. Nach dem Motto: Erst digital Bauen, dann in Realität. Auch dies ist für die Deutsche Bahn eine verkürzte Sichtweise. Eine durchgängige Digitalisierung bedeutet auch, neue Bauleistungen zu dokumentieren. Dies ist auch als sogenannte As-Build-Dokumentation bekannt, wurde aber bisher meist im Umfeld von Sanierung und Restaurierung angewendet. Die Deutsche Bahn zielt bei BIM darauf, auch Neubauten zu erfassen, anstatt wie bisher üblich, die Planungsunterlagen als Realitätsabbild heranzuziehen. „Die Realität ist immer anders als der Plan“, weiß Wrede. Dies ist eine wertvolle Arbeitsgrundlage für das Betriebsmanagement der Anlagen und ermöglicht gleichzeitig neue Anwendungen wie etwa eine Deformationsanalyse.