Interview mit Dirk Schaper, Geschäftsführer HOCHTIEF ViCon GmbH, über die derzeitige Umsetzung und Herausforderung der BIM-Methode im Tiefbau.
HOCHTIEF ViCon bietet Dienstleistungen im Bereich des Virtuellen Bauens und des Building Information Modelings (BIM). Das Tochterunternehmen der Hochtief AG, einem der weltgrößten Baukonzerne, gilt als einer der Vorreiter bei der Digitalisierung des Bauwesens. Business Geomatics sprach mit Geschäftsführer Dirk Schaper über Trends und generelle Einschätzungen des Modebegriffs BIM.
Business Geomatics: Der Stufenplan des Bundesverkehrsministers hat die Baubranche insbesondere im Bereich Tiefbau im Jahr 2015 überrascht. Wie steht es heute mit der Auseinandersetzung mit dem Thema?
Dirk Schaper: Es hat nicht alle Marktteilnehmer überrascht. Für die Experten, die sich schon vorher mit dem Thema beschäftigt haben, war es nur ein letzter Schritt in einer ganzen Reihe von Schritten. Der Stufenplan hat aber sicherlich einen Ruck durch die Bauwirtschaft ausgelöst. Dieser Ruck war aus Sicht der Experten auch der erwartete Impuls, den die Bauindustrie von der Regierung brauchte. Die Auseinandersetzung hat seitdem enorm Fahrt aufgenommen. Viele Marktbeteiligte haben sich informiert, versucht sich fortzubilden und haben erste Schritte eingeleitet, um ihr Unternehmen anzupassen.
Und im Vergleich zum Hochbau?

Beispiel für eine umfassende Modellierung bei BIM: 3D-Plandaten und -Dokumentation sind miteinander verzahnt. Fotos: Hochtief AG
Im Hochbau ist in den Jahren 2015 und 2016 eher wenig passiert, insbesondere in Deutschland. Im Januar 2017 gab es einen Erlass des Ministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB): Bei Hochbauprojekten des Bundes ab 5 Mio. Bausumme ist die Geeignetheit der BIM-Methode zu prüfen. Für mich persönlich war das keine verbindliche Vorgabe der Nutzung von BIM. Beispiele für Absichtserklärungen finden wir im Koalitionsvertrag Nordrhein-Westfalen zwischen CDU und FDP, dort steht drin, dass BIM ab 2020 in allen Hochbau Bereichen und den nachgegliederten Ämtern eingeführt werden soll. Die Vorschriften im Tiefbau sind insbesondere für die DEGES, die Deutsche Bahn und für alle Ämter im Bereich Wasser- und Schifffahrtswege bindend.
Die Öffentliche Hand ist der wichtigste Bauherr im Bereich Infrastruktur. Ist sie ausreichend auf das Thema BIM vorbereitet?
Die Öffentliche Hand muss lernen, BIM zu bestellen! Es gibt verschiedene Pflichten, die gemäß des Stufenplans erfüllt werden müssen. Zumindest der Teil der öffentlichen Hand, der im Verantwortungsbereich des BMVI ausschreibt, muss diese erfüllen. Die Mitarbeiter müssen Auftraggeberinformationsanforderungen (AIA) schreiben und in der Lage sein, die Daten, die sie erhalten, zu prüfen und in ihren Datenbestand zu überführen. Bisher gibt es Systeme wie OKSTRA und SIB Bauwerke, die beschreiben wie der Straßeninfrastrukturbestand derzeit aussieht. Diese Systeme müssen auf Tauglichkeit bzw. Zukunftsfähigkeit geprüft werden. Daraus entstehen Fragestellungen. Wie spielen die Systeme mit 3D-Modellen zusammen? Können solche Systeme mit IFC-Modellen beliefert werden? Die Öffentliche Hand beschreitet im Grunde genommen gerade eine Lernkurve in Form der ersten Pilotprojekte. Ich glaube in den Bereichen Straßenbau und öffentlicher Hochbau ist noch sehr viel Arbeit zu tun.
Wer macht ein Projekt zu einem BIM-Projekt: Der Bauherr, ein Berater oder die Initiative einzelner Gruppen?
Wichtig ist das gemeinsame Verständnis bei den Projektbeteiligten, dass die Digitalisierung für das Projekt Vorteile bringt. Ein weiterer Aspekt ist der „Top Down Approach“. Die Anwendung von BIM muss von oben vorgegeben werden. Gibt der Bauherr BIM vor, unterstützt das den Erfolg. Zudem sollten die am Projekt beteiligten Mitarbeiter mitgenommen werden. Sie müssen genau wissen, was von ihnen erwartet wird. Können sie nicht erfüllen, was von ihnen erwartet wird, muss ihnen geholfen werden, die Anforderungen zu erfüllen. Wir trainieren Mitarbeiter der Firmen einzeln „on the job“ in den vom Bauherren spezifizierten Anwendungsfällen. Das heißt, wir üben und testen solange, bis es funktioniert und eine Sicherheit in den neuen digital vereinbarten Prozessen herrscht. Dabei ist die Digitalisierung kein Selbstzweck, sondern die hausinternen Anwendungsfälle bestimmen tatsächlich die Anforderung an die Wertschöpfungskette.
Welcher Aufwand verbirgt sich hinter BIM?
Building Information Modeling heißt zunächst, dass an Stelle einer 2D-Planung eine 3D-Planung erstellt wird. Planungsbüros werden in Zukunft einfach modellieren anstatt zeichnen. Soweit das für die Planungsprüfung und für die Bauabwicklung notwendig ist, werden aus 3D-Modellen, als ein Anwendungsfall, 2D-Pläne erzeugt. Das erhöht meiner Meinung nach nicht den Aufwand, sondern wird den Gesamtaufwand der Planung mittelfristig verringern, weil man Prozesse innerhalb der Planungsbüros standardisieren und die Abstimmung zwischen den Planern verbessern kann. Am Anfang gibt es natürlich einen erhöhten Schulungs- und Einführungsaufwand. Aber dieser einmalige Initialaufwand, wie bei jeder Innovation, wird durch die bessere Abwicklung von Projekten wieder amortisiert.
Welche Rolle spielt die HOAI ?
Die HOAI bezeichnet BIM noch als besondere Leistung. Es wird in Zukunft nichts Besonderes sein, wenn Architekten oder Ingenieure modellieren, sondern es wird eine ganz normale Ingenieur- und Architekturleistung werden. Die HOAI kann insofern weiterhin genutzt werden, als Anleitung dazu, wann welche Leistung erbracht wurde. Werden bereits zu einem früheren Zeitpunkt die Planungen detaillierter betrachtet, als das in einer 2D-Planung der Fall gewesen wäre, muss das natürlich auch vom Kunden vergütet werden, weil es Inhalte einer normalerweise späteren Planungsphase sind. 3D-Modellierung bedeutet jedoch nicht notwendigerweise eine detailliertere Bearbeitung, es können auch vereinfachende, weniger aufwendige 3D-Konzeptmodelle entstehen. Ob die HOAI langfristig notwendig ist oder nicht, das würde ich den Experten im Architektur- und Abrechnungsrecht überlassen. Dies ist oft vor allem eine politische Frage.
Rein technisch gesehen: Wo muss die Softwareindustrie noch Entwicklungsarbeit leisten, um BIM nachhaltig in der Praxis zu etablieren?
Da ist noch sehr viel Arbeit zu leisten. Man darf nicht vergessen, dass die Bauwirtschaft gerade erst lernt, die Anforderungen in Bezug auf die Digitalisierung zu artikulieren. Es ist geradezu überraschend oder grotesk, dass bisher die Softwareindustrie versucht hat, der Bauwirtschaft zu erklären, wie ihre Prozesse funktionieren. Das muss sich umkehren. Das heißt, die Bauwirtschaft wird in den nächsten Jahren ihre neuen digitalen Prozesse erläutern und dann der Softwareindustrie die Vorgaben machen. Diese Anforderungen müssen über Ländergrenzen hinweg konsolidiert werden, so dass wir Standardprozesse in der Bauwirtschaft beschreiben können. Das wiederum wird es der Softwareindustrie einfacher machen, auf diese konzentrierten Anforderungen der Bauwirtschaften national und international zu reagieren.
Wo muss noch konkret Entwicklungsarbeit geleistet werden?
Meiner Meinung nach vor allem bei der Weiternutzbarkeit von 3D-Modellen im Bauprozessmanagement. Dies betrifft die Schnittstelle zwischen Planung und Bau, aber auch die Schnittstelle zwischen Bau und Betriebssoftware. Selbst der Austausch der Modelle untereinander in Planungsphasen funktioniert noch nicht reibungsfrei und auch herstellerneutrale Datenaustauschformate wie IFC funktionieren noch nicht so wie sich das jeder wünscht.
Oft werden die fehlenden Standard-Schnittstellen diskutiert. Brauchen wir neue flexible BIM-Schnittstellen, die bisherige Formate wie Okstra & Co. ablösen?

Dirk Schaper meint, dass im Zuge der Digitalisierung der Prozesse manche der etablierten 2D-Pläne nicht mehr gebraucht werden. Foto: Hochtief AG
Es wird mit Sicherheit Ergänzungen geben zu bestehenden Schnittstellenlösungen. Wir haben auch noch nicht auf bestimmte Prozesse optimierte Datenformate, wie zum Beispiel dem internetfähigen Einkauf von Baumaterialien. Aber ich glaube, dass viele heute vorhandenen Schnittstellen einfach auf die zukünftigen BIM-Anwendungsfälle hin optimiert werden müssen. Die Prozesse müssen geschärft werden, dann können auch die Formate zielgerichtet eingesetzt und verbessert werden.
Wie hängen Innovationen wie BIM und 3D-Maschienensteuerungen inhaltlich zusammen?
Das ist ziemlich einfach. Die BIM-Daten füttern die Maschinen. Die Maschinen stellen dann Produkte tatsächlich her. Das betrifft Holz, Metall, Schalungen, Fassaden, Fertigteile aus Beton. Die Daten und Prozesse der Hersteller sind ein Bestandteil der digitalen Wertschöpfungskette. Diese Daten müssen in geeigneter Form weiterverarbeitet und maschinenlesbar in die Asset Management Systeme oder Facility Management Systeme übernommen werden. Ich möchte in Zukunft wissen, woher das Bauteil in meinem Produkt oder meinem Bauprojekt kommt. Jedes einzelne Teil muss herkunftsmäßig, in der Wartung, in der Gesundheitsbedenklichkeit, in der Nachhaltigkeit beschrieben und in einer digitalen Bauakte dokumentiert werden.
Wo sehen Sie in Zukunft Verbindungen der GIS-Welt zu BIM?
2D-Darstellungen und 3D-Darstellungen sollten so genutzt werden, wie sie für das Projekt am besten sind. Ein Beispiel: Bestimmte Aspekte eines 50 km – Autobahnausbaus kann man natürlich viel besser in GIS zeigen und auswerten als in einem 3D-Modell. Wer ein 3D-Modell schon mal aufgemacht hat, weiß, dass es sehr schwer ist, eine so lange Straßenstrecke mit einem 3D-Viewer zu benutzen und zu navigieren. Wichtiger als die Darstellung sind die strukturierten Daten und die standardisierte, automatisierte oder halbautomatisierte Weiterverarbeitung von Daten für bestimmte Zwecke wie z.B. die technische Dokumentation, das Berichtswesen oder die Analyse der Daten. BIM und GIS -Systeme basieren beide auf einem strukturierten Datenstamm. Es wird also eine Interaktion zwischen Auswertungsmedien und Prozesssoftware geben, die sich BIM- und GIS-Methoden und auch – Software zu Nutze machen. Unsere sogenannten BIM-basierten Produktionssysteme haben immer ein 3D-Modell, aber auch ein Geoinformationssystem für großflächigere Projekte, wie ein Bahnprojekt, Autobahnprojekt oder Schleusenprojekt.
Welche Rolle spielen die IFC Rail/ Road-Schnittstellen für den deutschsprachigen Markt?
Meiner Meinung nach eine sehr wichtige, weil wir nur so herstellerneutral Daten austauschen können. Öffentliche Auftraggeber müssen neutral ausschreiben und innerhalb der Lieferkette softwareneutral Daten zur Verfügung stellen können, um die Planung in die nächste Leistungsphase, aber auch in den Baubetrieb zu überführen. Dazu muss allerdings die Qualität der IFC-Schnittstellen, wie vorher beschrieben, ausreichend sein, um sie im Tagesgeschäft fehlerfrei benutzen zu können. Daran wird mit Hochdruck gearbeitet.
Macht BIM bisherige 2D-Modellierungen und demnach die Arbeit mit Papierplänen überflüssig?
Papierpläne sind nur dort überflüssig, wo sie im wahrsten Sinne des Wortes nicht gebraucht werden. Können zum Beispiel Informationen direkt aus dem 3D-Modell über ein Vermessungsgerät, das vor Ort auf der Baustelle steht, auf der Baustelle miteingespielt werden, ist möglicherweise ein 2D-Plan nicht mehr erforderlich. Die Genehmigung von 3D-Modellen ist noch ein herausforderndes Feld, weil die Datenstruktur natürlich ein wenig anders ist. In einem 3D-Modell sehen wir entweder mehr oder weniger als wir von 2D-Plänen gewohnt sind. Es ist noch schwer, die Ansichten auf die Daten so zu definieren, dass eine 3D-Freigabe sinnvoll ist. In Zukunft wird die Prüfung und Freigabe eher datenbankbasiert erfolgen. Das heißt, es werden bestimmte Vorgaben gemacht und es wird datenbanktechnisch geprüft, ob diese Vorgaben vom Bauherren auch eingehalten werden. Das kann Qualität, Termine, Kosten betreffen.
Projekte mit Gigabyte-Volumen sind keine Seltenheit. Wie kann man diese Barriere für das Datenmanagement meistern?
Es werden im Stufenplan schon gemeinsame Datenumgebungen verlangt. Solche gemeinsamen Datenumgebungen, in denen übrigens einzelne Beteiligte ihren Teil des Projektes und die Arbeit an dem Projekt teilen, wird es geben. Ich glaube nicht, dass dort die Größe der Dateien der entscheidende Schwierigkeitsfaktor ist. Viel mehr ist die Zusammenarbeit an den gemeinsam erzeugten Daten und Modellen noch genauer zu beschreiben.