Bei Bauvorhaben endet der Planungshorizont meist an der Erdoberfläche. Dabei wissen Infrastrukturexperten, dass die Eigenschaften des Untergrunds, also geologische, hydrologische oder auch chemische, Sicherheit, Budget und Zeitplanung von Infrastrukturprojekten bedrohen können. Doch für den Untergrund gibt es wenig standardisierte Daten und Prozesse.
Ein Digitaler Zwillings eines Bauwerks, der die gesamte nicht sichtbare unterirdische Welt mit abdeckt, gilt derzeit noch als Vision. Der Untergrund auf der Baustelle wird selbst im Tunnelbau bestenfalls in Einzelfällen gemäß dem BIM-Gedanken integriert.
Themen wie Grundwasser, bautechnische Sicherheit oder geologisch geprägte Nachhaltigkeit kommen aber zunehmend auf die Tagesordnung. Interaktion zwischen Grundwasser und Infrastruktur sind noch weitestgehend unerforscht, werden aber zunehmend zum Risiko. Weil Bauwerke weiter in die Tiefe wachsen, wird beispielsweise auch mehr Wärme in den Untergrund abgestrahlt, was Auswirkungen auf das Grundwasser und die Wasserspeicherfähigkeit des Bodens hat. Das chemische und biologische Gleichgewicht im Baugrund kann durcheinandergebracht oder sogar gestört werden.
Änderungen im Grundwasserspiegel können auch Schadstoffe (etwa von Industriealtlasten) mobilisieren und verfrachten. Porosität und die Durchlässigkeit des Untergrundes verändern sich, was bis hin zu unkontrollierten Absenkungen führen kann, wie viele Beispiele etwa bei Eisenbahntunneln in der Nordschweiz zeigen. Bisher gibt es keine gesetzlichen Regelungen für die Erschließung von Baugrund, die geologische Gegebenheiten berücksichtigen. Wissen und Erfahrungen über die gegenseitige Beeinflussung von Bauwerken gibt es kaum. Das gilt auch für gegenseitige Beeinflussungen von Kanalsystem und Grundwasser. Sogenannte Fremdwassergebiete, also Gebiete, in denen Wasser ungewollt in die Kanalisation eindringt oder umgekehrt, zu identifizieren und zu quantifizieren, gilt nach wie vor als große Herausforderung.
INTERVIEW: Peter Rummel über den Digitalen Zwilling des Untergrunds
Herr Rummel, wo stehen wir in Zentraleuropa beim Thema Modellierung des Untergrunds?
Wir stehen noch am Anfang einer vielversprechenden, aber dringend notwendigen Entwicklung. Man benötigt mehr denn je einen Digitalen Zwilling von Infrastruktur, bei dem GIS, BIM, geologische Modelle und fachspezifische Systeme eine einheitliche Daten- und Arbeitsgrundlage liefern, in der unterschiedliche Datenformate, Sichtweisen und fachspezifische Berechnungen und Analysen miteinander vereint werden. Es wird nicht den einen allumfassenden Standard für den Untergrund geben, vielmehr sind aktuell nationale und internationale Verbände und Organisationen wie VDI, Bitkom, DIN, OGC, BuildingSMART und viele mehr mit Nachdruck dabei Standards und Formate zu erarbeiten, um den Austausch zwischen den Systemen zu gewährleisten. Nun liegt es also an der öffentlichen Hand, den rechtlichen Rahmen zu setzen.
Warum ist das notwendig?
Zunächst mal stellen Bevölkerungswachstum, Klimawandel und Urbanisierungen den städtischen Raum und die damit verbundene Infrastruktur vor Herausforderungen. 3D-Modelle helfen, die Komplexität und Interdependenzen der unterschiedlichen Aspekte zu erfassen und stellen die Grundlage für die Entwicklung nachhaltiger Konzepte dar.
Aber wie hoch ist der Nutzen und welcher Aufwand ist damit verbunden?
Die Frage nach dem Nutzen sollte immer im Vordergrund stehen. Unreflektierte Digitalisierung per se garantiert lediglich einen zusätzlichem Aufwand – aber noch lange nicht den optimalen Mehrwert. Derzeit wird primär nach der Verfügbarkeit von Daten gefragt anstatt nach ihrem maximalen Nutzen.
Daher wird dem Untergrund auch noch zu wenig Bedeutung beigemessen, denn es gibt noch nicht genüg zugängliche Daten aus dem Untergrund.
Können Sie dies konkretisieren?
Es gibt verschiedene Themenbereiche, bei denen sich ein konkreter Bedarf feststellen lässt. Zunächst ist da das Stadtgrün, vor allem Bäume. Über Art, Zustand und Geometrie des Stammes und der Krone liegen umfassende Daten vor. Das gilt aber nicht für die Wurzeln, die für die Gesundheit der Bäume entscheidend sind. Ein Digitaler Zwilling des Untergrundes könnte Gefährdungen durch Baumaßnahmen, Schadstoffeintrag, Verdichtung oder Versiegelung frühzeitig erkennen und Problemlösungen aufzeigen. Dazu gehören auch klassische Kollisionskontrollen in der Planungsphase. Auch für den Einsatz von KI im Sinne der Optimierung von Pflegemaßnahmen kann der Untergrundaspekt des Zwillings wertvolle Hinweise geben.
Weitere Themen sind die unterirdischen Leitungsnetze, für deren Integration in den Digitalen Zwilling es noch keine einheitlichen Regularien oder Gesetze gibt. Hier bedarf es dringend einer generellen Verpflichtung der Betreiber, ihre Netzwerkdaten zentral in einem einheitlichen Format zugänglich zu machen.
Das ist vor allem bedeutsam, weil Planung, Wartung und Ausbau der Netze immer wichtiger werden. Die Energiewende, Sektorkopplung, die Adaption von Wasserstoff in die Netze oder die Dekarbonisierung der Wärmeenergie erfordern betreiberübergreifend strategische Koordinationen, die maßgeblich „im Untergrund“ stattfinden.
Aber die Welt der Geologie und der Hydrologie sind ganz andere als die der Bauwerke!
Richtig, die Modelle haben zunächst einmal ganz andere Kriterien an Genauigkeit. Im Untergrund sind keine exakt definierten Geometrien zu erwarten und auch keine homogenen Materialeigenschaften. Ausgangslage für geologische Modelle, die in einen Digitalen Zwilling übernommen werden können, sind Aufschlüsse, Bohrungen, geophysikalische Messungen und geologische Rahmenbedingungen. Die Untergrundmodelle beruhen auf Interpretation und Interpolation der bestehenden Daten. Daher gilt die klare Empfehlung für den Aufbau des Digitalen Zwillings des Untergrundes, historische Daten bestmöglich zu digitalisieren und zu integrieren. Zudem muss die geforderte Genauigkeit durch verdichtete zusätzliche Messungen und Bohrungen gewährleistet werden. Sprich, die Bauphase muss zur Datenerhebung genutzt werden. Es muss also mehr geowissenschaftliches Know-how in die Bauwirtschaft integriert werden – allein, um die erfassten Daten entsprechend sinnhaft interpretieren zu können.
Ab wann sehen sie Digitale Zwillinge des Untergrunds in der Praxis?
Die guten Nachricht ist: „es passiert heute schon“ – Viele Projekte der Deutschen Bahn werden mit der BIM-Methode umgesetzt und alle Informationen, auch die des Untergrundes, sind in ein BIM-Modell integriert, das aus einem Digitalen Zwilling abgeleitet werden kann. Der Weg zu einem flächendeckenden Standard ist jedoch noch weit. Analoge Daten sind zu bereinigen und zu digitalisieren, historisch gewachsene Strukturen und Prozesse sind zu überarbeiten, um von neusten Technologien profitieren zu können. Echtzeitdaten mit 5G übertragen, zentrale Datenhaltung in der Cloud oder Einsatz von KI bei Routineaufgaben, um wertvolle Fachkräfte zu entlasten. Es ist nicht erforderlich oder realistisch alle diese Themen sofort zu implementieren, jedoch sind die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Mit einem sauber konzipierten und implementierten Digitalen Zwilling und verbindlichen Standards für die Erfassung und Bereitstellung von Daten sind wir auf einem guten Weg.