Die Gemeinde Etteln bei Paderborn zeigt, wie auch kleine Kommunen direkt vom Digitalen Zwilling profitieren können, zum Beispiel beim Hochwasserschutz.
Während viele Großstädte bereits auf die Nutzung digitaler, dreidimensionaler Abbilder setzen, steht diese Entwicklung bei kleineren Kommunen noch am Anfang. Doch auch sie können vom Einsatz eines “Digitalen Zwillings” profitieren. Ein Beispiel dafür ist die Gemeinde Borchen (ca. 13.500 Einwohner) mit dem Ortsteil Etteln vor den Toren Paderborns.
Hier hat man früh erkannt, dass ein Dorf mit einer guten digitalen Infrastruktur sowohl für die Bürger attraktiv als auch für die Verwaltung leichter zu managen ist. Die Initiative geht unter anderem auf Ortsvorsteher Ulrich Ahle zurück, der im Hauptberuf ein ausgewiesener IT-Experte ist. Auf seine Initiative hin hat sich Etteln zu einem digitalen Vorzeigedorf entwickelt, um seine Attraktivität im ländlichen Raum zu steigern. Durch ehrenamtliches Engagement konnten beispielsweise mehr als 50 Haushalte mit Breitbandanschlüssen versorgt werden. Daraus haben sich verschiedene weitere Initiativen entwickelt, zu denen auch der Ende letzten Jahres gestartete Digitale Dorf Zwilling Borchen-Etteln, kurz DiDoZ, gehört. Ein Großteil der Aktivitäten wird über das vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft geförderte Projekt finanziert. „Mit DiDoZ wird ein Digitaler Zwilling des Dorfes Etteln erstellt, in dem digitale Insellösungen gebündelt abgebildet und der Bevölkerung zur Verfügung gestellt werden. Die Erfahrungen aus dem Pilotprojekt Etteln sollen anschließend den anderen Borchener Ortsteilen zur Verfügung gestellt werden“, so Ahle, der auch CEO der FIWARE Foundation und CEO von Gaia-X ist.
Datengrundlage
Auf Basis der amtlichen und flächendeckend verfügbaren Geobasisdaten des Landes NRW wurde eine interaktive, webbasierte Kartenanwendung des Dorfes auf Basis der VC Map der Virtual City Systems (VCS) GmbH erstellt. Die dafür notwendige Infrastruktur wird von dem Berliner Hersteller zur Verfügung gestellt. Somit muss die Gemeinde selbst keine Server anschaffen und unterhalten. Zudem erfolgt der Zugriff auf das Modell bequem über einen Internetbrowser, so dass keine Software installiert werden muss. „Die Investitionskosten für den Aufbau sind mittlerweile sehr gering und die Städte und Gemeinden müssen dank cloudbasierter Dienste keine eigene technische Infrastruktur vorhalten“, so Dr. Stefan Trometer, Geschäftsführer der VCS.
Die svGeosolutions GmbH unterstützt die Kommune mit aktuellen und detaillierten Geodaten bei der kontinuierlichen Verbesserung ihres Zwillings. So wurde auf Basis von zwei Drohnenbefliegungen im Winter und im Sommer jeweils ein fotorealistisches 3D-Meshmodell erstellt, das das digitale Ortsbild deutlich aufwertet. Durch die Verknüpfung mit weiteren Objektinformationen entsteht in der Kartenanwendung sogar ein semantisches Meshmodell.
Die 3D-Stadtmodellplattform wird nun Schritt für Schritt um weitere Themen ergänzt. Basierend auf dem Orion Context Broker und der NGSI-Schnittstelle der FIWARE Foundation wird eine Sensorinfrastruktur aufgebaut, die eine schnelle und einfache Integration in die VC Map ermöglicht. Dazu gehören beispielsweise Sensordaten, die Niederschlagsmengen, Grundwasserstände oder Flusspegel abbilden und so zu einem wichtigen Bestandteil eines Hochwasserfrühwarnsystems werden.
Konkreter Praxisnutzen
Neben dem sensorgestützten Frühwarnsystem ist auch der kostenlose Hochwassergefahrendienst des Landes NRW als Web-Map-Service (WMS) an den Digitalen Zwilling angebunden. Damit können amtliche und flächendeckend verfügbare Gefahrenkarten für Flusshochwasser mit hoher, mittlerer und niedriger Wahrscheinlichkeit sowie Starkregenüberflutungsflächen für seltene und extreme Ereignisse genutzt werden. Über das Menü können die verschiedenen Gefahrenkarten aktiviert und sowohl Wassertiefen als auch Fließgeschwindigkeiten angezeigt werden.
In einem weiteren Bearbeitungsschritt können die jeweiligen Wassertiefen für alle betroffenen Gebäude ausgewertet werden. Für Etteln sind die Gefahren durch Flusshochwasser bereits bekannt und es wurden entsprechende Vorkehrungen getroffen. Für Starkregenereignisse ergeben sich jedoch andere Überflutungsflächen und Wassertiefen, wie der Dienst nun anschaulich zeigt.
Es wird deutlich, dass bei Starkregenereignissen viel Wasser aus den kleinen Seitentälern und Bächen in den Ort fließt und sich dort staut. Diese Erkenntnis hat dazu geführt, dass das Konzept für ein neues Baugebiet, das durch Starkregen gefährdet wäre, überarbeitet wurde und nun verschiedene Maßnahmen geprüft werden. Diese Maßnahmen können wiederum im Stadtmodell für Entscheidungsträger, Sicherheitskräfte und Bürger visualisiert werden, so dass komplexe Zusammenhänge leicht verständlich aufbereitet werden können und eine sachliche Grundlage für den Diskurs geschaffen wird.
„Dies ist die ideale Anwendung des Hochwasserrisikodienstes und ein schönes Beispiel für einen modernen Digitalen Zwilling. Die Verantwortung für die Inhalte liegt beim Anbieter des Dienstes und jede Änderung wird automatisch in die Anwendung übernommen. Durch die verwendete standardisierte Schnittstelle kann die Lösung leicht auf andere Kommunen dupliziert werden. Es muss nichts neu entwickelt oder implementiert werden, es fallen lediglich Kosten für die Einrichtung des Dienstes an. Damit ist dieser Ansatz auch kostengünstig und effizient“, so Stefan Trometer. „Insgesamt entsteht ein modulares System aus verschiedenen Anwendungen, die auf offenen Standards basieren und über offene Schnittstellen kommunizieren. So kann es individuell erweitert und angepasst werden.“
Weitere Themen, die der Digitale Zwilling unterstützt, sind die Nutzung von Modellausschnitten für den 3D-Druck, die Einbindung von Planungsvorhaben wie der Neugestaltung des Ortskerns und die Integration von hochauflösenden Straßen- und Gebäudescans. Neu ist auch die direkte Übergabe und Nutzung von Modellausschnitten in den Engines Unity und Unreal als Modellgrundlage für den Aufbau von VR-Anwendungen.