Was passiert, wenn es in der Nähe von Köln ein schweres Erdbeben gibt? Mit diesem Szenario befasst sich die „Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2019“, deren Bericht kürzlich dem Deutschen Bundestag vorgelegt wurde. In dem 125 Seiten starken Dokument haben Experten auf Basis umfangreicher Forschung detailliert aufgelistet, mit welchen Auswirkungen zu rechnen ist. Was in Deutschland meist nur von Fernsehbildern und Medien aus anderen Ländern bekannt ist, ist das Ergebnis einer computergestützten numerischen Modellierung eines starken Erdbebens in der Nähe der Millionenstadt Köln: Erschütterungen des Bodes, beschädigte und zerstörte Häuser, blockierte Straßen, viele Verletzte und Tote.
GFZ in zentraler Rolle
Eine zentrale Rolle bei dieser Analyse kam dem Deutschen GeoForschungsZentrum (GFZ) zu. Das GFZ hatte die Aufgabe, die durch ein solches Szenario hervorgerufenen Bodenbewegungen zu modellieren und mögliche Schäden am Gebäudebestand der Stadt zu quantifizieren. Hierzu wurden insbesondere neue geophysikalische Modelle für die Niederrheinische Bucht entwickelt, um den Einfluss der oberflächennahen Schichten des Untergrunds auf die Bodenbewegungen abzuschätzen. Die Forschenden erstellten darauf basierend ein „Gebäude-für-Gebäude“-Modell der Stadt, um die Anzahl und Anfälligkeit der Gebäude quantifizieren zu können, die von dem Erdbeben betroffen sein könnten.
Ein Erdbeben in der Niederrheinischen Bucht mit einer Stärke von 6,5, wie es für das zugrundeliegende Szenario angenommen wurde, liegt durchaus im Bereich des Möglichen. Gottfried Grünthal, GFZ-Experte für historische Erdbeben: „Statistische Analysen zeigen, dass in der Niederrheinischen Bucht etwa alle hundert bis dreihundert Jahre mit einem Beben der Stärke 5,5 zu rechnen ist. Mit einem Beben der Stärke 6,5 ist etwa alle 1000 bis 3000 Jahre zu rechnen.“
Gebäudebezogene Schadensbewertung
Marco Pilz, Wissenschaftler der GFZ-Sektion Erdbebengefährdung und dynamische Risiken, beschreibt die fiktive Ausgangssituation: „In einer Tiefe von nur wenigen Kilometern kommt es in der Niederrheinischen Bucht am Erftsprung zu einem tektonischen Bruch. Nur Sekunden später erreichen die Erdbebenwellen die Oberfläche und die nahgelegene Stadt Köln. Der Untergrund beginnt zu wackeln, Gebäude knarzen und stürzen teilweise ein, Straßen werden durch herabfallende Trümmer blockiert. Eine gute Kenntnis der lokalen Untergrundbedingungen hat uns gezeigt, dass diese unbedingt für eine genaue Modellierung der Erschütterungen berücksichtigt werden müssen.“
Aufbauend darauf lässt eine gebäudebezogene Schadensbewertung erwarten, dass in der Stadt Köln mit großen Auswirkungen zu rechnen ist. „Gebäude mit älterer Bausubstanz werden voraussichtlich besonders betroffen sein, sodass die Verteilung der Gebäudeschäden im Stadtgebiet recht heterogen sein könnte“, ergänzt Cecilia Nievas, Wissenschaftlerin des GFZ. „Von den geschätzten 170.000 Wohngebäuden in der Stadt könnten nach unseren Berechnungen mehr als 10.000 mäßige bis schwere Gebäudeschäden erwarten.“
Weitere Auswirkungen unklar
Die weiteren Auswirkungen beispielsweise auf Versorgungseinrichtungen sind schwieriger zu beurteilen und benötigen detaillierte Untersuchungen: Wie viele Krankenhäuser sind betroffen, welche Kapazitäten für die Behandlung der Verletzten verbleiben, und wie gut dringt die Notfallversorgung in die betroffenen Regionen vor? GFZ-Forscher Pilz: „Obwohl wir vom GFZ einen großen Teil zu dieser Risikoanalyse beigetragen hatten, war das Bemerkenswerte an der Zusammenarbeit die Einbeziehung vieler Experten sowie verschiedener Bundesbehörden, Landesbehörden, der Bezirksregierung, der betroffenen Kreise, der Städte und, wenn man so will, der ‚Betroffenen‘ wie Feuerwehr, THW, Eisenbahnen und Energieversorgern. Alle haben zusammengearbeitet, von ganz oben bis hinunter auf die lokale Ebene.“ (jr)