„Die Methode des Building Information Modeling (BIM) ist ein wichtiger Bestandteil der Digitalisierung der Wasserwirtschaft und wird diese zukünftig nachhaltig prägen“ – dieser Satz aus der Feder der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V. (DWA) zeigt, dass auch die Siedlungswasserwirtschaft auf den derzeit wohl wichtigsten Trend der Digitalisierung im Bereich des Infrastrukturmanagements ausgerichtet ist. Doch Fachkundige werden sich erinnern können: Schon bei der Etablierung von CAD-Systemen und später auch im Bereich Geoinformationssysteme war die Entwässerung jener Bereich, der den Modernisierungsschritt am langsamsten begann. Wird es dieses Mal genauso sein?
Die BIM-Methodik wird bereits seit langem von der Politik gepusht. Grundsätzlich hat BIM seine Wurzeln im Hochbaubereich. Für die Wasserwirtschaft sind dort folglich mit Ausnahme von Ingenieursbauwerken nur wenig Blaupausen für Prozesse und Datenmodelle zu finden. Dass das Thema eher im Bereich Leitungsinfrastruktur in gemäßigtem Tempo adaptiert wird, hat vielerlei Gründe. Zunächst das Alter: Kanalbauten gehören in Deutschland zu den mit Abstand ältesten Infrastrukturbauten – – etwa 7 Prozent aller Kanäle und Haltungen in Deutschland sind nach Angaben des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit älter als 100 Jahre. Da die BIM-Methode jedoch den gesamten Lebenszyklus von Infrastrukturobjekten umfasst, hat der Bereich Abwasser eine Sonderstellung. Weil die Betriebsphase im Vergleich die weitaus teuerste Phase ist, sei zudem die „Diskussion derzeit sehr stark auf die Themen Vertragsgestaltung und Planung fokussiert“, so die DWA-Publikation.
BIM noch nicht in Wasserwirtschaft angekommen
In der deutschen Wasserwirtschaft ist die BIM-Methodik also nur geringfügig angekommen. Manche Experten, wie etwa Markus Vogel der VOGEL Ingenieure GmbH aus Kappelrodeck, vermuten, dass „sich BIM bei der breiten Masse der Netzbetreiber bei öffentlicher Kanalinfrastruktur auf absehbare Zeit nicht durchsetzen lassen wird”. Grund hierfür seien die strukturellen Herausforderungen im personellen Bereich bei den meisten der Kommunen. Das gilt vor allem für kleinere Kommunen und Netzbetreiber. Ohne maßgebliches Wissen des Bauherrn lasse sich BIM nicht umsetzen. Denn die Qualifikation der Mitarbeiter, insbesondere jene bei den Infrastrukturbetreibern, ist entscheidend für den Projekterfolg. Der BIM-Prozess aus Sicht des Bauherrn wirkt sich vor allem auf Planung und Vertragsgestaltung aus. Bei großen Kommunen und Planungsbüros ist die Situation anders. Derzeit wird viel in Weiterbildung investiert, um für die Zukunft gerüstet zu sein.
Markus Schröder von der TUTTAHS & MEYER Ingenieurgesellschaft für Wasser-, Abwasser- und Abfallwirtschaft sieht die notwendige Entwicklung hingegen anders: „Die Akteure der Wasserwirtschaft erkennen zunehmend, dass die BIM-Methodik und der daraus resultierende digitale Zwilling ein Kernelement der Digitalisierung und der sogenannten Wasserwirtschaft 4.0 ist.“ In der Folge müssen, so Schröder, massive Investitionen erfolgen bzw. Ressourcen bereitgestellt werden, „andernfalls wird Deutschland auch hier wie in anderen Bereichen der Digitalisierung den Anschluss verlieren.“
Experten gehen davon aus, dass sich die Anforderungen an Ausbildung, Studiengänge und Qualifikationen in den nächsten Jahren stark verändern werden. Stand in der Vergangenheit für viele Aufgaben die Notwendigkeit einer handwerklichen Ausbildung im Mittelpunkt, sind bereits heute und in der Zukunft zunehmend auch Kenntnisse in der Anwendung von IT/IoTSystemen gefragt. Vor diesem Hintergrund gilt bei Fachleuten als unbestritten, dass mit der Wasserwirtschaft 4.0 respektive BIM ein gut strukturierter ChangeManagementProzess für alle Mitarbeitenden erforderlich ist. Da Wasserversorgung und Abwasserentsorgung eng zusammenhängen, wird auch hier ein besser abgestimmtes Verfahren gefordert – vor allem wird moniert, dass Datenströme noch zu wenig abgestimmt werden.
Der Digitaler Zwilling
Darüber hinaus empfehlen die Experten, dass BIM-basierte Prozesse in kleinen Schritten eingeführt werden sollten, um die Gefahr von Fehlinvestitionen zu reduzieren. Die 3DModellierung ist der erste Schritt weg von der klassischen, immer noch sehr weit verbreiteten, 2DZeichnungserstellung im Sinne eines „digitalen Zeichenblattes“. Damit steigen jedoch gleichzeitig die Anforderungen an die Bestandsvermessung, denn mit der Durchgängigkeit und der Verlässlichkeit der Prozesse entsteht die Anforderung, dass die virtuelle Abbildung eines Assets eine funktional exakte Kopie der Realität darstellt. Doch ein Digitaler Zwilling ist weit mehr als ein geometrisches 3D-Modell. Er steht auch bei der Siedlungsentwässerung im Zentrum von BIM, umfasst aber ein komplettes Informationsmanagement. Alle Informationen werden über ein semantisches Modell verfügbar gemacht, ohne eine redundante Datenhaltung aufzubauen. Die jeweiligen Primärsysteme behalten ihre Aufgaben für Datenpflege und Aktualisierung, sind aber eng miteinander verknüpft (Stichwort: Connected Data Environment; CDM), sodass für den Anwender eine umfassende Datenverfügbarkeit gewährleistet ist – auch bei dezentraler IT- und Softwareinfrastruktur.
In der Wasserwirtschaft liefert der Digitale Zwilling dann den Zugang zu allen relevanten Informationen zur Steuerung der Geschäftsprozesse, der technischen Dokumentation und der Betriebsdaten in aktueller Form. Man bezeichnet dieses Konzept auch als „Single Source of Truth“, dass über den gesamten Lebenszyklus der Anlage fortgeschrieben werden muss – einschließlich des Rückbaus von Anlagen. Es ist die Grundlage für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz, etwa in Form von Assetbewertungen oder für Augmented Reality-Anwendungen, beispielsweise im Rahmen der Instandsetzung.
Die Sicht des Planers
BIM-Tage
Die Veranstaltung des DWA e.V. soll den Stand der Aktivitäten bei den Verbänden und Regelwerksgebern vermitteln und eine Orientierung der Stakeholder für ihre notwendigen unternehmerischen Entscheidungen ermöglichen. Geleitet wird der Event von Prof. Markus Schröder, Obmann FA WI-6 „BIM in der Wasserwirtschaft“.
Unter der Mitwirkung von Michael Hippe, Geschäftsführer von Fischer Teamplan, einem der großen Ingenieurbüros in Deutschland im Bereich Leitungsbau und Leiter des Fachausschusses BIM im Verband der zertifizierten Sanierungsberater (VSB), wurden zwar schon Handlungsempfehlungen und Muster für einen BIM-Abwicklungsplanung entwickelt. Hippe sieht aber vor allem bei der Entwicklung von Daten- und Schnittstellenstandards noch Nachholbedarf. Die Vorgaben der internationalen Industry Foundation Classes (IFC-Norm) reiche für die Belange der Entwässerung bei weitem nicht aus. „Sie ist nur äußerst rudimentär. Was allgemeine Bauwerke betrifft, sind sie zwar anwendbar, spezielle Bauteile und Einbauten, und das ist im Bereich Kanal der überwiegende Teil, werden aber überhaupt nicht behandelt“, so Hippe. Die Bereiche Straße oder Schiene seien bei BIM im Allgemeinen weiter.
Die Ursache dafür liegt in der Komplexität des Zusammenhangs aller Versorgungsmedien, der geografischen Ausdehnung der Infrastruktur sowie der geringen Standardisierung der Bauwerke, die mehr als 100 Jahre alt sein können. „Im Leitungs- und Kanalbau sind Planer auf das gesamte Umfeld angewiesen, etwa für Kollisionsprüfung“, so Hippe. Die Informationen zu allen betroffenen Leitungsmedien liegen aber gar nicht einheitlich vor. Auch nicht beim geologischen Aufbau des Untergrunds, der beim Kanalmanagement wichtig ist. „Erst wenn alle diese Daten vorliegen, zahlt sich der BIM-Prozess auch in betriebswirtschaftlicher Sicht aus“, so Hippe.
Umfassende Kanalinformationssysteme als Standard
Dabei gibt es auch Facetten, bei denen die Entwässerung vorne ist. Etwa bei der 3D-Abbildung des Kanalsystems. „Bei anderen Medien ist man schon froh, wenn überhaupt 2,5D-Informationen angegeben sind, die Höhenlage also mit einem Kennwert versehen ist“, so Hippe. Gerade im dicht besiedelten und städtisch geprägten NRW beispielsweise gehören umfassende Kanalinformationssysteme zum Standard und „dementsprechend gut ist auch die Datenlage“, so Hippe. Ländliche Regionen kommen in der Regel nicht an diese Datenqualität heran.
Hinzu kommt: Viele Betreiber sehen das Problem der Kritischen Infrastrukturen und sind sehr zurückhaltend gegenüber der Datenabgabe, was für einen BIM-Prozess natürlich kontraproduktiv ist. Das ist insbesondere für kleinere Projekte wie etwa Teilsanierungen nachteilig. „Wir brauchen vor allem maßnahmenbezogene Daten, etwa von einem zu sanierenden Teilabschnitt, da dürften bei der Datenabgabe die sicherheitsrelevanten Risiken gering sein“, so Hippe. Wobei noch nicht einmal die Planer wie etwa Fischer Teamplan profitieren, für die ist der Aufwand eher höher. „Die Vorteile liegen beim Auftraggeber, weil sie das BIM-Modell nahtlos in den Betrieb übernehmen können.
Objektkataloge fehlen noch
Zentraler Punkt ist auch das Fehlen elaborierter BIMObjektkataloge, die für die Wasserwirtschaft typische Infrastrukturelemente abdecken, also etwa Armaturen oder Pumpen. Mit frei verfügbaren Bauteilbibliotheken kann auch die „Hemmschwelle“ der Betreiber und Planer beim Einsatz von BIM reduziert werden, da sich die erforderlichen Vorarbeiten, zumindest für die geometrischen Modelle, deutlich reduzieren.
Zwar ist in der DWA ein Fachausschuss entstanden, der sich mit unter anderem gemeinsam mit dem DVGW mit den Herausforderungen bei der Erstellung von Objektkatalogen für die Entwässerung befasst. Doch bei den am Markt angebotenen BIM-Softwaretools tut sich noch wenig. „Es gibt zwar viele Programmierer, die Objektkataloge programmieren können, sie scheuen es aber, weil es keine verbindlichen Anhaltspunkte gibt und so die Gefahr droht, dass das technologische Investment verloren geht “, so Hippe. Noch mehr ins Detail in diesem Zusammenhang geht Markus Schröder: „Es werden überall in der Branche Objekte generiert, jedoch ohne, dass dies systematisch erfolgt. Hier liegt das eigentliche Problem.“
Doch es gibt auch einige Sonderfälle einer dynamischen Entwicklung, etwa bei der Kanalsanierung (siehe Beitrag Seite 2 und 3), also ein Bereich, in dem schon immer sehr kleinteilig gedacht und geplant werden musste. Die Arbeit mit Kanalinformationssystemen gehört in diesem Bereich zum Standard. „Der Nutzen stellt sich auch schnell ein“, beschreibt Hippe, allerdings muss man sich dabei pragmatischer Lösungen bedienen, besonders was die Standards bei der Datenmodellierung angeht. So werden häufig Zwischenlösungen genutzt, die an Isybau oder die bestehenden DWA-Normen andocken. So könne man BIM schon improvisiert praktizieren und lernen. (sg)