Eine hängende Stuckdecke in der Kirche St. Oswald in Regensburg überwacht das Ingenieurbüro Janka mit digitaler Sensorik von Senceive.

Die Kirche St. Oswald in Regensburg stammt aus dem 13. Jahrhundert und wird derzeit umfasssend renoviert, wobei wertvolle barocke Ausbauten geschützt werden müssen. Foto: Dr. Bernd Gross / wikimedia.org (CC BY-SA 3.0 DE <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en>, via Wikimedia Commons)
Die Überwachung von Deformationen und Verformungen an Gebäuden und komplexen Infrastrukturbauten ist ein klassisches Gebiet der Vermessungstechnik. Wie dieses Aufgabengebiet in ein neues technisches Zeitalter geführt werden kann, zeigt das Beispiel der evangelisch-lutherischen Kirche in der westlichen Altstadt von Regensburg. Dort nämlich droht aufgrund einer umfangreichen Dachstuhlrenovierung die Beschädigung der historischen und kirchengeschichtlichen Stuckdecke. Um das sensible Bauwerk während der Renovierung lückenlos zu überwachen, nutzt das zuständige Ingenieurbüro JANKA eine noch sehr junge Technologie des britischen Unternehmens Senceive Ltd., die bisher vornehmlich bei gänzlich weltlichen Infrastrukturprojekten wie etwa im Gleisbau zum Einsatz kommt (siehe BUSINESS GEOMATICS Nr. 3/2022). Die Technologie nennt sich Wireless Condition Monitoring (WCM) und basiert im Wesentlichen auf hochsensiblen, kleinen, batteriebetriebenen Sensoren, die über Funk miteinander vernetzt sind und so kleinste Bewegungen erkennen können.
Sensible Stuckdecke
Die Herausforderung der Kirche aus dem 12. Jahrhundert, direkt am sandigen Ufer der Donau gelegen, ist typisch für Bauwerke. Im Zuge äußerer – vor allem geologischer – Einflüsse sowie altersbedingter Bewegungen im Dachstuhl kommt es zu Spannungen im Gebäude, die zu Verformungen und Rissen führen und statische Probleme hervorrufen können. Die sind in St. Oswald gravierend, denn der Sakralbau gilt als besonders schützenswert. Die Stiftskirche geht auf ein ehemaliges Karmelitenkloster zurück und hat seitdem eine bewegte Geschichte hinter sich. Sie wechselte zwar früh im 16. Jahrhundert zum protestantischen Glauben, dennoch schmückt die Decke und die Innenwände ein bedeutsamer barocker Bilderzyklus aus den Jahren 1708/1709, der auch konfessionsübergreifend von außerordentlichem kulturellem Wert ist. Zudem befindet sich eine historische Orgel in dem denkmalgeschützten Gotteshaus. Die Überwachung und Bewahrung des kulturellen Erbes hat daher höchste Priorität für die Kirchengemeinde Regensburg.

An der Kirchendecke montierte Sensoren. Alle 30 Minuten wird eine Information zu etwaigen Bewegungen gesendet. Die Batterien der Sensoren erlauben bis zu fünf Jahre wartungsfreien Betrieb. Foto: JANKA INGENIEURBÜRO für VERMESSUNG und GEOINFORMATION
Daher wurde das JANKA Ingenieurbüro für Vermessung und Geoinformation aus dem nahegelegenen Schwandorf bereits im Jahr 2013 damit beauftragt, den Dachstuhl und die Stuckdecke zu vermessen, um so eine ausreichende Bestandsdokumentation für Planungen und Restaurierungen zu erhalten. Im Jahr 2017 setzte das Ingenieurbüro, das auf verformungsgerechte Gebäudeaufmaße – vor allem auf sakrale – spezialisiert ist, auf 3D-Laserscanning, mit dem die komplette Oberfläche der Stuckdecke erfasst werden konnte. „Das war die Grundlage für eine detaillierte Deformationsanalyse, bei der man beispielsweise erkennen konnte, dass die maximale Durchhängung 31 Zentimeter betrug“, beschreibt Projektleiter Philipp Janka.
Soweit also eine Bestandsanalyse des Ist-Zustandes, aber im Zuge der umfangreichen Sanierung des Dachstuhls kam die Anforderung auf, das Bauwerk in Echtzeit auf Deformationen dauerhaft zu überwachen. Da bei diesen umfangreichen Arbeiten praktisch alle tragenden Zerrbalken des Dachstuhls ausgetauscht werden mussten, war die darunter hängende Stuckdecke direkt betroffen. Dies stellte sich als schwierige Aufgabe dar, denn im Zuge der Abstützung der Decke war die Sicht sehr eingeschränkt, so dass weder tachymetrische noch Laserscan-basierte Verfahren zum Einsatz kommen konnten – ganz abgesehen davon, dass diese Verfahren sehr teuer und ungleich zeitintensiver sind.
Dritte Generation Vermessung
Also prüfte JANKA das Angebot neuester Technologien zur Überwachung und stieß auf Senceive. Deren innovatives System basiert auf digitalen Sensoren, die über Funk verbunden sind. Kleine, batteriegestützte Messeinheiten – zum Einsatz kamen Varianten für Neigungs- und Distanzmessung – wurden dazu an der Decke montiert. Die Sensoren liefern alle 30 Minuten (ebenfalls frei konfigurierbar) ihre Daten an ein als Datenlogger fungierendes Mobilfunk-Gateway, welches diese an ein zentrales, webbasiertes Programm weitergibt. Über ein Portal haben Nutzer per Internetanbindung Zugriff auf sämtliche Daten und komplexe Analysen. Ein elaboriertes Alarmierungssystem sorgt dafür, dass vorab bestimmte Personen informiert werden, wenn die Verformung festgelegte Grenzwerte überschreitet.
„Spannend an dieser Lösung ist, dass viele Bereiche ineinandergreifen und aufeinander aufbauen“, sagt Janka. Für das 1988 gegründete und aktuell 10 Mitarbeiter zählende Ingenieurbüro ist es der erste Einsatz der Monitoring-Technologie. Sie ergänzt die etablierten Verfahren der Vermessung perfekt und eröffnet so auch ganz neue Ansätze in der Bauwerksüberwachung, so der Vermessungsingenieur. Sie ermögliche wichtige Kenntnisse für die Bauforschung und die Bauüberwachung, gerade weil die Intervalle der Messungen individuell auf das jeweilige Projekt angepasst werden können. „Wir haben zum Beispiel viele sensorisch erkannte Bewegungen zeitlich genau auf bestimmte Bautätigkeiten im Dachstuhl zurückführen können“, so Janka. Dies sei ein Beispiel für die Erkenntnisgewinne im Bereich der baubegleitenden Überwachung, die sich daran festmachen. Ebenso seien Zusammenhänge mit Deformationen an den Außenwänden erkennbar, die per Laserscanning bekannt geworden waren.
Vorteile des WCM ausgeschöpft
Zu nennende Vorteile seien die freie Wahl der Messpunkte durch die Platzierung der per Funk angebundenen Sensoren, die Wartungsfreiheit der Gesamtlösung sowie die lange Laufzeit. Letztere ist abhängig von den Intervallen der Messwerterfassung. Bei den in Regensburg gewählten Nano+-Sensoren und 30 Minuten Abtastrate beträgt sie bis zu 5 Jahre, geht also weit über die eigentliche Bauphase hinaus.

Die Durchbiegung der Decke anhand einer farblichen Kodierung. Eine Erfassung per 3D-Laserscanning hatte ergeben, dass die Decke bis zu 30 Zentimeter durchgebogen ist. Foto: JANKA INGENIEURBÜRO für VERMESSUNG und GEOINFORMATION
Auch das Portal biete diverse Möglichkeiten der Analyse, etwa auf Ebene eines einzelnen Sensors oder das Gesamtverhalten betreffend, etwa in Form von Zeitreihen. Die Sensoren liefern im Falle der Neigungssensoren Genauigkeiten im Bereich von 1/100 Millimeter pro Meter bzw. im Falle der Distanzsensoren 1/10 Millimeter. „Bewegungen in diesen Messbereichen sind selbst für historische Bauwerke in der Regel zu vernachlässigen, da derartig geringe Werte schon bei den täglich entstehenden Temperaturänderungen zwischen Tag und Nacht zu beobachten sind. Dennoch kann man hieraus Tendenzen erkennen, die bereits auf spätere und größer werdende Verformungen hindeuten könnten“, so Janka. Ebenso liefern die Sensoren fortwährend die Temperaturwerte.
Beim Alarmmanagement wurden drei verschiedene Grenzwerte definiert, zu denen jeweils unterschiedliche Adressaten für die Benachrichtigungen festgelegt wurden. In der niedrigsten Stufe „nur“ die Fachleute aus dem JANKA-Team. In der nächsten Stufe werden der Statiker und der am Bau verantwortliche Bauleiter und Polier informiert. Bei größeren Bewegungen schlussendlich auch der Bauherr. „Wir können sagen, dass alle Beteiligten außerordentlich zufrieden mit der Lösung sind, da alle auch sehr intuitiv ihren eigenen Vorteil erkannt haben, vom Bauherrn bis zum Baustatiker“, so Janka. Ebenso unterstützte es langfristige Fragen der Bauforschung und Baukontrolle, da im Fall von Schäden auch tiefgehende Analysen etwa zur Belastung historischer Baumaterialien durchgeführt werden könnten, da Sensorik und Bautagebuch jederzeit abgeglichen werden können. Das System funktioniere bis jetzt völlig unterbrechungsfrei und zuverlässig.
Mehr als Gleisüberwachung
Aus Sicht von Senceive ist die Anwendung aus mehrfacher Hinsicht interessant. „In der Gleisanlagen-Überwachung ist unsere Technologie bereits weltweit etabliert, weil hier die Vorteile eines WCM unmittelbar auf der Hand lagen“, so Markus Rennen, Business Development Manager für die DACH-Region bei Senceive. Das Beispiel Regensburg zeige aber, wie weit die Anwendungspotenziale reichen. In der Domstadt kommt die FlatMesh-Technologie des Unternehmens zum Einsatz, die für Sensornetze im Abstandsbereich von bis zu 300 Metern optimiert ist. Alternativ bietet Senceive das GeoWAN (LoraWAN-basiert) System, welches für großflächige Anwendungen mit mehreren Kilometern Ausdehnung konzipiert ist. Da Senceive verschiedenste Sensoren (mit geometrischen und/oder physikalischen Daten) im Angebot hat, sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt. „Man könnte in St. Oswald zusätzlich auch Risssensoren einsetzen, dies war aber baustatisch bisher nicht notwendig“, sagt Philipp Janka. Diese könnten direkt und ohne Unterbrechung der Konfiguration in die Auswertung mit aufgenommen werden. Zumindest hat er nun ein neuartiges Vermessungssystem im Angebot, das nicht nur in heiligen Hallen religiöser Bauwerke sinnvoll eingesetzt werden kann. „Sicher wird das WCM das Arsenal an Vermessungsmethoden nochmals nachhaltig erweitern“, so der Geodät. (sg)