Die Digitalisierung ist nicht nur ein branchenweites Schlagwort, mit immer weiter voranschreitenden Anwendungen verändert sie zahlreiche Städte in Deutschland. Beispielsweise messen digitale Sensoren den Wasserverbrauch, den Verkehrsfluss oder den Füllstand von Müllcontainern. Dabei werden stetige und zuverlässige Datenströme erzeugt, die unter anderem in das Infrastrukturmanagement einfließen. In etlichen Projekten in ganz Deutschland wurden die Daten zu einem geobasierten semantischen 3D-Stadtmodell – gewissermaßen also einem digitalen Zwilling – zusammengeführt, um das volle Potenzial der Sensoren ausschöpfen zu können. Aufbauend auf diesem digitalen Zwilling wurden mit Unterstützung des Berliner Unternehmens Virtual City Systems integrierte Quartierslösungen konzipiert, die beispielsweise ein nachhaltigeres Wassermanagement ermöglichen.
Problematisch in diesem Zusammenhang sind die oftmals voneinander unabhängigen Verwaltungsprozesse und deren Daten. Das bedeutet zum Beispiel, dass Versorgungsdaten in der Regel nicht mit Gesundheitsdienstleistern und öffentliche Gesundheitsdaten nicht mit Versorgungsunternehmen geteilt werden. Da es oft an einer zentralen Plattform für den Datenaustausch oder standardisierten Datenformaten mangelt, ist die Analyse auf einzelne Perspektiven beschränkt. „Auf diese Weise werden nicht nur Möglichkeiten für eine sektorübergreifende Zusammenarbeit und Problemlösung verpasst, es wird auch wertvolles Potenzial der Digitalisierung verschenkt“, betont Stefan Trometer, Geschäftsführer von Virtual City Systems.
Lösung für offene Dateninfrastruktur
Mit dem Modellprojekt Smart District Data Infrastructure (SDDI), welches vom Zentrum für Digitalisierung Bayern (ZD.B) Anfang 2020 initiiert wurde und sich an kleine bis mittlere Städte und Regionen innerhalb des Freistaates Bayern richtet, wird eine Lösung für eine offene Dateninfrastruktur geschaffen und erprobt. Übergeordnetes Ziel von SDDI ist der Aufbau offener Dateninfrastrukturen, die anwendungsspezifische Verknüpfungen aller vorhandenen Datenquellen und Akteure durch einen zentralen Datenkatalogdienst ermöglichen. „Sobald die Daten miteinander verknüpft sind, kann alles auf einer gemeinsamen 3D-Stadtmodellplattform zusammengeführt und visualisiert werden“, berichtet Trometer.
„Als wichtiger Vernetzungs- und Austauschmarktplatz für die Modellregionen dient die Themenplattform ‚Smart Cities and Regions‘ des ZD.B. Hier können sich die Landkreise und Städte gegenseitig unterstützen und ihre Erfahrungen untereinander austauschen, wenn sie reale Anwendungsszenarien unter Einbeziehung von Verwaltungen, städtischen Partnern, Branchenakteuren und Bürgern angehen“, erklärt Willi Steincke, Leiter der ZD.B Themenplattform „Smart Cities and Regions“ der Bayern Innovativ. „Die Hoffnung besteht darin, dass jede Stadt schließlich eigene, nachhaltige CityGML-basierte digitale Zwillinge entwickelt, die eine Vielzahl praktischer Softwareanwendungen unterstützen, Simulationen durchführen und vieles mehr.“
Zentrales Herzstück
Das ZD.B unterstützt die SDDI-Modellregionen unter anderem durch die Einbeziehung von CityGML-Experten der Virtual City Systems. Das Berliner Unternehmen ist auf die Implementierung von 3D-Geodateninfrastrukturen für geobasierte digitale Zwillinge und deren Verknüpfung mit innovativen Analyse- und Simulationsanwendungen spezialisiert. Seit einem Jahr unterstützt Virtual City Systems die Modellregionen bei der Auswahl und Gestaltung einzelner Anwendungsfälle auf Basis einer 3D-Stadtmodellplattform, bei der Entwicklung von Umsetzungsstrategien und insbesondere beim Aufbau eines zentralen Katalogdienstes.
„Der Katalogdienst ist das Herzstück und das zentrale Softwaremodul in dieser Architektur, dass die einzelnen Datensilos und Quellen miteinander verbindet“, erklärt Trometer. „Wenn die verschiedenen Datenquellen offene, standardisierte Schnittstellen unterstützen, wird es eine einfache und generalisierte Aufgabe, sie individuell für einzelne Anwendungen zu verknüpfen.“ Mit anderen Worten: Analysewerkzeuge oder Anwendungen, die für eine bestimmte Region entwickelt wurden, können problemlos auch für andere Regionen mit ähnlichen Anwendungsfällen angepasst werden. Darüber hinaus werden die Arbeitsgruppen bei offenen Standards und Schnittstellen nicht von einzelnen Softwareanbietern kontrolliert, wodurch die Städte ihre Abhängigkeit von einzelnen Anbietern deutlich begrenzen können.
SDDI in der Praxis
Haßfurt wurde im vergangenen Jahr von dem Bundesinnenministerium (BMI) als eine der Modellkommunen im Wettbewerb „Modellprojekte Smart Cities“ ausgewählt. „Die Ausgangssituation für die Bewerbung war gut“, berichtete Thomas Reukauf, Ideengeber und Projektleiter des über sieben Jahre laufenden Förderprojektes Smart Green City. Die Stadt Haßfurt bezieht bereits heute ihren Strom zu 200 Prozent aus erneuerbaren Energien und betreibt ein intelligentes Versorgungsnetz. „Ich sah es als eine Chance für die Stadt, ihr Prozess-Knowhow und die Veränderungskultur von der Energieseite ins Rathaus zu bringen, um so die Digitalisierung zur Erhöhung der Lebensqualität in Haßfurt voranzutreiben.“ Im Fokus der Strategiephase steht neben der Bürgerbeteiligung auch der Aufbau eines digitalen Stadtmodells.
Für Reukauf war eine Beteiligung der Stadt Haßfurt an dem SDDI-Projekt daher naheliegend. Für das Projekt wurden zwei Hauptziele definiert: erstens die Erhöhung der Bürgerbeteiligung an der Stadtplanung durch den Einsatz eines digitalen Zwillings, der leicht zugänglich und verständlich ist. Zweitens die Digitalisierung von Baubehördenprozessen und die bessere Verfügbarkeit technischer Gebäudedaten. Diese beiden Anwendungsszenarien bildeten die Grundlage für die ersten Anwendungsfälle des SDDI-Projekts. „Deshalb haben wir uns mit Virtual City Systems zusammengetan. Denn: Nachhaltige und moderne Stadtplanung erfordert Datenmodelle, digitale Zwillinge und Transparenz für die Bürger“, so Reukauf.
Ein erster Schritt
Die Stadt hat zudem kürzlich einen Architekturwettbewerb für ein neues Mobilitätszentrum ausgeschrieben. Reukauf und Virtual City Systems unterstützen das Team von Smart Green City dabei, das Projekt als ihren ersten SDDI-Anwendungsfall in Angriff zu nehmen und eine Strategie zu entwickeln, wie sich Energie- und Mobilitätsakteure am besten zusammentun, um die Beteiligung der Bürger an den Projekten zu erhöhen. „Der 2D-Architektenentwurf wird dabei in das 3D-Masterportal, ein Open-Source Geoportal, integriert. Dies ist der erste Schritt zu einer umfassenden digitalen Stadtplanungsstrategie“, betont der Virtual City Systems-Geschäftsführer. (jr)