Die Biodiversität ist eine wichtige Grundlage für eine moderne, nachhaltige Waldwirtschaft: Je vielfältiger und artenreicher ein Wald ist, desto eher kann er äußere Einflüsse verkraften und vor Naturgefahren schützen. Dies zeigte das im November 2020 virtuell durchgeführte „Forum für Wissen“ der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL).
Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein standen vielerorts der Schutz vor Naturgefahren und eine möglichst große Holzproduktion im Zentrum der Waldbewirtschaftung. In den letzten 30 bis 40 Jahren zeigte sich jedoch, dass viele Wälder immer dichter und dunkler wurden und dadurch wertvolle Strukturen für die Biodiversität verloren gingen. Der Wald bot somit vielen anspruchsvollen Tier- und Pflanzenarten keinen adäquaten Lebensraum mehr. Die Vielfalt der Lebensräume, Arten und ihrer Erbanlagen nahm in der Folge rapide ab.
Seit etwa 20 Jahren werden besondere Waldstrukturen wie alte Bäume mit besonderen Lebensräumen, Totholz und Lichtbaumarten zunehmend gefördert. Denn zahlreiche Untersuchungen und Studien zeigten auf, dass Wälder möglichst vielfältig sein sollten, um den Folgen von äußeren Einflüssen wie Stürmen, Krankheiten oder Insektenbefall zu trotzen sowie dem Klimawandel zu trotzen. Dies erreiche man insbesondere dann, so Steffi Heinrichs von der Universität Göttingen beim „Forum für Wissen“, wenn man verschiedene waldbauliche Methoden großräumig kombiniere und damit die Biodiversität auf Landschaftsebene fördere. Es gehe darum, in größeren Landschaften zu denken, die als Ganzes einen Lebensraum für überlebensfähige Populationen bieten.
Unbewirtschaftete Wälder stellen Bereicherung dar
Zudem stellte Veronika Braunisch von der Forstlichen Verscuhs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg und der Universität Bern dar, dass unbewirtschaftete, unter Schutz gestellte Wälder die Artenvielfalt einer Landschaft bereichern könnten. Allerdings gebe es solche in Deutschland lediglich auf rund 1,9 Prozent der Waldfläche, in der Schweiz immerhin auf 3,4 Prozent. „Aus diesem Grund hat die aktive Förderung der Waldstrukturen einen besonderen Stellenwert im Naturschutz, beispielsweise im Schwarzwald oder in den Alpen, wo man den Lebensraum des Auerhuhns verbessern und das Überleben dieser Art fördern will.“ Dennoch gebe es nach wie vor auch in diesen Gebieten oftmals zu wenig Licht und Lücken, kaum Freiflächen und nur wenig alte, urwaldartige Wälder – Lebensräume, in denen der Artenreichtum besonders groß ist.
Dies betrifft auch die Insektenarten in den Wäldern, wie Martin Gossner von der WSL in mehreren Studien herausfand: „Es braucht eine zielgerichtete, sowohl räumlich als auch zeitlich ausgerichtete Planung von kleinen und größeren Reservaten.“ Schweizer Wälder weisen im landesweiten Durchschnitt nur 24 m3/ha Totholz auf, manche seltene Insektenarten benötigen jedoch 50m3/ha und mehr. Spezialisierte Vogelarten wie der Weißrückenspecht benötigen in gewissen Bereichen ihrer Reviere sogar mehr als 100 m3/ha Totholz, wie Alexander Grendelmeier von der Vogelwarte Sempach anfügt.
Solche Flächen mit viel totem Holz entstehen beispielsweise nach Stürmen oder Bränden. Derartige Störungen, das unterstreichen Untersuchungen von Thomas Wohlgemuth vom WSL, würden die Biodiversität deutlich fördern: „Würde man nach großen Ereignissen mehr Windwurfflächen im ungeräumten Zustand belassen, könnte man schweizweit auf 10 Prozent der Waldflächen Reservate ausweisen.“ Zudem gebe es in einer Landschaft mit solchen Flächen zahlreiche stehen gebliebene Einzelbäume und neue Feldgehölze. Diese vernetzen unterschiedliche Landschaftselemente untereinander, was sich wiederum auf die Verbreitung zahlreicher Arten positiv auswirken könnte, wie Reinhard Schnidrig vom Schweizerischen Bundesamt für Umwelt (BAFU) ausführte. Bereits in den vergangenen 12 Jahren habe der Bund 340 Millionen Franken in den Waldnaturschutz investiert. Für die Zukunft gelte es nun, die Bedeutung des Waldes als großen Lebensraum in der Landschaft zu stärken.
Ein erster Schritt
In einer abschließenden, von Kurz Bollmann (WSL) geleiteten Podiumsdiskussion waren sich die Teilnehmer zwar einig, dass die Waldwirtschaft auf dem Weg zu mehr Biodiversität zwar bereits einiges geleistet hat. Regine Wollenmann vom Schweizer Forstverein betonte jedoch, dass es noch viel brauche, um mehr lichte Wälder zu schaffen und diese besser zu vernetzen. Häufig seien es gerade die kleinen Mikroorganismen und auch die artenreiche Gruppe der Insekten, die den Stoffumsatz in Waldökosystemen am Laufen halten. Die Vielfalt der Organismen sei mit modernen molekularen Methoden, aber auch mit technischen Entwicklungen in der Fernerkundung heute viel einfacher und kostengünstiger messbar als noch vor wenigen Jahrzehnten. (jr)