Es waren Szenen, die um die Welt gingen, als eine Sturzflut im Ahrtal im Juli 2021 ganze Teile des Erdbodens mit sich gerissen und ein riesiges Lock zurückgelassen hat. Mehr als 130 Todesopfer und etliche Schäden an der hiesigen Infrastruktur forderte die Katastrophe damals. So zeigten sich nach dem Rückgang der Wassermassen verheerende Schäden am Erdgasnetz mit unter anderem 133 Kilometern zerstörten bzw. beschädigten Erdgasleitungen, 14 beschädigten bzw. zerstörten Gasdruckregelstationen, elf zerstörten Ahr-Querungen und Tausenden betroffenen Netzanschlüssen. Schon am Tag nach der Flut war klar: der Wiederaufbau wird ein Wettlauf gegen die Zeit – konkret den Winter 2021/22.
Für die zuständige Energieversorgung Mittelrhein (evm) bedeutete das eine große Aufgabe. Sie ist das größte Energie- und Dienstleistungsunternehmen aus Rheinland-Pflaz und im Ahrtal mit ihrer Netzgesellschaft, der Energienetze Mittelrhein (enm), für die Gasversorgung zuständig. Die Timeline wurde eingehalten: bis zum Winter waren nahezu alle Verbraucher wieder ans Gasnetz angeschlossen. Martin Friedrich, Teamleiter Workforce-Management in der Abteilung Technische Informationssysteme bei der enm, skizziert im BUSINESS GEOMATICS-Interview die eingeschlagenen Lösungswege mit dem Workforce Management-System der Green Gate AG kombiniert mit QGIS und beschreibt die Rolle der IT zur Wiederherstellung der Gasversorgung im besonders stark betroffenen unteren Ahrtal.
Herr Friedrich, aus der Sicht des Netzbetreibers: Was war ein erstes Indiz für das letztliche Ausmaß der Katastrophe?
Wasser- und Schlammeinbrüche und das Wegschwemmen ganzer Leitungspassagen durch die Flut sorgten dafür, dass in der Nacht der Katastrophe große Gasverluste im betroffenen Gebiet anfielen. Da man nicht mehr wusste, wo noch kontrolliert und wo unkontrolliert Gas aus der Leitung strömte, wurden die Schieber geschlossen. Mit dem Abschalten fiel der Druck in der Leitung ab, so dass zusätzlich Wasser in die Gasleitungen und teilweise über Heizungsthermen, die unter Wasser standen, auch in Hausanschlüsse eindringen konnte.
Was waren die Kernaufgaben der enm in den Wochen und Monaten nach der Sturzflut?
Neben dem Wiederaufbau des Leitungsnetzes lag unser Fokus darauf, die Gasanschlüsse im häuslichen, gewerblichen und industriellen Bereich wieder betriebsfähig zu machen. Das bedeutet Außerbetriebnahme der Anschlüsse, Reparatur oder Umbau und Wiederinbetriebnahme. Wir sind dafür verantwortlich, dass das Gas schnellstmöglich wieder verfügbar ist. Die Heizungsanlage selbst liegt dann im Verantwortungsbereich des Kunden.
Wie haben Sie bei der enm auf die Katastrophe reagiert? Was macht man an Tag 1 nach der Flut?
Es wurde Personal aus verschiedenen Standorten geordert. Wir haben zunächst alle Schäden außen vor allem am Leitungsnetz vor Ort – begutachtet. Schnell ging es schon an die Außerbetriebnahmen in den Häusern. Damit man die Versorgung wieder aufnehmen kann, müssen erst einmal alle Gasanschlüsse geschlossen sein. Wir reden im unteren Ahrtal von über 7.000 Anschlüssen. Man muss jedes Haus begehen, den Hahn verschließen und verplomben, damit man wieder Druck auf die Leitung geben kann, sobald sie wieder betriebsbereit ist.
Am Anfang haben wir versucht, uns am Planwerk auf Papier zu orientieren: Dort wurde markiert, wo wir waren, um die Außerbetriebnahmen durchzuführen. Diese Vorgehensweise stieß aber dann schnell an die Grenzen, da die Anzahl der Anschlüsse und die Anzahl der eingesetzten Mitarbeiter so groß war, dass man nur schwer den Überblick behalten konnte. Es sind halt sehr viele Aufgaben, die einfach und zeitnah koordiniert werden müssen.
Welche Schlüsse haben Sie daraus gezogen – die Uhr hat ja weiter getickt?
Um die Situation schnell in den Griff zu bekommen, haben wir uns für eine wirklich solide Kombination aus Geoinformationssystem und dem Betriebsführungssystem GS-Service von Green Gate entschieden. Das hat sich in vielen Jahren Tagesgeschäft bei Einsatzplanung, Instandhaltung und Dokumentation unserer Instandhaltungs-, Reparatur- und Wartungsarbeiten schon gut bewährt. Auch wenn wir im Alltag oft mit einem Objektbaum arbeiten, hierarchisch strukturiert mit Gemeinde, Straße und Hausnummer, haben wir uns für die Karten-Option entschieden: Wasser kennt keine Straßen und geht einfach dahin, wo es gerade hinwill.
Diesen Verschnitt von GIS und Workforce Management hat man sich wie vorzustellen?
Als erstes haben wir über das Flutgebiet eine Clusterung gelegt und den Bereich „Bad Neuenahr Ahrweiler“ in Gebiete bzw. Sektoren eingeteilt, damit alle wissen, wovon man redet. Visualisiert wurde das Ganze mit QGIS-Karten – damit konnte die Disposition schon sehr gut arbeiten, denn die Karte zeigte die Druckstufen, die einzelnen Objekte und ihren Bearbeitungsstatus genau an. Wir konnten auch die überfluteten Anschlüsse herausfiltern, weil wir über Flächenverschneidung die Hausanschlüsse im Hochwassergebiet einsehen konnten. Gefüttert wurde das GIS mit aktuellen Daten aus GS-Service. Die Disponenten konnten der Darstellung entnehmen, wer wann wo tätig ist.
Apropos: Wie wurden die Monteure mit den richtigen Informationen versorgt?
Durch Synchronisation der Aufträge in der mobilen App auf dem Tablet. Eigenes Personal war bereits ausgestattet, externe Helfer wurden im Zuge einer Schulung zu Beginn ihres Einsatzes ausgestattet. So war es auch möglich, dass alle direkt starten konnten, ohne sich morgens zentral zu treffen. Bei einer Verfügbarkeit von zusätzlichen 70 Tablets, die wir für den Einsatz vorbereitet haben, hatten wir maximal 45 Geräte im Einsatz, also 90 Leute draußen. Die App auf dem Tablet ist GS-Touch, die mobile Lösung unseres Workforce Management-Systems GS-Service. Mit GS-Touch werden Standard-Workflows für Aufgaben, Tätigkeiten und Ereignisse abgedeckt. Die Anwendung bietet neben einer Karte auch einen tagesaktuellen Aufgabenüberblick. Da kann man Mängel erfassen, Bilder machen, und erledigte Aufgaben von unterwegs rückmelden. Synchronisiert werden die Informationen mit der Datenbank laufend oder nach der Schicht.
Wie gelangten die Informationen aus dem Feld schnellstmöglich zurück zur Koordination in die Einsatzzentrale? Wie kommunizierten die Disponenten und die Monteure?
Wenn die Monteure draußen neue Aufgaben gebraucht haben, haben sie die Disposition angerufen. Die Disponenten wiederum markierten und filterten über das System, disponierten mit Auswahl des Arbeitspaketes und Eingabe des Namens und speicherten das Ganze. Um es noch etwas plastischer darzustellen: Die Disponenten weisen die Aufgaben dem Tablet zu, der Monteur erhält eine Nachricht, dass er neue Aufgaben hat, drückt aufs Knöpfchen und synchronisiert damit die Aufgabenliste, die er dann technisch gesehen offline zur Verfügung hat, von Vorteil, wenn kein Netz da ist. Das war in Summe genau das, was wir brauchten.
Inwiefern?
Die App war schnell einzurichten und bei Bedarf einfach zu modifizieren. Enthalten waren Arbeitspakete mit kurzen, schlüssigen Checklisten, die das Wichtigste anzeigen und dokumentieren. Vor allem aber landeten die Informationen nachher da, wo wir sie für Disposition und Controlling jeden Tag aufs Neue brauchten: im zentralen Datenpool in GS-Service.
Sie haben die einfache Anpassbarkeit der App angesprochen. Warum war die notwendig?
Weil wir nicht schon in der ersten Minute wussten, was wir alles brauchen. Die Situation war ja auch für uns neu. Die Aufgabenlisten in GS-Touch konnten wir selbst sehr einfach und schnell modifizieren. So oder so war der Einstieg in die Arbeiten mit der Außerbetriebnahme dankbar. Das erste Gebiet war überschaubar, weil vieles nicht im Hochwasser lag. Da konnten wir ganze Sektoren zuweisen, die schnell bearbeitet wurden. Hilfreich war hier auch, dass wir die Zuweisung der Aufgaben und Objekte zu den Personen von Anfang an über die Tablets vornahmen. Über eine Identity Card, die eingescannt wurde, konnten die Ergebnisse den Monteuren einfach zugeordnet werden. Bei Problemen konnten wir im Nachhinein auch korrigierend eingreifen, indem wir uns mit den Monteuren von außerhalb auf Basis der Daten im System kurzschließen konnten. Das war perfekt.
Der Wettlauf gegen die Zeit war omnipräsent: Wie konnten Sie die Arbeiten optimieren, um operativ noch effektiver agieren zu können?
Neben der Kartenansicht und der App auf den Tablets waren sicherlich die Dashboards aus GS-Web unsere eigentlichen Joker. GS-Web ist auch eine Mobilanwendung, browserbasiert, von GreenGate. Man geht auf eine Website, loggt sich mit Passwort ein und legt los. In GS-Web konnten wir uns den Status und Fortschritt anzeigen lassen, pro Bereich den Bearbeitungsfortschritt mit Kriterien wie Anzahl Aufgaben, terminiert, offen, abgearbeitet etc. analysieren. Damit konnten wir bei der Planung für die Arbeiten im Feld absolut punkten. Die Monitoringmöglichkeiten mit GS-Web kamen super an, auch weil hier jeder sofort versteht, wo wir stehen, und was gemacht wird.
Wie sind Sie die Wiederinbetriebnahme IT-seitig angegangen?
Für die Wiederinbetriebnahme haben wir erneut eine Aufgabendefinition auf den Tablets in GSTouch erstellt. Die Arbeitsschritte und Dokumentationen orientierten sich den Objekteigenschaften, die wir bei jedem Objekt auf Basis der Erkenntnisse aus der Außerbetriebnahme hinterlegt hatten. Dazu gehörte u. a. die Dokumentation der Entlüftung, ob Zähler/Regler vorhanden sind, ggf. ihr Ausbau, die Wiederverschließung von Anlagen, wenn die dahinter liegende Heizung kaputt war, und die Erfassung von Daten zur Anlage.
Wie ist die Wiederinbetriebnahme im Rückblick verlaufen?
Sie war für unseren Bereich einfacher, weil die Leute mit den Werkzeugen, die wir hatten, schon vertraut waren: GS-Web und GS-Touch. Man hat an der Akzeptanz gesehen, dass wir da etwas am Start hatten, was den ganzen Vorgang aktiv unterstützte. Mit Zetteln oder Excel-Listen wäre eine solche Mammut-Aufgabe gar nicht machbar. (jr)