Im Februar 2022 gab die OHB-Gruppe die Übernahme der GEOSYSTEMS GmbH (BUSINESS GEOMATICS berichtete) bekannt. BUSINESS GEOMATICS sprach mit Dr. Lutz Bertling (OHB SE) und Irmgard Runkel (GEOSYSTEMS GmbH) über die zukünftige Ausrichtung.
Wie ist die GEOSYSTEMS in den Geschäftsbereich OHB Digital eingebunden worden?
Dr. Lutz Bertling: Die Integration wurde von Anfang an von allen Seiten proaktiv angegangen. Als Familienunternehmen schätzen wir bei der OHB eine offene Kommunikation – und das hat mit dem Team von GEOSYSTEMS sofort gut funktioniert. Die GEOSYSTEMS ist bereits in OHB-Projekte eingebunden,und es haben von Geschäftsführung, über Software-Entwicklung und Technik bis zum Marketing schon gemeinsame Aktivitäten stattgefunden, um den Bereich Downstream Services auszubauen.

Dr. Lutz Bertling ist Vorstand für die Bereiche Strategie, Unternehmensentwicklung und Digitalisierung bei der OHB SE.
Stichwort: Downstream Services: mit der Übernahme sollte der Geschäftsbereich verstärkt werden. Was treibt einen etablierten Satellitenhersteller wie die OHB SE in das Geschäft mit Software und Lösungen?
Dr. Lutz Bertling: OHB baut Satelliten, bringt sie ins All und ist bei vielen großen Erdbeobachtungsmissionen führend. Wir wissen also, welche Art von Daten verfügbar sein wird, lange bevor Satelliten sie aus dem All senden und haben damiteinen Zeitvorsprung bei der Entwicklung neuer Anwendungen. Das wollen wir für den Ausbau von Downstream Services nutzen. Das Feld „Software und Lösungen“ ist keineswegs neu für uns. Die OHB Digital Services GmbH ist ein etablierter OHB-Geschäftsbereich für Software-Entwicklung mit Experti:innen aus den Bereichen Entwicklung, Sicherheit, UX-Design und anderen Branchen. Die GeoIT-Spezialist:innen bei der GEOSYSTEMS ergänzen diese entlang der Wertschöpfungskette um einen wichtigen Baustein.
Welche Entwicklungen sind nun bei Geosystems möglich, die zuvor nicht möglich waren?
Irmgard Runkel: Als Teil von OHB Digital profitieren wir von einem Netzwerk rund um Satelliten-Sensorik, Software-Entwicklung, CyberSecurity, GeoIT und mehr. Diese Kompetenz-Vielfalt erlaubt uns den Einstieg in komplexe Kundenanforderungen. Geodatenverarbeitung ist heute integraler Bestandteil des gesamten digitalen Business-Workflows und führt kein „Insel-Dasein“ mehr. Wir freuen uns besonders über ein stärkeres Engagement an der Seite der OHB in forschungsgetriebenen EU-Projekten zur Satellitendatenauswertung.
Soll es bei einem eigenständigen Marktauftritt von GEOSYSTEMS bleiben?
Irmgard Runkel: Die GEOSYSTEMS wird für ihre Kund:innen und die Öffentlichkeit weiterhin klar als GEOSYSTEMS erkennbar sein. Es bleibt bei unserem Webauftritt, der Firmierung und dem Corporate Design. Wir behalten unseren seit über 30 Jahren erfolgreichen Marktauftritt bei.
Dr. Lutz Bertling: Wir haben bei der OHB die Erfahrung gemacht, dass es im Interesse aller Beteiligten ist, wenn neu dazu gekommene OHB-Töchter ihren bewährten Marktauftritt fortführen – und das halten wir mit der Geosystems auch so.
GEOSYSTEMS ist als Hexagon Diamond Partner Ansprechpartner für das Hexagon-Produktportfolio. Welchen Einfluss hat die Übernahme auf die Partnerschaft?
Irmgard Runkel: Wir sind auch als OHB-Tochterunternehmen Hexagon Partner und betreuen die Nutzer:innen des Hexagon Geospatial Power und M.App Portfolios in der DACH-Region. Unsere langjährige und sehr vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Hexagon bleibt unangetastet.
Aus Sicht von GEOSYSTEMS: Welche neuen Synergien kann das Tochterunternehmen im Geschäftsbereich „OHB DIGITAL“ heben?
Irmgard Runkel: GEOSYSTEMS verfügt über eine breite Kundenbasis im Bereich der Anwendung von Erdbeobachtungssatellitendaten – national und international. Die Erfahrung über commercial-off-the-shelf Software und Anwendungen lässt sich ideal mit der Satelliten- und Raumfahrtkompetenz der OHB verknüpfen. Der Praxisbezug und das Wissen um Kundenanforderungen von GEOSYSTEMS ergänzen die Services der OHB Digital auf einer neuen Ebene.
Mit der Anzahl der Satelliten expandiert auch der Fernerkundungsmarkt. Welche Branchen können zukünftig mehr von den Weltraumdaten profitieren?
Irmgard Runkel: Alle! Viele neue Satelliten werden unter anderem eine spezielle Aufnahmesensorik bieten, wie zum Beispiel der seit April 2022 im All befindliche EnMAP-Satellit, der Hyperspektraldaten liefert. Damit wird eine neue Genauigkeit und Tiefe in der Auswertung ermöglicht. Egal, ob Wald, Landwirtschaft, Gewässer oder Geologie – wir können künftig mit genau fokussierten Ergebnissen rechnen.
Welche ungenutzten Entwicklungspotenziale wollen sie in Zukunft im Bereich Downstream erzielen?
Dr. Lutz Bertling: Wir sehen besonders im Bereich Logistik, Schiffahrt und Transportwesen großes Potential. So entstand zum Beispiel die Lager- und Transportmanagement-Software „LogTwin“, mit der ein digitaler Zwilling des Hafenlagers von Rhenus Weserport entwickelt wurde. Auf der Basis von Satellitendaten in Kombination mit smarten Sensoren konnte hier eine konventionelle Lager-Logistik sehr erfolgreich in eine smarte, digitale Logistik umgewandelt werden. Kräne, Bagger, Hubfahrzeuge, Material – alles ist in Echtzeit auf dem Bildschirm in der 3D-Abbildung des Terminals verfügbar und per Mausklick steuerbar. Auch im weltweiten Schiffstracking setzt OHB mit dem „OrbitSailor“ von OHB LuxSpace Maßstäbe. Die LuxSpace ist führend im Bereich der AIS-Datenservices und bietet einen 24-Stunden-Datendienst an, der es ermöglicht Schiffsbewegungen weltweit und nahezu in Echtzeit zu erfassen.
Welche Fortschritte dürfen Anwender von neuen Satelliten und neuer Auswertesoftware neuen Lösungen in Zukunft erwarten?
Dr. Lutz Bertling: Im Bereich der Satelliten geht es unter anderem um das Klimamonitoring. OHB ist erst vor wenigen Monaten auf dem „Living Planet Symposium“ in Bonn mit dem Bau der Satelliten im Rahmen der CO2-Monitoring-Mission des europäischen Copernicus-Programms beauftragt worden. Die neuen Erdbeobachtungsatelliten können die Konzentration von Kohlenstoffdioxid, Methan und Stickstoffdioxid in der Atmosphäre sehr präzise messen.
Irmgard Runkel: Ich sehe eine verstärkte Spezialisierung – sowohl bei Satelliten als auch in der Auswertung. Wir werden vermehrt Micro-Satelliten sehen, die mit Sensorik und zeitlichen Auflösung speziell auf eine Anwendung ausgerichtet sind. Ein Kleinsatellit für das Monitoring von Waldbränden registriert zum Beispiel vor allem thermale Signale und liefert Bilder im Stundentakt. Das eröffnet eine neue Welt gegenüber bekannten „Standard-Satelliten“.