Bentley investiert systematisch in Technologie für die 3D-Modellierung. Mit der Übernahme der französischen Firmen Acute3D und e-on Software wurde vor allem das Reality Modeling erweitert, bei dem vermessungsgenaue 3D-Dokumentationen erstellt und in die Modellierungsumgebungen eingebunden werden.
Seit einigen Jahren haben die bildgebenden Verfahren rasant an Bedeutung in der Vermessung gewonnen. Besonders im Bereich des Infrastrukturmanagements sorgen sie dafür, dass Bauwerke sehr schnell und genau dreidimensional dokumentiert werden können, und das in einer Genauigkeit, die recht nahe an der bekannten Vermessung von 3DLaserscannern liegt. Es gibt jedoch eine Herausforderung, die zu meistern ist: Die damit erzeugten Punktwolken sind sehr datenintensiv. Terabyte-Daten sind keine Seltenheit. Das macht den Umgang mit den Datenprodukten sehr anspruchsvoll. Nicht jede IT-Infrastruktur und nicht jede Datenleitung ist so konzipiert, dass die 3DModelle einer Liegenschaft oder eines Straßenkörpers mal eben schnell abgerufen werden können.
Dies ist der entscheidende Hintergrund für die Übernahme des französischen Unternehmens Acute3D durch den US-amerikanischen Softwarespezialisten Bentley im Jahr 2015. Die Software von Acute3D automatisiert die Erzeugung vollständig dreidimensionaler Darstellungen auf Grundlage von 2D-Digitalfotos beliebiger Fotokameras – unabhängig davon, ob es sich um eine Spezialkamera oder eine in ein Smartphone integrierte Kamera handelt. Die Acute3D-Technologie war vor der Übernahme unter dem Namen Smart3DCapture bekannt. Im September hatte Bentley mit ContextCapture das erste Produkt auf den Markt gebracht, dass auf der Acute3D-Technologie basiert.
Besonderheit an der Lösung ist, dass damit nicht nur eine 3D-Punktwolke rein aus Rasterdaten bestehend erzeugt wird, sondern ein phototexturiertes, vektorisiertes Modell. ContextCapture erzeugt gewissermaßen ein 3D-Realitätsraster, das dieselbe geometrische Sprache wie technische Modelle spricht. Dabei ist es weit weniger datenintensiv als übliche Punktwolken, liefert aber die gleiche Informationstiefe und durch die Foto-Texturierung ein ebenso hohes visuelles Detailreichtum. Das Oberflächenmodell hat dabei auch die gleiche geometrische Genauigkeit. „Dadurch haben Anwender ein weitaus größeres Nutzungspotenzial“, sagt David Huie, Product Marketing Manager bei Bentley.
Nahtlose Modellierung
Vorteil ist zudem, dass Daten verschiedener Auflösung in einem Modell verwaltet werden können. Terrestrische Daten, also beispielsweise Nahaufnahmen mit Kleinbildkameras, können demnach genauso enthalten sein wie flugzeug- oder UAV-basierte photogrammetrische Daten. Spezielle Algorithmen sorgen dafür, dass alle Daten in das Mesh integriert werden und der Anwender so jeweils Zugriff auf Daten mit der höchsten Auflösung hat. Je nach Maßstab werden die Daten von der Software entsprechend skaliert. Eine integrierte intelligente Fehlererkennung sorgt dafür, dass bauliche Strukturen sinnhaft abgebildet werden. Beschränkungen in Sachen Datenumfang gibt es nach Angaben von Bentley nicht. Die neue Version ist nun nahtlos in die Bentley Softwareumgebung für Modellierungen eingebettet und bietet demnach eine native Unterstützung der Micro- Station CONNECT Edition.
Zu den Neuerungen der Bentley- Software gehört auch ein WebGL-basierter Viewer. Anwender können also direkt in den Browsern der aktuellen Generation dreidimensional messen – und das sehr präzise. Für die Anwendungsfelder Inspektion und Dokumentation soll dies ein wirklicher Game Changer sein. „Wir haben bereits viele Kunden, die damit bisherige Applikationen komplett ersetzt haben“, sagt David Huie. Bentley geht sogar soweit und schätzt diese Technologie als „Revolution“ für die Geoinformationsbranche ein.
Auch in Sachen Prozessierungszeit muss ein Anwender nicht mehr mit den bisher oft noch üblichen sehr langen Verarbeitungszeiten kalkulieren. Ein Beispiel: Für die Herstellung des Mesh-Modells aus 190 Bildern mit jeweils 36 Megapixeln (MP) benötigt die Software nach Angaben von Bentley lediglich zwei Stunden. Selbst bei Megaprojekten ergeben sich so tolerable Zeitkalkulationen. Bei einem Fernerkundungsprojekt in Marseille verarbeitete Bentley 15.470 Bilder mit jeweils 210 MP beziehungsweise 80 MP. „Damit haben wir das 3DStadtmodell mit einer Fläche von 200 Quadratkilometern innerhalb von 12 Tagen gerechnet“, sagt der Software- Experte.
Photogrammetrie im BIM-Prozess

Rasterdaten im Mesh: Aus stereometrischen Bilddaten macht Bentley ContextCapture 3DDaten, die in Sachen Datenumfang gut handhabbar sind. Bilder: Bentley
Hintergrund der Acute3D-Übernahme ist die schnelle technologische Entwicklungen bei Scanning und Fotografie und damit einhergehend dem Aufkommen von UAVs. Die photogrammetrische und laserbasierte 3DDatenerfassung gehören heute in vielen Bereichen des Infrastrukturmanagements bereits zum Standard. Demnach ergänzt die Anwendung die bestehenden Produktlinien Bentley Pointools und Bentley Descartes, die eher für das Management reiner Rasterdaten konzipiert sind.
ContextCapture soll nun dafür sorgen, dass die Nutzung von 3D-Modellen stärker in den ingenieurstechnischen Alltag vordringt. Eine weitere Investition von Bentley hat eine andere Stoßrichtung. Mit EOn Software hat Bentley im letzten Jahr eine ebenfalls aus Frankreich stammenden Firma übernommen, die 3D-Projekte ästhetischer machen beziehungsweise ihnen mehr Leben bringen soll.
e-on Software war auf dem Markt für Digital Content Creation (DCC) aktiv. Die zentralen Produkte VUE und PlantFactory kamen vor allem im Medien- und Unterhaltungssektor zum Einsatz. Beispielsweise haben Blockbuster- Filme wie Minions, Avatar oder The Hunger Games die Technologie genutzt, um wirklichkeitsgetreue, dynamische (also bewegungsorientierte) Filmsequenzen zu erstellen.
Dieser Marktbereich existierte bei e-on Software seit 20 Jahren. Erst in den letzten Jahren hatte die in Paris ansässige Firma mit LumenRT auch ein Produkt entwickelt, das sich speziell an Architekten und Ingenieure richtet und auf dem DCC-Know-how beruht. Greg Bentley, CEO von Bentley Systems, sagte: „Dank der ´kinematographischen ´ Qualität der LumenRTUmgebungen kann jeder Architekt und Ingenieur seine Entwurfsalternativen unter realitätsgetreuen Bedingungen visualisieren.“
In die ingenieurtechnischen Modelle können mit LumenRT also schnell und einfach dynamische Elemente wie fahrende Autos, drehende Windräder, sich bewegende Passanten oder auch vom Wind bewegte Pflanzen integriert werden.
Dieser Realitätsgrad soll auch Ingenieuren und Planern helfen, insbesondere im Bereich der Vorstellung und Präsentation von Projekten. So wurde in den USA im Vorfeld des Besuchs von Papst Franziskus im September 2015 ein volltexturiertes 3D-Modell der Stadt erstellt. Dieses wurde von dem verantwortlichen Eventorganisator (ESM Productions) genutzt, um die gesamte Logistik des Papstbesuchs zu planen. Die realistische Simulation des Großevents half ESM Productions beispielsweise dabei, die Abstimmung mit den offiziellen Ämtern wie dem U.S. Secret Service, den Pennsylvania state agencies oder der lokalen Philadelphia Catholic Diocese zu unterstützen.