BUSINESS GEOMATICS im Interview mit Professor Uli Paetzel, Präsident der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V. (DWA) über die Nationale Wasserstrategie in Deutschland und die Herausforderungen der Wasserwirtschaft in Zeiten von Hochwasser und Dürren.
BUSINESS GEOMATICS: Zunehmend ist die Rede von der wasserbewussten Stadtentwicklung. Wie ist die Situation in Deutschland?
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Foto: David Außerhofer
Uli Paetzel: Die wasserbewusste Stadtentwicklung, also die in erster Linie die Anpassung der Städte an den Klimawandel mit Hilfe von blau-grüner Infrastruktur, ist technisch erprobt, ökonomisch sinnvoll und hebt die Lebensqualität im urbanen Raum. Wasserrückhalt und Wasserspeicherung sind absolut notwendig zur Klimaanpassung, um sowohl für Starkregen als auch für lange Trockenphasen und Hitzeperioden vorbereitet zu sein. Bisher gibt es in Deutschland sehr viele erfolgreiche Pilotprojekte, es mangelt aber nach wie vor an der Umsetzung in der Fläche. Das Leitbild der wasserbewussten Stadtentwicklung mit grün-blauen Infrastrukturen muss aber gemeinsames Ziel von Wasserwirtschaft und Politik sein und in der Bauleitplanung und Raumordnung verankert werden. Nur durch ein enges Miteinander von Expert:innen in Politik, Wasserwirtschaft, Architektur und Landschaftsarchitektur, Stadtplanung und vor allen den Kommunen mit allen Verwaltungseinrichtungen kann die wasserbewusste Stadtentwicklung bundesweit vorangetrieben werden. Die DWA hat hierfür die „Allianz, Gemeinsam für eine wasserbewusste Stadtentwicklung“ initiiert, bei der bereits viele der oben angesprochenen Gruppen Mitglied sind und das Thema jetzt gemeinsam vorantreiben. Bund und Länder müssen aber zudem die administrativen, finanziellen und rechtlichen Rahmenbedingungen schaffen. Die Finanzierung muss von der Projektförderung auf eine langfristige Finanzierung umgestellt werden, die auch Finanzierungsmöglichkeiten über Abwasserentgelte miteinschließt.
BUSINESS GEOMATICS: Bei Wasser steht die langfristige Versorgungssicherheit bisher kaum zur Disposition. Laufen wir in eine generative Infrastruktur-Schuld? Wie hoch ist der Investitionsbedarf?
Uli Paetzel: Hier müssen wir unterscheiden zwischen dem normalen Sanierungsbedarf zur Instandhaltung der Infrastruktur und den Investitionen zur Anpassung an den Klimawandel, also der Klimaresilienz der Anlagen sowie dem verstärkten Wasserrückhalt. Im Bereich der Instandhaltung besteht in Teilen ein Investitionsstau. Theoretisch müssten die Wasserver- und Abwasserentsorger jährlich zwischen 1,5 und zwei Prozent des Netzes erneuern. In der Realität werden diese Werte aber nicht bundesweit erreicht. Laut der aktuellen DWA-Kanalumfrage, Stand 2020, werden jährlich lediglich ein Prozent des bundesweiten Kanalnetzes saniert. Allein für die Sanierung und Instandhaltung der Infrastruktur wird in den nächsten Jahren viel Geld in die Hand genommen werden müssen. Und das vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels. Dazu kommen die Auswirkungen des Klimawandels. Zum einen muss die vorhandene Infrastruktur klimaresilient gestaltet werden, dies bedingt vor allem Investitionen in die Überflutungsvorsorge. Zum anderen verändert sich aktuell das Niederschlagsregime. Vereinfacht beschrieben, mehr Niederschläge im Winter und weniger Niederschläge im Sommer. Wir müssen daher Wasser deutlich mehr zurückhalten. Dies gilt vor allem für die Versickerung zur Grundwasseranreicherung, für den Rückhalt von Wasser in der Stadt. Aber auch bauliche Maßnahmen wie der Aus- oder Neubau von Talsperren dürfen kein Tabu darstellen.
Die Zusammenarbeit verschiedenster Interessensgebiete wie Verkehr, Stadtplanung, Einzelhandel, Investoren wird immer wieder gefordert. In der Praxis funktioniert dies heute selten. Wie kann das anders werden?
Uli Paetzel: Die Politik und auch wir als Wasserwirtschaft können den konstruktiven Dialog und die Zusammenarbeit zwischen Architekt:innen, Landschaftsarchitekt:innen, Stadtplaner:innen, Bauingenieur:innen, Wasserwirtschaftler:innen und der Feuerwehr als maßgebliche Akteur:innen verstärkt unterstützen. Im Emschergebiet haben wir als Emschergenossenschaft schon vor Jahren die Zukunftsinitiative „Wasser in der Stadt von Morgen“ ins Leben gerufen. Ziel war von Anfang an, die verschiedensten Abteilungen in den Kommunen im Verbandsgebiet ins Gespräch zu bringen, damit wirklich alle die Vorteile einer wasserbewussten Stadt kennen und – genauso wichtig – auch die Bedenken anderer Abteilungen frühzeitig mit in die Diskussionen einbeziehen können. Mittlerweile läuft das Projekt unter dem Namen Zukunftsinitiative Klima.Werk weiter, im Fokus steht jetzt auch, die Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen mit ins Boot zu holen. Diese Initiative macht viel Arbeit und kostet auch Geld, die Erfolge, also die im Emschergebiet realisierten Projekte, zeigen aber auch deutlich, dass sich der Aufwand sehr lohnt.
BUSINESS GEOMATICS: Welche Erwartungen haben sie an die Auswirkungen der Nationalen Wasserstrategie?
Uli Paetzel: Die Nationale Wasserstrategie ist eine sehr wichtige Initiative der Bundesregierung. Uns freut besonders, dass in der Strategie viele Forderungen der DWA sehr gut aufgenommen werden. Auch der integrative und sektorübergreifende Ansatz ist sehr zu begrüßen. Erfolg setzt aber die konsequente Umsetzung voraus. Insbesondere die Frage der Finanzierung der notwendigen Maßnahmen ist weitestgehend noch offen. Hier wird sich zeigen, ob die Bundesregierung ihre Wasserstrategie auch tatsächlich umsetzen möchte.
BUSINESS GEOMATICS: Was muss die Verbands- und Gremienarbeit auf die neuen Anforderungen reagieren?
Uli Paetzel: Unsere Gremien erarbeiten das Regelwerk für die Wasserwirtschaft, unsere Arbeitsblätter haben zum Teil den Rang von untergesetzlichen Standards. Bei vielen Aufgaben, zum Beispiel bei der Bemessung unserer Anlagen – Entwässerungssysteme, Hochwasserschutzmaßnahmen und vieles mehr – müssen wir den Klimawandel berücksichtigen, und dies findet in unserem Regelwerk bereits statt. Die DWA hat beispielsweise eine Klimakennung für das Regelwerk festgeschrieben. Jedes Regelwerk muss bei dieser Klimakennung auf die Aspekte Klimaanpassung und Klimaschutz überprüft werden. Klimaanpassung heißt vor allem Berücksichtigung von Extremwetterereignissen wie Starkregen und Trockenheit. Klimaschutz betrachtet vor allem die Wasserwirtschaft als Emittent von Treibhausgasen. Ob C02, Lachgas oder Methan, die Wasserwirtschaft muss diese Emissionen noch weiter reduzieren, und auch dies findet sowohl im Regelwerk als auch in der sonstigen Verbandsarbeit viel Beachtung.
BUSINESS GEOMATICS: Steffi Lemke hatte in Interviews mehr Klarheit bei Wasseraufbereitung und Nutzung. Man hält flächendeckende Wasserversorgungskonzepte für notwendig. Haben wir heute bereits die für eine solche systemtheoretische Modellierung notwendigen Konzepte und Softwarelösungen?
Uli Paetzel: Zum Themenkomplex Wasserversorgung möchte ich mich nicht äußern, da hat unser Pendant auf der Trinkwasserseite, der DVGW Deutsche Verein des Gas- und Wasserfachs, deutlich mehr Fachkompetenz. Informationsbedarf haben wir aber auf jeden Fall beim Thema Grundwasser. Wir brauchen ein digitales System zum Erfassen der bundesweiten Grundwasserstände – und Grundwasserentnahmen. Insbesondere die Entnahmen der Landwirtschaft sind mengenmäßig kaum konkret bekannt. Aber nur wenn belastbare Daten über Grundwasserstände, Grundwasserentnahmen und Grundwasserneubildung umfassend vorhanden sind, kann ein intelligentes Grundwassermanagement erfolgen. Und zum Thema Nutzung. Einigkeit besteht bei allen Stakeholdern, dass Wasser für den menschlichen Gebrauch als Trinkwasser und zur körperlichen Hygiene oberste Priorität hat. Danach kommen dann alle anderen Nutzungsarten, von dem Teil der öffentlichen Wasserversorgung, der für die Gartenbewässerung oder das Befüllen von Pools verwendet wird, bis zur Industrie und Landwirtschaft. Aber auch die Mindestwasserführung für ökologisch intakte Gewässer hat eine gleiche Bedeutung. Hier müssen lokal nach bundesweiten Spielregeln Entscheidungen getroffen werden.
BUSINESS GEOMATICS: Welche Kosten kommen gesellschaftlich auf uns zu, wenn wir Wassermanagement und Siedlungswasserwirtschaft in den nächsten Dekaden umbauen müssen?
Uli Paetzel: Seriöse Abschätzungen diesbezüglich sind kaum möglich. Uns liegen auch keine konkreten Zahlen dazu vor. Es gilt aber mit Sicherheit das bekannte Diktum: „Es wird auf jeden Fall deutlich teurer, wenn wir nichts tun.“ Die DWA arbeitet intensiv daran, gemeinsam mit der Politik die Rahmenbedingungen für eine nachhaltige und sichere Wasserwirtschaft zu schaffen. Und die Wasserwirtschaft wird alles dafür tun, die entsprechenden und erforderlichen Maßnahmen in der Praxis umzusetzen.