Kann das kryptographische Verfahren der Blockchain, dessen bekannteste Anwendung die Digitalwährung Bitcoin ist, auch für Geodaten genutzt werden? Dieser Frage, die bisher in der Geoinformationswirtschaft noch niemand öffentlich gestellt oder diskutiert hat, wurde von dem Ingelheimer Unternehmen GDV mbH nachgegangen. Mit positiver Antwort, soviel steht bereits fest. Denn der Prototyp einer Anwendung ist bereits fertig.
Doch warum überhaupt setzt sich ein Unternehmen wie die GDV mit dem Thema auseinander? Welche Vorteile bietet eine Blockchain für Geodaten? Und welche Applikationen könnten davon profitieren? Im Zentrum steht die Fähigkeit einer Blockchain, Daten- und Manipulationssicherheit in vielschichtigen, vertragsorientierten Prozessen zu gewährleisten. Also Leistungen, die eigentlich bei vielen Fragestellungen mit Geodaten berührt werden, bei Kataster- und Grundstückdaten sogar seitdem es diese historisch gibt.
So auch in einem speziellen Umfeld, in dem die GDV seit Jahren intensiv tätig ist: InVeKoS, das Integrierte Verwaltungs- und Kontrollsystem, das von Seiten der Europäischen Union im Rahmen der Agrarpolitik für die Berechnung und Verteilung der Fördermittel vorgeschrieben wird. Auf Seiten der EU-Mitgliedsländer, die für die konkrete Umsetzung von InVeKoS verantwortlich sind, dient das Verfahren etwa dazu, die Anträge auf Fördermittel für landwirtschaftlich genutzte Parzellen seitens der Landwirte zu bewilligen. Es geht also auch um eine Art von Miniverträgen, die von allen Seiten kritisch überprüft werden müssen: Die politische Seite befürchtet die missbräuchliche Beantragung von Geldern, die Landwirte wiederum erwarten eine faire, transparente und fachlich korrekte Bearbeitung ihrer einzelnen flächenbezogenen Anträge, die für ihre wirtschaftliche Existenz entscheidend sind. „In diesem Umfeld könnte das Kryptoverfahren mit seiner Manipulationssicherheit und inhärenten Transparenz helfen, Akzeptanz, Sicherheit und Vertrauen zu schaffen“, so Thomas Riehl, Geschäftsführer der GDV.
Im Rahmen des EFRE-Förderprojekt InnoTop, das vom Bundesland Rheinland-Pfalz (RLP) und der Investitions- und Strukturbank Rheinland-Pfalz (ISB) Ende 2019 vergeben wurde und bis Ende 2021 läuft, bewarb sich die GDV also mit einem entsprechenden Projekt. Für das Teilprojekt „Innovatives Kernsystem zur InVeKoS-Antragsstellung unter besonderer Berücksichtigung der Anforderungen an die Digitalisierung in der Landwirtschaft“ kam prompt der Zuschlag, wobei auch die Blockchain-Technologie berücksichtigt wird: Ein Teil fokussiert sich dabei auf die Vorgangsverwaltung, bei dem es auch darum geht, ein Proof of Concept zu entwickeln. Der zweite Teil hat die Blockchain-Technologie selbst zum Gegenstand, insbesondere die Vereinfachung der IT-Systeme im Hinblick auf Transparenz und Sicherheit. Hier ging es um die grundsätzliche Frage, ob Geodaten per Blockchain überhaupt nutzbar gemacht werden können.
Potenziale
Warum also Blockchain? Grundsätzlich kann eine Blockchain als ein Verfahren beschrieben werden, bei dem verschiedene Datensätze (Blöcke) kryptografisch miteinander in einem Peer-to-Peer-Netzwerk verbunden werden. Jeder Block enthält dabei einen kryptografisch sicheren „Hash“ des vorhergehenden Blocks, einen Zeitstempel und Transaktionsdaten. Alle Informationen der Blockchain sind also in jedem Knotenpunkt abgebildet. Wird ein Wert geändert, dekliniert sich dies automatisch auf alle Knoten durch. Der Grundgedanke ist demnach die Transparenz. Jede vollzogene Änderung am Datensatz soll für alle Teilnehmer sichtbar sein. Ändert sich ein Datensatz, muss daher im gesamten Netzwerk Konsens erzeugt werden. Änderungen werden also dezentral validiert. Und genau hier liegt die Ursache dafür, Blockchain für sogenannte Smart Contracts einzusetzen: intelligente Verträge, die auf Computerprotokollen basieren, nur wenig Geld kosten, effizient sind – und ein Höchstmaß an Manipulationssicherheit gewährleisten. Ideal also für Anwendungsfälle, bei dem viele Verträge zwischen disparaten Vertragspartnern geschlossen werden: Etwa zwischen Agrarverwaltung und Landwirt. Oder Grundstücksbesitzern und Behörden im Allgemeinen.
Die zusätzliche Hoffnung der GDV: Auch Fehler in den komplexen Flächen sollen vermieden werden. Wenn beispielsweise durch Geometriefehler in den Polygonen der Antragsflächen Inselflächen entstehen, die zu ungerechtfertigten Abzügen bei den Fördermitteln führen, würde dies das InVeKoS-Verfahren geradezu konterkarieren. „Wir sehen in der dezentralen Validierung durch die Kryptotechnologie also auch ein Instrument zur Qualitätssicherung“, beschreibt Riehl.
Technische Details
Die erste zentrale Entscheidung im Projekt: Über welches der vielen Frameworks, die in etwa Entwicklungsumgebungen der Blockchains darstellen, lassen sich Geodaten am besten einbinden? Bei der Evaluation stieß die GDV auf die Hyperledger Fabrik (HLF), einem Open Source-Blockchain-Ansatz, der sehr häufig von Entwicklern genutzt wird und als Meilenstein für die Gesamtentwicklung von Blockchains angesehen wird. Im Zuge des Forschungsprojekts und einer daran angegliederten akademischen Masterarbeit konnte die GDV dann einen ersten Durchbruch erreichen. „Mit HLF können Geodaten via Blockchain verwaltet und die Methode der Smart Contracts umgesetzt werden“, beschreibt Thomas Riehl den ersten Meilenstein. Sogar ein erster Prototyp für eine Anwendung konnte konzipiert werden.
Doch der große Schritt für die Geoinformationswirtschaft war nur ein erster kleiner Entwicklungsschritt. Denn unmittelbar schlug die bekannte Schwachstelle der Blockchain-Technologie durch: Die Performance – resultierend aus dem Konzept der dezentralen kryptografischen Verkettung. Diese erfordert enorm viel Rechenleistung, weshalb beispielsweise auch die Ökobilanz der Kryptowährung Bitcoin so schlecht ausfällt. „Eine simple Transaktion kostet Rechenleistung, und damit auch Performance. Für Geo-Anwendungen ist dies natürlich ein Killer“, sagt Enrico Homann, Softwareentwickler bei der GDV. Daher suchte das GDV-Team bereits sehr früh im Projekt nach Alternativen. Und fand sie auch, in Form einer vorgeschalteten Datenbank, einer sogenannten Off-Chain-Datenhaltung.
Off- und On-Chain-Konzept gemixt
Die „On-Chain-Komponente“ der Systemarchitektur von HLF ist eine World State Datenbank, applikationsseitig ist eine CouchDB-dazwischengeschaltet. Diese Systemarchitektur muss vorhanden sein, um die kryptografischen Elemente zu verketten, die für Smart Contracts unabdingbar sind. Genau dafür hat die GDV also die Off-Chain-Datenbank vorgesehen.
Zumal dies auch das Funktionsspektrum massiv erweitert. Zwar geht theoretisch auch die Auswahl von Geodaten über CouchDB, in diesem Fall über sogenannte Hastings, dies jedoch nur über Geometrien im Rahmen der bekannten Bounding Boxes. Abfragen über inhaltliche Selektionen oder Abfragen über Attribute und andere Metadaten – also übliche GIS-Standards wie Suche, Auswahl oder Filterung über Sach- und Metadaten – sind dabei nicht möglich.
Genau dies ermöglicht der Kniff der Off-Chain-Datenbank. Dies wurde im Rahmen des Forschungsprojektes bereits konzeptionell vorbereitet. In einer weiteren Phase, in der sich die GDV aktuell befindet, wurde dann weiter an dem Prototyp gearbeitet. Dazu wurde die Middleware ausgearbeitet, die zwischen Anwendung und Blockchain liegt. Die darin befindliche Off-Chain-Datenbank basiert auf der PostGIS-Datenbank. Eine REST-API bildet das Bindeglied zu der Blockchain-Kerntechnologie.
Aktuell entwickelt die GDV die Anwendungsprototypen also genau in diese Richtung weiter. Als „Blaupause“ dienen Prozesse, wie sie im InVeKoS-Prozess bereits seit Jahren umgesetzt und von der GDV auch selbst in den letzten Jahren entwickelt werden. Die eigentlichen vertragsrelevanten InVeKoS-Prozesse sollen dabei weiterhin via Smart Contracts umgesetzt werden, allerdings um eine komplexere Logik erweitert werden. „Dies hat generischen Charakter, denn für andere Anwendungen müssen im Grunde nur die Datenmodelle angeglichen werden“, sagt Homann. Vorausgesetzt, die grundlegenden Entwicklungsarbeiten wurden getätigt. Man darf gespannt sein, wie sich die Blockchain weiter in der Geoinformationsbranche etablieren wird. (sg)