Zwei Forschungsprojekte in der Schweiz erforschen die flächendeckende, detaillierte und aktuelle Messung von Schneehöhen in den Alpen
Wie viel Schnee liegt in den Alpen? Wieviel Wasser ist darin gebunden und speist Flüsse und Talsperren? Und wie verändert sich die Situation langfristig? Solche Fragen, die nicht nur für den Wintertourismus, sondern vor allem für Energie- und Umweltfragen, relevant sind. Beispielsweise muss man davon ausgehen, dass die Einspeisung von Wasser in die großen Flusssysteme sich über das Jahr stark verändern. Und dies auch Auswirkungen auf die Binnenschifffahrt hat.
Neueste Forschungsarbeiten in der Schweiz setzen neueste Technologien und Methoden ein, um Schneehöhen gelichermaßen flächendeckend, detailliert und aktuell zu bestimmen. Zum Einsatz kommen dafür photogrammetrische Messmethoden, Satellitendaten und KI.
Ein erstes groß angelegtes Forschungsprojekt fokussiert auf die Anwendung von Photogrammetrie für die Messung und stellt dabei die Frage, ob man dies auch für großflächige und systematische Messungen nutzen kann. Bisher war die einhellige Meinung in der Forschungslandschaft, dass Schneehöhnen nur auf Basis von Laserscanning großflächig kartiert werden kann. Zwischen den Jahren 2010 bis 2016 kartierte das SLF mit Hilfe von Airborne Laserscannern. Seitdem werden die untersuchten Gebiete photogrammetrisch beflogen, wodurch eine lückenlose, 11jährige Messdatenreihe für die Schneehöhen entstanden ist.
Großflächige photogrammetrische Analysen
Neu eingesetzt wurde dazu eine Großformatkamera Vexcel UltraCam. Für ein Gebiet bei Davos, von Klosters im Norden bis zum Piz Fourun im Süden, dem Dischma-Tal im Zentrum und einer Fläche von rund 250 Quadratkilometern haben Wissenschafter:innen die Schneedecke kartiert, dies mit einer Auflösung von einem halben Meter und einer Genauigkeit von 15cm, wie der Vergleich mit Messungen von Drohnen aus und mit der Hand zeigte.
Yves Bühler, Leiter der Forschungsgruppe Alpine Fernerkundung am SLF: «Wir waren selbst überrascht, dass wir Schnee mit Hilfe von Fotos aus dem Flugzeug in sehr hoher Auflösung so genau kartieren können.» Die erzielte Genauigkeit sei vergleichbar mit den mit ALS erzielten Ergebnissen und erfüllt die Anforderungen an eine aussagekräftige, räumlich kontinuierliche Schneehöhenkartierung in komplexem, offenem Gelände, so Bühler. Der Einsatz von Bodenkontrollpunkte war jedoch unerlässlich für die Genauigkeitsanforderungen. „So konnten wir die Komplexität der Schneehöhenverteilung in Hochgebirgsregionen besser zu verstehen“, so Bühler.
Diese Modelle ermöglichen es, aus der Abschätzung der Schneedecke auch die Menge des darin gespeicherten Wassers (SWE) abzuschätzen. Dies geschieht über den sogenannten Schneewasseräquivalent (SWE). Die flächendeckende Gewinnung von SWE-Daten mit einem entsprechenden System ist jedoch noch in der Erprobung und gilt als komplex. Die Schneehöhe ist dabei ein erster Parameter, der für eine aussagekräftige Modellrechnung von hoher Bedeutung ist. Daher forscht das SLF auch an weiteren neuen Ansätze zur Kartierung der Schneehöhe, etwa mit optischen und Radarsatelliten.
ETH-Forschungsprojekt
Ein zweites neues Projekt erweitert neue Forschungsansätze auf den Bereich Satellitendaten und KI. Forschende an der ETH Zürich haben zusammen mit der Schweizer Firma ExoLabs ein KI-gestütztes Schneemesssystem entwickelt, das die Schneehöhe täglich und genauer als bisher bestimmen kann. Neben den besseren Daten schafft es die Technologie auch, Unsicherheiten der Schätzung mitzuliefern und damit die Bewertung der Messdaten transparent zu machen.
Das Forscherteam wurde von Konrad Schindler, ETH-Professor für Photogrammetrie und Fernerkundung geleitet. ExoLabs ist ein Spin-off der Universität Zürich und hat eine Technologie entwickelt, die mit Hilfe von Satellitenbildern und künstlicher Intelligenz die Schneehöhe analysiert.
„Während die besten bestehenden Schneekarten der Schweiz eine effektive Auflösung von etwa 250 mal 250 Meter haben, kann man in unsere Karten bis auf 10 mal 10 Meter hineinzoomen, um die Schneehöhe abzulesen“, sagt Schindler. Zudem sind regelmäßige Aktualisierungen zur Schneehöhe in Zukunft nicht mehr unbedingt auf neue Messdaten am Boden angewiesen. Öffentlich zugängliche Satellitenbilder reichen bei gutem Wetter aus.
Für ihre Technologie verwendeten die Forschenden optische Aufnahmen und Infrarotbilder von Sentinel-2-Satelliten der Europäischen Weltraumorganisation (ESA). Diese Satelliten nehmen alle fünf Tage jeden Ort der Erde mit einer Auflösung von bis zu 10 mal 10 Metern pro Pixel auf. Das sind die detailliertesten Bilder, die derzeit kostenlos und unbeschränkt zugänglich sind.
Zusätzliche Nutzung von Geländedaten
Satellitenbilder, die weiße Flächen zeigen, reichen aber auch für eine KI nicht aus, um auf die Schneehöhe zu schließen. Daher füttern die Forschenden der KI mit Geländedaten. Daraus lässt sich ableiten, wie die Exposition sich auf den Schnee auswirkt, ein steiler Südhang beispielsweise lässt bei Sonnenschein mehr Schnee schmelzen als eine schattige Mulde.
Die Forschenden trainierten das KI-System daher darauf, die Schneehöhe aus Satelliten- und Geländedaten abzuleiten. Dazu ließen sie das System die Schneehöhen schätzen und verglichen die Ergebnisse mit realen Schneemessungen. «Wir haben an jedem Rasterpunkt festgestellt, wie weit die KI mit ihrer Schätzung daneben lag, und das System schrittweise so angepasst, dass die Fehler kleiner wurden», erklärt Schindler. In der KI-Fachsprache heißt diese Methode überwachtes Lernen.
In einer ersten Trainingsrunde verwendeten die ETH-Forschenden die Schneekarten von ExoLabs. Diese Karten basieren neben den Satellitenbildern von Sentinel-2 auch auf Bildern anderer Satellitenmissionen, die zwar räumlich weniger genau sind, dafür aber tägliche Aufnahmen liefern. Anhand der Schneekarten von ExoLabs prägte sich die KI vor allem die Muster der kleinräumigen Schneeverteilung ein, die über das eher grobmaschige Netz an Messstationen nicht erfasst werden kann.
Das Finetuning der KI erfolgte dann mit sehr detaillierten Schneedaten, die das WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF lediglich im Bündner Dischmatal erhebt. Durch diese Daten lernte die KI, dass sich die Schneehöhe je nach Gelände innerhalb von wenigen Metern ändern kann. Diese räumlichen Zusammenhänge kann sie dann in der ganzen Schweiz anwenden und auch dort die Schneehöhe genau vorhersagen, wo keine detaillierten Messdaten durch Messtationen vorliegen.
Ein weiterer Vorteil der neuen Technologie ist, dass sie den Nutzer:innen auch die Unsicherheit der Schätzung mitliefert. Wenn es zum Beispiel länger bewölkt ist und neue Satellitenbilder keine brauchbaren Informationen liefern, steigt die Unsicherheit der Schätzung.