Mit dem BIM LÄB wurde in Baden-Württemberg ein moderner Workspace mitten auf der Baustelle eingerichtet, in dem das digitalisierte Infrastrukturmanagement ganz konkret in der Praxis erprobt wird.
BIM im Verkehrswegebau zum Anfassen und Mitmachen – das gibt es in Deutschland bisher selten. Vieles ist in der BIM-Theorie beschrieben, erste Schritte werden auch auf den Baustellen gemacht, aber in der Breite und in der praktischen Tiefe steht man noch ganz am Anfang. Dabei wird dem BIM-Ansatz mit der einhergehenden Digitalisierung des Bauens ein enormes Potenzial zugeschrieben und in Zukunft sogar gesetzlich vorgeschrieben.
Neue Standards setzen
Die Erwartungen sind groß: Deutschlandtempo lautet das Stichwort, das die Bundesregierung für Planen, Genehmigen und Bauen jüngst ausgegeben hat. Wer wissen will, was sich konkret dahinter verbirgt, hat seit Sommer dieses Jahres eine einmalige Gelegenheit dazu. Der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann hat im August gemeinsam mit der Stuttgarter Regierungspräsidentin Susanne Bay das BIM LÄB offiziell eröffnet. Es bietet eine einmalige Gelegenheit, neue Standards zu setzen, BIM im Verkehrswegebau und digitale Workflows hautnah zu erleben und auszuprobieren.
Digital bauen und digital bauen lernen an einem Ort
Man sieht es sofort: hier ist etwas anders. Auf dem schwarz-gelben Baucontainer mitten auf dem zweiten Bauabschnitt der B 29 Essingen-Aalen prangt in großen Lettern das Wort BIM LÄB. In diesem Container-Workspace verschmelzen die Projektsteuerung der ersten 100-prozentig digitalen Baustelle in Baden-Württemberg mit dem Training, Lernen und Austausch: was es konkret braucht, um ein digitales Infrastrukturprojekt aufzusetzen, auszuschreiben, zu planen und komplett umzusetzen. Der Zugang, BIM in der Infrastruktur einzusetzen, soll damit konkret und praktisch erleichtert werden. Erfahrungen aus BIM Pilotprojekten der letzten Jahre werden geteilt. Ein wichtiger Beitrag, denn ab 2025 ist die BIM-Methode für alle Bundesfernstraßen in Deutschland Pflicht, zwei Jahre später auch für Landesstraßen.
Initiative zeigen, um modellbasiert zu planen und zu bauen
Initiatoren des BIM LÄB sind das Verkehrsministerium Baden-Württemberg und das Regierungspräsidium Stuttgart. Dementsprechend hochkarätig war auch die Eröffnung Anfang August. Als größte Herausforderung bezeichnete Landesverkehrsminister Hermann bereits bei der Auftaktveranstaltung das mit BIM verbundene „Umdenken“. Planungs- und Modellierungsumgebung sind beim Bau der B29 bereits in einem Gesamtkoordinationsmodell vereint. Darin sind alle Teilbereiche des Verkehrswegebaus enthalten: Neben dem Straßenkörper sind dies Ingenieurbauwerke, Entwässerung, Geologie, Baustelleneinrichtung, Baustellenlogistik und Vermessung. Bereits die Planungsphase wurde vollständig in diesem Modell realisiert, auch die gesamte Datenkommunikation einschließlich der Dokumentation des Baufortschritts während der Bauphase läuft über diese virtuelle Umgebung. Ist- und Sollwerte werden permanent und oft in Echtzeit abgeglichen – dies ist einer der zentralen Kernpunkte der BIM-Methode und vom Ansatz her völlig neu. Die Freigabe der Planung erfolgt erst, nachdem die Planungsqualität im Digitalen Zwilling bereits auf „Herz und Nieren“ geprüft wurde, potenzielle Kollisionen oder Gefahren also bereits digital ausgeschlossen wurden, bevor sie beim Bau zu Herausforderungen führen können. Neben allem Positiven gibt es natürlich auch Hürden, wie die digitale Plangenehmigung, welche noch nicht standardisiert ist.
Schwerpunkt praktische Anwendung und Ausbildung
Insgesamt gibt es drei operative Betreiber des BIM LÄB. Die Firmen viscan, als Bureau for visionary enginieering, vigram als innovativer Technologie-Provider für Hardware und Software sowie die Konstruktionsgruppe Bauen, ein Ingenieurbüro für Bauwerksplanung im Hoch-, Brücken- und Verkehrswegebau mit dem Schwerpunkt Baustellenplanung. Die DNA des BIM LÄBS lautet also: Nicht nur Theorie, sondern vor allem Praxis. „Es geht darum, digitales Bauen live zu erleben, zu gestalten, Erfahrungen zu sammeln und sich in moderne BIM-Netzwerke einzubringen“, sagt Nicolai Nolle, Mitgründer der Firma vigram, die das Projekt mitinitiiert hat und mitbetreibt.
Der Schwerpunkt des BIM LÄB liegt auf der praktischen Anwendung und Ausbildung. Gezeigt wird, wie Drohnen die Baustelle vermessen und überwachen, wie eine Microsoft Hololens Augmented Reality auf die Baustelle bringt, wie Virtual-Reality-Brillen durch die 3D-Echtzeitumgebung führen, wie mit dem iPhone in 3D vermessen werden kann oder wie eine Krankamera auf Basis der Photogrammetrie die Baustelle automatisiert erfasst. Darüber hinaus gibt es einen speziellen VR-Raum, in dem auch Simulationen von Bauzuständen und baulogistischen Abläufen durchgeführt werden können.
Tools und Technologien im Kontext des Workflows
„Wir wollen alle konkreten Anwendungsfälle aufbauen, in denen die Aufgaben anhand des kompletten digitalen Workflows dargestellt werden“, beschreibt Nolle. Zum ganzheitlichen Digitalisierungsansatz gehört dann auch die modellbasierte Abrechnung. Moderne VR/AR-Technologien sollen auch die Ausbildung von Bauleitern unterstützen.
Das BIM LÄB greift alle Aspekte des digitalen Bauens auf. Dazu gehört auch die Sensibilisierung für KI-Anwendungen. Ebenso werden Cloud-Plattformen wie CDE im Hinblick auf die Generierung von Mehrwerten behandelt. In einer CDE laufen alle Prozesse der Baufortschrittsdokumentation zusammen und werden von dort aus allen Projektbeteiligten zur Verfügung gestellt. Dabei kommen moderne Technologien zum Einsatz.
Langjährige Erfahrung
Das von Nicolai Nolle gegründete Ingenieurbüro viscan for visionary engineering bringt seine praktischen Erfahrungen für Bestandsplanung, Bauüberwachung und Vermessung ein. Das 2011 gegründete Unternehmen setzte von Anfang an auf innovative Technologien, BIM Management und BIM Projektstrategieentwicklung und Messmethoden wie Photogrammetrie oder 3D-Laserscanning, um Arbeitsabläufe auf Baustellen zu digitalisieren und zu vereinfachen. Seit 2017 ist das Unternehmen auch Partner des Regierungspräsidiums Stuttgart und begleitete viele der mittlerweile 37 BIM-Pilotprojekte im Land, in denen digitales Bauen erprobt und in der Praxis umgesetzt wurde.
Innovative Technologien in der Praxis einsetzen
Beteiligt ist auch das 2019 vom Technologiepionier Sidon Futterknecht gegründete Unternehmen vigram, an dem Nolle ebenfalls als Mitgründer beteiligt war. Das Unternehmen ist heute bekannt für seine Produkte rund um die „smart documentation“, die das Team von rund 75 Mitarbeiter:innen aus 12 Nationen in Eigenregie entwickelt. Im Jahr 2021 wurde das viDoc auf den Markt gebracht (siehe BUSINESS GEOMATICS, Nr. 2/2021), ein Zusatzmodul für iPhones oder iPads, das aus Standardgeräten professionelle Vermessungswerkzeuge höchster Präzision macht – inklusive GNSS, Laserscanner und RTK.
Seit Anfang 2023 bietet vigram die Software viZone an. Dabei handelt es sich um eine webbasierte SaaS-Lösung, auf der das Datenmanagement ganzer Teams und Projekte zusammengeführt wird. Bereits beim ersten Bauabschnitt der B29 sorgten die Produkte von vigram für eine termingerechte Fertigstellung.
Lernen aus erster Hand
Ein wichtiger Bestandteil des BIM LÄB sind Trainings, Workshops und Veranstaltungen rund um die Digitalisierung der Baustelle, die regelmäßig stattfinden. „Das sind keine klassischen Schulungsveranstaltungen, das Konzept heißt Lernen aus erster Hand, inklusive Erfolgen und Misserfolgen“, so Nolle. Das BIM LÄB steht auch Dritten offen. Unternehmen und Kompetenzträger rund um das digitale Bauen können eigene Veranstaltungen buchen. „Wir haben vor allem festgestellt, dass die Umsetzung von BIM ein gemeinschaftlicher Prozess ist, an dem alle Projektbeteiligten teilhaben und davon profitieren können“, fasst Nolle zusammen.
HALLE 3.2 BIM AEREA
www.bim-laeb.de
www.vigram.com
www.viscan.de