Eine europäische journalistische Recherche nutzt Satellitendaten, um den europäischen Flächenverbrauch zu analysieren. Demnach werden mehr Grünflächen verbaut als von offizieller Seite bisher angenommen.

Aufnahmen aus dem südfranzösischen Miramas, inklusive der Motorsport-Rennstrecke, stammen von der PlanetScope-Konstellation und besitzen eine Auflösung im Bereich weniger Meter. Mithilfe dieser Aufnahmen verifizierten die Forschenden unter anderem die KI-basierten Analysen der Landnutzung. Quelle: ESA
Die EU hat sich zum Ziel gesetzt, dass ab dem Jahr 2050 statistisch gesehen keine Natur- bzw. Ackerflächen mehr in Siedlungs- oder Verkehrsflächen umgewandelt werden. Davon ist man jedoch noch weit entfernt. Eine aktuelle Analyse von Satellitenbildern, die von einer europäischen journalistischen Initiative durchgeführt wurde, zeigt, dass die offiziellen Analysen der Europäischen Umweltagentur EEA den Verlust an Fläche in den letzten Jahren unterschätzen und der Trend zum Landverbrauch sogar ansteigt. Demnach verliert Europa jedes Jahr rund 1.500 Quadratkilometer an Grünfläche – etwa dreimal die Fläche des Bodensees. Seit Langem schätzt die Europäische Umweltagentur die Zahlen für die jährliche Landnahme in Europa. Diese waren jedoch geringer: Sie kam auf nur 1.000 Quadratkilometer im Jahr in den Jahren 2000 bis 2018.
Dabei haben sich Deutschland und die EU ambitionierte Ziele gesetzt. So will die Bundesregierung den Flächenverbrauch bis 2030 auf 11.000 Hektar pro Jahr beschränken. Die EU fordert sogar, dass bis 2050 netto keine weiteren Flächen mehr verbaut werden dürfen.
Ursprung in Norwegen
Im Vergleich zu früheren Zeiträumen vor 2018 besitzen die ausgewerteten Satellitenbilder eine hohe Auflösung von 10 Metern. Dadurch konnten erstmals auch kleinräumige Veränderungen wie Einzelgebäude oder Verkehrswegekorridore erfasst werden.
Die Untersuchung geht auf eine Initiative in Norwegen zurück. Dort wurden erstmals Satellitenbilder und KI eingesetzt, um den Flächenverbrauch im Land zu kartieren. Dazu hatten sich Journalisten und das NRK zusammengetan und 40.000 Satellitenbilder aus den Jahren 2017 bis 2022 ausgewählt.
Daraufhin wurde die europäische Initiative „Arena for Journalism” aufmerksam, eine gemeinnützige Organisation zur Förderung des kooperativen investigativen Journalismus. Im Januar 2025 begann schließlich ein Team aus elf Ländern, die Daten für Europa insgesamt auszuwerten. Die Ergebnisse wurden kürzlich veröffentlicht.
Die europäischen Länder wandeln deutlich größere Flächen als bisher angenommen in Wohngebiete, Tourismusresorts, Industriegebiete und andere Arten von Bebauung um. Zwischen 2018 und 2023 wurden schätzungsweise etwa 9.000 km² Naturfläche (ca. 60 %) bzw. Ackerland (ca. 40 %) durch bebaute Flächen ersetzt – fast doppelt so viel wie das Zwischenziel von 800 km² pro Jahr, das von der Europäischen Umweltagentur für den Zeitraum 2000–2020 festgelegt wurde. Das Rechercheteam fand mehr als 150.000 Fälle von Flächenumwidmung in Schutzgebieten.
Die Journalisten nutzten Dynamic World, einen von Google und dem World Resources Institute erstellten Datensatz zur Landnutzung und Bodenbedeckung. Für die Auswertung wurde ein Deep-Learning-Modell herangezogen. Das Dynamic-World-Modell verwendet Satellitenbilder der Copernicus-Sentinel-2-Missionen. Diese Bilder wurden pixelscharf in ein künstliches neuronales Netzwerk (FCNN) eingespeist und einer von neun Landbedeckungsklassen zugeordnet. Der Analyseansatz wurde von dem Wissenschaftler Zander Venter vom Norwegian Institute for Nature Research (NINA) mitentwickelt.
Analyse der Daten
Einige Länder stellten die Bilddaten im Rahmen von Open Data kostenfrei zur Verfügung, für die meisten Nationen mussten die Analysten jedoch auf private Dienste wie Google Earth Pro zurückgreifen. Ebenso nutzten sie Daten des EEA und der Copernicus Land Monitoring Services.
Insgesamt wurden rund 84 Billionen Pixel für Europa ausgewertet, die aus etwa 185.000 Bildern stammten. Durch die detaillierten Bilder konnten auch kleinere Flächen wie Verkehrskorridore oder Liegenschaften wie Supermärkte oder Gewerbestandorte erfasst werden, was bei älteren Satellitendaten mit geringeren Auflösungen nicht möglich war. Dabei sind es oft jene Flächen, die den Verbrauch ausmachen. In Deutschland ist der Flächenverbrauch zu einem Viertel auf Wohnhäuser zurückzuführen, der größte Teil summiert sich jedoch durch Industrie- und Logistikzentren. Der größte Verlust durch ein einzelnes Projekt in Deutschland entstand durch den Bau der Tesla-Fabrik in Brandenburg.
Die Forschenden suchten dabei die Daten der besten Aufnahmezeitpunkte heraus, in denen die regional besten Umweltbedingungen herrschten. Dies fiel sehr unterschiedlich aus: Für Südeuropa waren aufgrund der Schneebedeckung die Wintermonate gut geeignet, für Nordeuropa umgekehrt der Sommer. In Südeuropa sorgten Dürren oder Überschwemmungen in den Wintermonaten für verzerrte Daten. Europa wurde in Gebiete von 100 mal 100 Kilometern aufgeteilt und die vier besten Auswertemonate bestimmt.
Um die Menge der Landnahme zu schätzen, setzten die Forschenden eine wissenschaftliche Methode ein, die als designbasierte Flächenabschätzung bezeichnet wird. Bei den Schätzungen wurden zufällig ausgewählte Punkte manuell überprüft. Mithilfe hochauflösender Satellitenbilder wurden die Punkte anhand der Flächennutzung klassifiziert. Sofern vorhanden, wurden dabei Satellitenbilder mit einer Auflösung von bis zu drei Metern (PlanetScope) oder Bilder von Straßenbefahrungsdiensten (Google Street View) herangezogen.

