German Deep Tech ist darauf spezialisiert, aus universitärer Forschung heraus junge Unternehmen zu entwickeln, die über einen technologischen Vorsprung von mehreren Jahren im Markt verfügen. Das Portfolio konzentriert sich auf komplexe, hochperformante Softwaresysteme für die Prozessierung, Analyse und Visualisierung von „Big Data”.
Manchmal reicht ein Studium von wenigen Wochen, um eine erfolgreiche Unternehmerkarriere in Gang zu setzen. Man benötigt eine gewisse Portion Instinkt, um das Potenzial von technologischen Innovationen zu erkennen und daraus möglichst schnell ein tragfähiges Geschäftsmodell zu entwickeln. So geschehen am Hasso-Plattner-Institut (HPI) im Jahr 2002. An dem Lehrstuhl für Analyse, Planung und Konstruktion computergrafischer Softwaresysteme unter Leitung von Professor Jürgen Döllner waren unter anderem grundlegend innovative Algorithmen und Verfahren zur Visualisierung und Erstellung von virtuellen 3D-Stadtmodellen geschaffen worden. Marc Hildebrandt erkannte die Potentiale und gründete die Firma 3D Geo GmbH. Daraus entstand das Produkt LandXplorer, das fortan für den Höhenflug virtueller 3D-Stadtmodelle sorgte. Im Jahr 2008 wurde die Firma schließlich von dem US-amerikanischen Softwareriesen Autodesk übernommen, um die Software global zu vermarkten.
Volkswirtschaftlicher Impact
Ein äußerst erfolgreiches „Projekt“ also, das für manchen Unternehmer zugleich den Höhepunkt der beruflichen Karriere bedeutet hätte. „Für mich hat es damit eigentlich erst angefangen“, sagt Hildebrandt heute. Er erkannte den generischen Ansatz und die Methodik, die in der LandXplorer-Unternehmensgeschichte lagen: Eine Blaupause, mit der wissenschaftliche Forschung in marktkonforme Softwarefirmen überführt wird. Hildebrandt gründete die Holding German Deep Tech, einen Inkubator, dessen Aufgabe es ist, Spin-Offs zu gründen und diese zu erfolgreichen Unternehmen zu entwickeln. Exzellenz-Partner ist heute nach wie vor das Hasso-Plattner-Institut an der Digital Engineering Fakultät der Universität Potsdam.
German Deep Tech adressiert damit eine der wesentlichen Herausforderungen von Wirtschaftsstandorten wie Deutschland mit einer starken ingenieur- und naturwissenschaftlichen Prägung. Denn die Unternehmen müssen sich in immer drastischerem Maß den Aufgaben der Digitalisierung stellen, um auch zukünftig erfolgreich zu sein. Rein statistisch gesehen wird das Risiko mehr als greifbar. In den letzten 15 Jahren sind die Hälfte der umsatzstärksten Unternehmen der Welt verschwunden. Während die durchschnittliche Lebenszeit von Fortune 500-Unternehmen im Jahr 1955 75 Jahre betrug, sind es im Jahr 2015 gerade noch 16 Jahre. Der Treiber hinter dieser Entwicklung ist die Digitalisierung und, damit verbunden, häufig disruptive Innovationen. Es ist also rein wirtschaftlich gesehen wichtig, modernste Technologien und Methoden aus der akademischen Forschung in die Märkte zu überführen. „Wir leben zwar im Land der Tüftler und Erfinder, aber dies funktioniert in Deutschland noch nicht erfolgreich genug, um die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern“, ist Hildebrandt überzeugt.
Informatik meets Mathematik
Soviel zur grundlegenden Motivation von German Deep Tech. Konkreter Ansatzpunkt sind die Forschungen am HPI. Die Aufgabe des 1999 auf Initiative des SAP-Gründers Hasso Plattner gegründeten Instituts ist es, modernste wissenschaftliche Forschung und Lehre zu betreiben und gleichzeitig die großen Herausforderungen bei der Entwicklung und Beherrschung komplexer Softwaresysteme zu meistern, vor allem im engen Bezug zur Wirtschaft. Einen Schwerpunkt bilden so zum Beispiel genetische, evolutionäre Algorithmen kombiniert mit Techniken des maschinellen Lernens.
„Diese Impulse aus der Industrie sind enorm wichtig, damit sich die Forschung nicht nur mit sich selbst beschäftigt“, sagt Professor Jürgen Döllner, der das Fachgebiet Visual Computing leitet. Im Zentrum stehen dabei algorithmische Geometrie, GPU-basierte Algorithmen, maschinelles Lernen und Anwendung modernster mathematischer Verfahren. Aus diesem Themenspektrum ist auch der Name des Unternehmens abgeleitet: „Deep Technology“ meint, heute noch getrennte Produkte und Prozesse zu vernetzen und solche Algorithmen zu entwickeln und zu nutzen, die Big Data-Potentiale heben. Der Paradigmenwechsel liegt nicht darin, Start-up-Erfindungen für einzelne Prozesse und Produkte voranzutreiben, sondern auch vernetzte, großtechnische Systeme, wie sie bisher meist von Großunternehmen realisiert werden, neu zu denken und auf eine andere technologische Basis zu heben und neue Produktkategorien zu begründen und zu schaffen.
Bei German Deep Tech stehen aber auch viele geo-basierte Technologien im Fokus. „Auch hier sind es die Forschungsarbeiten an den Grenzbereichen zwischen Informatik und Mathematik, die den Entwicklungsvorsprung der Firmen im Markt ausmachen. In der Regel sind dies drei bis fünf Jahre“, sagt Hildebrandt. Für die IT-Branche sind dies Welten. Der Wettbewerbsvorteil resultiert bereits aus den Forschungsleitlinien des HPI. „Bei jeder neuen Idee machen wir eine umfangreiche Evaluation des weltweiten Forschungsstandes zu dem Thema. Wir verfolgen meist nur Ansätze, die wirklich neu und noch weitgehend unbearbeitet sind“, beschreibt Döllner.
Firmengründung 1: Seerene GmbH
Die aktuell erfolgreichste Firma des Portfolios ist rein quantitativ gesehen die Seerene GmbH. Das Unternehmen bietet eine SaaS-Plattform, mit der Kunden ihren selbst- oder fremdhergestellten Softwarecode vollautomatisch analysieren und leicht verständlich in Form von 3D-Software- Landschaften darstellen können. Erstmalig gelingt es Seerene mit Software Cartography und Software Analytics, die Daten zu „Code & People” zusammenzuführen. Anwender können mit dieser entscheidungsunterstützenden Plattform intuitiv erkennen, wo bei der Softwareentwicklung ineffizient gearbeitet wird und wo weitere Optimierungspotenziale liegen. „Wir helfen unseren Kunden dabei, in der Softwareproduktion bis zu 30 Prozent effizienter zu werden“, sagt Hildebrandt. Die eingesparte Zeit können die Unternehmen dann wieder in Innovation und Zukunftsgestaltung reinvestieren. Dementsprechend hoch liegen die Erwartungen an die weitere Entwicklung: Seerene hat bereits mehr als 100 Mitarbeiter und unterhält neben Potsdam Standorte in New York, Hongkong, London und San Francisco. Bereits heute sind führende internationale Venture Capitalists eingestiegen und das Unternehmen konnte prominente Köpfe für das Management Board gewinnen.
Firmengründung 2: Targomo GmbH
Weitere Firmen sind stärker in der Geoinformationswirtschaft zu Hause. Die Targomo GmbH (bis vor Kurzem Motion Intelligence GmbH) bietet geografische (Verkehrs-)Netzwerkanalysen, die eine Auswertung in Sekundenschnelle ermöglichen und selbst komplexe Fragestellungen, wie etwa das Traveling-Salesman-Problem (Finden optimaler Routen eines „Handlungsreisenden” mit vielen Besuchsstandorten) effizient lösen. Besonderheit dabei ist, dass sogenannte many-to-many-Routenoptimierungen möglich sind, also eine Analyse von Fahrtzeiten mit beliebig vielen Akteuren ohne Vorbedingungen von Start- und Zielort. Grundlage sind auch bei Targomo modernste mathematische Algorithmen, die zudem rechentechnisch optimiert werden.
Firmengründung 3: Point Cloud Technology GmbH
Die Point Cloud Technology GmbH zielt auf eine Nutzung und Analyse von hochauflösenden 3D-Punktwolken, wie sie heute immer mehr in der Praxis eingesetzt werden. Auch hier liegt das Alleinstellungsmerkmal sowohl in der Qualität der Analyse (automatisierte Objekterkennung innerhalb der Punktwolken) als auch in der verbesserten Handhabung: Sprich, auch massive Datenbestände aus unterschiedlichen Aufnahmezeitpunkten können als hochkompakte 4D-Punktwolke gespeichert und im Web interaktiv visualisiert werden.
Firmengründung 4: 3D Content Logistics GmbH
Bei der 3D Content Logistics GmbH geht es darum, 3D-Inhalte schnell und skalierbar bereitzustellen und interaktiv zu nutzen, insbesondere für Smartphones. Das geht soweit, Kunden sogenannte „actionable Insights” zu geben, also Erkenntnisse zu zukünftigen Planungen, die sofort per Big-Data-Analyse erkennbar sind und managementorientiert verwertet werden können.
„Wir schlagen mit diesen Firmen die Brücke zwischen akademischer Welt und Wirtschaft und schaffen so die Möglichkeit, langfristig am Markt zu agieren“, fasst Hildebrandt zusammen. Daher steht im Fokus, mit ausgewählten Partnern Komponenten für Hochtechnologie zu entwickeln, die in bestehende und neue, immer dynamischer wachsende IT-Lösungen integriert werden können. Schließlich geht es in der vernetzten Welt auch immer darum, gute Ideen möglichst schnell in die Praxis zu bringen.