Unsere Welt ist vernetzt. Alles kommuniziert mit allem. Doch wie lassen sich aus Sensordaten möglichst direkt und effizient smarte Informationen über unsere (Um-)Welt gewinnen? Das möchten Wissenschaftler der Universität Siegen zusammen mit Partnern im Projekt MENELAOS_NT erforschen.
Wir sind von einer Vielzahl von Sensoren umgeben, die permanent die Umwelt vermessen – und dabei eine wahre Datenflut verursachen. Moderne Geoinformationen basieren etwa auf Satellitenmessungen, Luftbildern und/oder mikroskopischen sowie 3D-Darstellungen, die Daten zu den unterschiedlichsten Aspekten liefern. Problematisch wird es, wenn eine bestimmte Fragestellung – möchte man beispielsweise nach einem Hochwasser gezielt sämtliche Überschwemmungsgebiete identifizieren – im Mittelpunkt des Interesses steht. Dann ist es häufig mit großem Aufwand verbunden, die gewünschte Antwort aus der Übermenge an Daten zu extrahieren.
Mehr Daten, als analysiert werden können
Aus diesem Grund möchten Wissenschaftler des Zentrums für Sensorsysteme (ZESS) der Universität Siegen im Forschungsprojekt MENELAOS_NT (Multimodal Environmental Exploration Systems Novel Technologies) Methoden entwickeln, um aus Sensordaten auf direktem Wege smarte Informationen zu generieren – und damit der Datenflut zu entgehen. „Durch die enorme Entwicklung im Bereich der Sensortechnologie stehen uns heute nicht nur enorm viele, sondern auch sehr detaillierte Daten zur Verfügung – mehr, als wir überhaupt analysieren können”, begründet Prof. Dr. Otmar Loffeld, Vorsitzender des ZESS und Koordinator von MENELAOS_NT, den Sinn des Projekts.
Den Big Data-Ansatz, bei dem zunächst sämtliche Daten erhoben und gesammelt werden, um anschließend zu schauen, welche Informationen sich daraus ableiten lassen, hält Loffeld in der Praxis für wenig sinnvoll: „Wenn Sie in den Supermarkt gehen, kaufen Sie ja auch nicht erst alle Regale leer und entscheiden anschließend, welche Produkte Sie zum Kochen brauchen. Sie machen sich vorher eine Liste und wählen danach die benötigten Lebensmittel aus. Ähnlich kann man sich unser Vorgehen bei MENELAOS vorstellen.“
Der Ansatz: Compressed Sensing
Mithilfe neuartiger Technologien Signale und Bilder gezielt so zu erfassen, dass nur die interessanten Informationen herausgefiltert werden, darum geht es den Wissenschaftlern. „Ein vielversprechender Ansatz aus der Mathematik ist in diesem Zusammenhang das Compressed Sensing. Demnach ist es möglich, Signale oder andere Informationsquellen komprimiert zu erfassen. Das bedeutet, dass von Anfang an nur wenige Sensordaten mit hohem Informationsgehalt aufgenommen werden“, erklärt Dr. Miguel Heredia Conde, Projektmanager bei MENELAOS und Gruppenleiter am ZESS.
Veranschaulichen lässt sich das mathematische Prinzip des Compressed Sensing am Beispiel moderner Digitalkameras: Diese haben extrem viele Pixel und produzieren Fotos in so hoher Auflösung, dass sie nachträglich im Chip komprimiert werden müssen, damit die Dateien nicht zu groß werden. Ein Großteil der aufgenommenen Sensordaten erscheint daher gar nicht so nutzbringend – einfacher und ressourcenschonender wäre es also, Fotos gleich in komprimierter Form aufzunehmen. Das Compressed Sensing ermöglicht eine solche Komprimierung mithilfe mathematischer Berechnungen. Voraussetzung dafür ist, dass die jeweilige Informationsquelle „dünnbesetzt“ ist, wie Loffeld erklärt: „Denken Sie zum Beispiel an das Weltall als dreidimensionalen Raum. Darin gibt es beliebig viele Positionen, aber nur an bestimmten Positionen befinden sich Sterne. Beim Compressed Sensing werden nicht alle denkbaren Positionen gemessen, sondern nur einige zufällig ausgewählte Kombinationen.“ Wie viele Messungen benötigt werden, ließe sich dann, so der ZESS-Vorsitzende, mathematisch berechnen und hänge auch davon ab, wie eng diese relevanten Positionen – in diesem Beispiel also die Sterne – beieinanderliegen.
Fokussierte Informationen mit Blick auf eine Fragestellung
Im Rahmen von MENELAOS_NT möchten die Wissenschaftler eine solide Methode entwickeln, um das mathematische Prinzip des Compressed Sensing auf allen Ebenen der Sensortechnologie, der Signalverarbeitung und der Informationsgewinnung anzuwenden. „Dabei gilt es, Messwerte unterschiedlicher Sensorsysteme (optischer und nicht-optischer Sensoren, Systeme der Nah- sowie der Fernerkundung) möglichst geschickt auszuwerten und miteinander zu kombinieren, um fokussierte Informationen im Hinblick auf eine bestimmte Fragestellung zu erhalten“, sagt Conde.
„Wir hätten dann die Möglichkeit, grundlegende Prozesse unserer Umwelt genauer zu beobachten und sie besser zu verstehen. Das wäre im Hinblick auf viele aktuelle Herausforderungen von großem Nutzen – vom Klimawandel, über eine nachhaltige Land- und Forstwirtschaft bis hin zu einer effizienten Ressourcennutzung und dem Schutz von Frieden und Sicherheit in Europa“, erklärt Loffeld. Aber auch für ganz konkrete Anwendungen verspräche die Methode Fortschritte: So könnten selbstfahrende Autos anhand verbesserter, dreidimensionaler Informationen Hindernisse schneller und exakter identifizieren. Und auch die Gestenerkennung von Handys oder in der Robotik ließe sich auf diese Art und Weise verbessern.
Ausbildungsnetzwerk für Doktoranden
Das Projekt MENELAOS wird im Rahmen des EU-Programms für Forschung und Innovation, „Horizont 2020“, mit rund 3,7 Millionen Euro durch die Europäische Kommission gefördert und ist eines der größten Forschungsprojekte der Universität Siegen. MENELAOS_NT ist darüber hinaus als Ausbildungsnetzwerk für insgesamt 15 Doktoranden konzipiert. Neben der Universität Siegen sind zehn weitere namhafte Partner (Universitäten, Forschungseinrichtungen und Industriepartner) am Forschungsprojekt beteiligt: Das Fraunhofer FHR, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt, das Siegener Unternehmen pmdtechnologies ag, die AMO GmbH aus Aachen sowie das Weizmann Institute of Science (Israel), das Research Center for Spatial Information (Rumänien), die Sabanci Universität (Türkei), das Centro Singular de Investigación en Tecnoloxías da Información (Spanien), die Gamma Remote Sensing AG (Schweiz) und das Institu Engineering (Spanien). Die Federführung liegt bei der Universität Siegen. Projektstart ist im Januar 2020, die Laufzeit beträgt vier Jahre. (jr)