Nicht nur Dächer bieten Platz für technische Anlagen zur Stromgewinnung. Auch Fassaden könnten bei Energiewende und Bodenschutz eine bedeutende Rolle spielen. Das Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR) hat gemeinsam mit dem Fraunhofer ISE das theoretische Flächenpotenzial für PV-Anlagen an Fassaden für Deutschland erhoben. Mit einem überraschenden Ergebnis.
Die Solarenergie auf dem Hausdach hat sich deutschen Gebäudesektor schon längst etabliert. PV-Anlagen auf Dächern gehören mittlerweile fest zum Stadtbild dazu. Vielerorts geben darüber hinaus Solarkataster Auskunft über das solare Potenzial – also darüber, wie viel Energie auf Hausdächern aus Sonnenstrahlen gewonnen werden kann. Die Kommunen wollen damit Anreize setzen, sich für die Installation einer PV-Dachanlage zu entscheiden. Doch wie steht es um die Fassaden der Gebäude? Wie viel potenzielle Fläche bieten sie für die Gewinnung erneuerbarer Energien?

Wie vertikale Photovoltaikmodule an einer Gebäudefassade aussehen können, zeigt dieses Hochhaus in Freiburg im Breisgau. Insgesamt hat das IÖR eine potenzielle Nutzfläche von rund 12.000 Quadratkilometern allein in Deutschland ausgemacht. Bild: picture alliance / imageBROKER | Daniel Schoenen
12.000 Quadratkilometer potenzielle Fläche
„Für das Ziel der Bundesregierung, im Gebäudebestand bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen, wird es nicht ausreichen, auf allen geeigneten Dächern in Deutschland Solaranlagen zu installieren“, erklärt Dr. Martin Behnisch vom Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR). Aus diesem Grund hat das IÖR im Projekt Standard-BIPV in enger Kooperation mit wissenschaftlichen Partnern wie dem Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE), dem Institut für Angewandte Bauforschung Weimar (IAB), dem Lehrstuhl für Geoinformatik der TU München sowie mit Praxispartnern der Solarenergie zusätzlich die Fassaden von Gebäuden hinsichtlich ihrer Eignung für vertikale PV-Anlagen genauer untersucht. Gefördert wurde das Vorhaben durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Auf Basis amtlicher Geodaten hat das Team um Dr. Behnisch am IÖR untersucht, welche Flächenpotenziale für bauwerksintegrierte Photovoltaik (BIPV) die Gebäudefassaden in Deutschland bieten.
Die dabei ermittelten Zahlen sind laut Dr. Behnisch überraschend und beachtlich zugleich: „Das theoretische Flächenpotenzial lässt sich auf rund 12.000 Quadratkilometer Fassadenfläche und knapp 6.000 Quadratkilometer Dachfläche beziffern.“ Gebäudefassaden böten damit rund doppelt so viel potenzielle Fläche für PV-Module wie Dächer. Zum Vergleich: Das entspricht im Gesamten in etwa der Fläche von Mecklenburg-Vorpommern. „Allerdings müssen wir dabei auch betonen, dass es sich im Moment noch um theoretische Flächenpotenziale handelt“, schränkt der IÖR-Wissenschaftler ein.
Basis: Bundesweite amtliche Geodaten
Denn die Ergebnisse haben Pioniercharakter: Sie fußen auf Daten, die die Verhältnisse in der Realität zum Teil stark vereinfachen. Für ihre Untersuchung haben die Forschenden ein 3D-Gebäudemodell des Bundesamtes für Kartographie und Geodäsie (BKG) analysiert. Es enthält Informationen zum gesamten Gebäudebestand der Bundesrepublik. Jedes Haus ist dabei als Klötzchen mit Flachdach verzeichnet. Detaillierte Dachformen und daraus resultierende Giebelwände, Fenster, Türen, Auskragungen wie Balkone sowie andere Installationen sind um Gebäudemodell des BKG nicht berücksichtigt. Sie sind in den ermittelten Flächenpotenzialen dementsprechend noch nicht eingerechnet – ebenso wie Aspekte des Denkmalschutzes oder der hochwertigen Fassadengestaltung. Gebäudefassaden, die sich berühren und damit für die Installation von PV-Anlagen nicht in Frage kommen, hat das Forschungsteam hingegen bereits herausrechnen können. Hinzu kamen Detailanalysen in drei Fokusgebieten: Den Städten München, Freiburg und Dresden sowie einer bundesweiten Stichprobe von 100.000 Gebäuden.

Wo viele Menschen wohnen, stehen auch viele Gebäude. Damit ist auch das theoretische Flächenpotenzial der Häuserfassaden für die bauwerksintegrierte Nutzung von Photovoltaik besonders groß – die Karte zeigt Flächen-Hotspots in Deutschland. Bild: Behnisch et al./IÖR
Darüber hinaus haben die IÖR-Wissenschaftler in enger Zusammenarbeit mit einem Team um Prof. Thomas H. Kolbe von der TU München für alle Dach- und Fassadenflächen die solare Einstrahlung modelliert sowie visualisiert und so den möglichen solaren Energieertrag kleinräumig analysieren können. Dafür hat das Team nicht nur auf detaillierte Gebäudemodelle mit ihren individuellen Dachformen zurückgegriffen. Vielmehr wurden auch die Umgebung der Gebäude, beispielsweise Bäume und ihr Schattenwurf oder die Verschattung durch andere Gebäude sowie das Gelände und umgebende Berge, in die Berechnungen mit einbezogen.
PV an Gebäuden besser planbar
Im Ergebnis entstanden so verschiedene Visualisierungen zu Flächenpotenzialen und möglichen Solarenergieträgern in Deutschland. Auf diese Weise lasse sich, so Behnisch, zum Beispiel die räumliche Verteilung der Flächenpotenziale in Deutschland aufzeigen. Deutlich werde außerdem: Wo viele Menschen auf relativ engem Raum leben, ist auch das Potenzial für bauwerksintegrierte PV-Module besonders hoch. Das ist zum Beispiel in den Ballungsräumen Rhein-Main, Rhein-Neckar und Rhein-Ruhr der Fall, ebenso wie in den städtischen Ballungszentren Berlin, Hamburg, Bremen, München oder dem Sachsendreieck Dresden-Leipzig-Chemnitz. Die Modellierung der potenziellen Sonnenergieerträge am Beispiel konkreter Gebäude mache laut IÖR-Wissenschaftler Behnisch außerdem deutlich, dass sich die Installation von PV-Modulen an Fassaden vor allem bei großen Gebäuden wie Produktionshallen, Bildungseinrichtungen oder öffentlichen Gebäuden lohnt. „Aber auch große Wohnkomplexe wie Hochhäuser bieten durchaus großes Potenzial für die Installation von Photovoltaik“, führt der Forscher aus.
Das Projektteam im IÖR sieht die gewonnen Daten als ersten Schritt zu einer besseren Planung der Energiegewinnung an Gebäuden. „Die Daten müssen an den konkreten Standorten noch durch genauere Analysen spezifiziert werden. Aber sie geben doch einen Eindruck davon, welche großen Potenziale in bauwerksintegrierter Photovoltaik schlummern. Vor allem mit Blick auf die Ziele zur CO2-Einsparung sind das wichtige Ansatzpunkte“, so Behnisch. „Jedes Photovoltaik-Modul, das wir an einer Hausfassade installieren, hilft dabei, Natur und kostbaren Boden zu schonen, denn es macht den Bau flächenintensiver Solarparks überflüssig.“ (jr)