Mit dem viDoc kommt bei einem BIM-Pilotprojekt in Baden-Württemberg ein weltweit einzigartiges Werkzeug von vigram zum Einsatz. Es macht das iPhone zum Multi-Measurement-Tool für die einfache Erfassung von Bestandsdaten für alle Projektbeteiligten.
Beim Ausbau der B29 im Ostalpkreis will das Land Baden-Württemberg einen Meilenstein bei der Digitalisierung des Straßenbaus leisten. Das offizielle BIM-Pilotprojekt will zeigen, dass mit der neuen Methode Projekte effizienter geplant, gebaut und überwacht und demnach die geplanten Kosten und Termine zuverlässig eingehalten werden können.
Drei Fragen an Heiko Engelhard, Leitender Baudirektor beim Regierungspräsidium Stuttgart
Welche Erkenntnisse zu BIM sollen realisiert werden?
Aus der Baupraxis lernen für die Planung. Darum geht es. Das Land Baden-Württemberg treibt die Digitalisierung im Straßenbau intensiv voran. Dadurch soll in Zukunft effizienter geplant, gebaut und überwacht werden. Wir sehen da viel Potenzial für transparentere Planung sowie kostenbewusstes und nachhaltiges Bauen. Und vor allem auch Erhalten. Denn die Phase des Erhaltens ist rund zehnmal so lang wie die Bauphase. Im Wesentlichen geht es darum: wie setzen wir BIM in der Praxis auf einer konkreten Baustelle um? Denn im Grundsatz ist BIM ja zunächst einmal eine neue Denkweise. Eine zentrale Erkenntnis wird also sein: von der Denkweise in die Handlungsweise zu kommen. Was bedeutet das für konkrete Abläufe? Welche Technologien brauchen wir dafür? Welche Anwendungsfälle sind prädestiniert?
Warum haben Sie sich für den Einsatz der vigram Produkte entschieden?
BIM in der Praxis zu erproben und zu etablieren ist ein Entwicklungsprozess. Und zwar ein gemeinsamer. Dafür brauchen Sie einen Partner, der den Prozess genau versteht und der ihn mitgeht. Denn hier geht es nicht um Produkte von der Stange. Sondern um Technologien, Produkte und das Zusammenspiel von Hardware und Software, die eine ständige Wechselwirkung erfahren: in dem was sie können und in dem was an Bedarf im konkreten Einsatz entsteht. Hierzu sind wir in einem echten Miteinander. Und die Produkte? Ich sag es mal so: das Label „smart“ wird ja heutzutage schnell verteilt. Das viDoc ist es wirklich. Es trägt den Geist, die Dinge einfach machen zu wollen. Und nutzbar zu sein für jeden auf der Baustelle. Das kommt aus der Praxis für die Praxis. Und in den vigram Apps setzt sich das fort.
Wofür werden sie genau eingesetzt?
Zentral ist die as-built Dokumentation. Zu erfassen und zu dokumentieren, was wirklich gebaut worden ist. Und den digitalen Zwilling des echten Bauwerks zu erstellen. Ganz entscheidend bei den beiden Brückenbauwerken: zu wissen wo ist welche Bewehrung verbaut worden. Oder bei den Kanalarbeiten zu wissen, wo genau welche Leitungen liegen. Dazu haben wir konkrete BIM Anwendungsfälle definiert, wie Überwachung und Dokumentation. Aber auch Abrechnung und Abnahme. Um die Daten just-in-time zu erfassen, gehört auch die Echtzeitsynchronisierung von 6 viDocs und 2 UAV Drohnen. Der Bauüberwacher vermisst einen Schacht. Der Polier überprüft die Rohrlage des Kanals. Der Baggerfaher erstellt ein Video der Erdmassenbewegung. Der Auftraggeber überprüft die Bewehrung. Der Vermesser dokumentiert per Drohne. All das passiert zeitgleich. Und real auf unserer BIM-Pilotbaustelle. (sg)
Game Changer in der Vermessung
Ein hoher Anspruch also, der aber, soviel lässt sich bereits neun Monate nach Spatenstich beurteilen, in Teilen eingelöst werden konnte. Denn in einem Baulos des Projektes wurde ein innovatives Vermessungsmodul eingesetzt, das erstmals eine hochgenaue 3D-Vermessung und Dokumentation per Smartphone ermöglicht: Das viDoc ist ein Zusatzmodul der Firma vigram GmbH für ein iPhone oder ein iPad, das aus den Standardgeräten professionelle Vermessungswerkzeuge mit höchster Präzision macht. Es integriert GNSS, Laserscanner und RTK in die Geräte und sorgt dafür, dass Anwender 3D-Modelle mit einer Genauigkeit von bis zu 1cm + 1ppm erzeugen können. „Weltneuheit made in Baden-Württemberg“ titelte etwa Verkehrsminister Winfried Hermann im Dezember 2020 über das viDoc, als das BIM-Pilotprojekt erstmals der Presse vorgestellt wurde.
vigram hatte das viDoc in den letzten zwei Jahren praxisnah entwickelt, unter anderen kamen Prototypen bei Projekten der Deutsche Bahn Engineering & Consulting oder dem Verkehrsministerium von Baden-Württemberg zum Einsatz. Im April erfolgte nun der offizielle Verkaufsstart des Produktes. „Wir haben schon bei den Vorführungen der ersten Prototypen vor allem die Fachleute davon überzeugt, dass ein Smartphone hochgenaue 3D-Modelle generieren kann“, so Nicolai Nolle, Co-Founder von vigram.
Praxiserprobt an der B29
In dem Pilotprojekt der B29, eines von acht seiner Art in Baden-Württemberg, wird vor allem auf die Bauausführung fokussiert – also jenen Teil des BIM-Lebenszyklus, der bisher am wenigsten digitalisiert ist. Im Mittelpunkt steht der im BIM-Stufenplan definierte Anwendungsfall 15 Baufortschrittkontrolle.
Das Bauprojekt der B29 ist zwar nicht allzu lang, dafür sehr komplex und abwechslungsreich. Auf zwei Kilometern Strecke befinden sich zwei Brücken sowie umfangreiche Kanal- und Erdbauarbeiten. vigram hat als Dienstleister mit bis zu sechs Geräten für eine möglichst lückenlose Bestandserfassungen gesorgt und den Baufortschritt täglich erfasst. Zudem wurden auch Teile der ingenieurtechnischen Vermessung durchgeführt.
Dabei kann das viDoc sehr flexibel in diversen Anwendungsfällen von den einzelnen Projektbeteiligten eingesetzt werden. Als Multisensorsystem beinhaltet es eine photogrammetrische Datenerfassung, einen hochgenauen GNSS-Sensor sowie zwei laserbasierte Distanzmesser. „Gezielte Schulungen und ein wenig Anwendungsroutine vorausgesetzt, vermessen damit auch ungeübte Bauarbeiter wie Poliere oder Baggerfahrer“, beschreibt Nolle.
Einfache Bedienung kommt an
Die Anwendung sei spielend leicht und einfach. Nach dem Einmessen von Passpunkten per Laser erfasst der Nutzer den zu dokumentierenden Gegenstand via Smartphone-Kamera. Er kann sich dabei entscheiden, ob er dies filmend (videogrammetrisch) oder per Foto macht. Daraufhin modelliert die integrierte neue App Pix4Dcatch des Schweizer Softwareentwicklers Pix4D aus den Kameraaufnahmen cloudbasiert ein 3D-Modell. „Bei einfachen Projekten wie beispielsweise dem Erfassen von Erdmassen hat der User in weniger als 30 Minuten eine komplette 3D-Punktwolke“, beschreibt Nolle. 3D-Modellierung habe dabei aufgrund des Zusammenspiels von Photogrammetrie und hochgenauem GNSS eine Genauigkeit, wie man es bisher nur von Speziallösungen (GNSS, 3D-Laserscanner etc.) kannte. Zudem müsse der Bauablauf nicht unnötig gestört werden. Auch Absteckungen wurden bei dem B29-Projekt durchgeführt. Das Übertragen der Modellgeometrien in die Baustelle etwa für Achsen, Schächte oder Fundamente wird einfach mit Unterstützung des Smartphone-Displays durchgeführt. Kombiniert wurde die terrestrische Vermessung via viDoc noch mit klassischen Vermessungen und der UAV-Photogrammetrie.
Vernetzung und Kollaboration
Schwerpunkt der Aufnahmen waren bei dem Projekt Kanal- und Erdarbeiten, sowie verschiedene Bauwerkszustände. „Wir waren überrascht, wie kreativ die einzelnen Sensor-Komponenten des viDoc auch von den Fachlaien genutzt wurden“, so Nolle. Auch die intelligente Fotodokumentation kam beispielsweise bei der Bauoberleitung sehr gut an.
Das Land BW hat geplant Handlungsempfehlung für die Verwendung des viDoc abzugeben. Schon jetzt sei aber, so Nolle, „allen Anwendern sehr schnell klar ist, wie gut das Gerät in der Praxis funktioniert und wie sie es gewinnbringend einsetzen können“.
Als Software kam die vigram Site App teamübergreifend zum Einsatz. „Damit wurde die Baustelle von der Baufirma, der Bauüberwachung und den Vermessern kollaborativ dokumentiert“, beschreibt Nolle. Ganz im Sinne der BIM-Modellierung werden die erfassten Daten zentral gesammelt, geprüft und weiterverarbeitet. So entstehen klassifizierte Punktwolken oder Digitale Geländemodelle (DGMs). Die erzeugten Modellierungen haben viele Funktionen erfüllt, etwa im Bereich der Abrechnungen oder bei der Sicherheit- und Gesundheitskoordination.
Zudem hat vigram Augmented-Reality-Funktionen entwickelt, die ein besseres Verständnis aller am Bau beteiligten Akteure unterstützen. Diese werden etwa bei Bauüberwachung, Abrechnung, Kontrollvermessung oder dem Bauwerks-Monitoring einfach genutzt. Die Modelle werden auch mit bestehenden Planmodellen kombiniert beziehungsweise verglichen. So werden Probleme schneller erkannt und gelöst. (sg)