Im Zuge von Big Data verschmelzen die Grenzen zwischen reinen Geomarketing- und sozialen Marktforschungsmethoden, denn Standort- und Mobilitätsdaten sind eng verknüpft mit demographischen Informationen. Ist heutzutage die Bezeichnung Geomarketing überhaupt noch treffend und zeitgemäß? Business Geomatics sprach mit Michael Herter von infas360.
Business Geomatics: Herr Herter, heute stehen so viele Daten wie nie zuvor für Marketing und Vertrieb in Unternehmen zur Verfügung. Wie verändert sich die bisher als Geomarketing bezeichnete Disziplin?
Michael Herter: Zunächst mal muss man wissen, dass Geomarketing eine Summe an verschiedenen Verfahren und Methoden bezeichnet, innerhalb derer Geodaten im Umfeld von Industrie und Handel eingesetzt werden. Die Methoden waren und sind nichts anderes als ein Mittel zum Zweck. Es geht immer um klassische betriebswirtschaftliche Fragestellungen wie beispielsweise Umsatz- oder Renditesteigerung. Mit Big Data – also einer hohen Menge an Daten und deren vielfältige Quellen und Strukturen – ändert sich die Ausgangslage. Das Marketing wird Daten-getrieben. Mittels neuer Softwarelösungen haben Unternehmen heute völlig neue Möglichkeiten, bessere, schnellere und mitunter auch günstigere Informationen zu erhalten. Demnach erweitert sich auch das Geomarketing-Besteck um die neuen Methoden. Und umgekehrt nutzen auch andere Anwendungsfelder wie Business Intelligence, CRM oder auch die Marktforschung neuartige Datenquellen und Geo-Methoden, um die Ergebnisse zu verbessern.
Welche der klassischen Anwendungen werden wichtiger?
Klassische Analysen auf Basis der Daten wie zum Beispiel die Geocodierung oder das Gravitationsmodell verlieren zwar nicht an Bedeutung, treten aber in der Wahrnehmung in den Hintergrund. Das gilt im Übrigen für den gesamten Anwendungsbereich. Die wichtigste Entscheidung treffen Unternehmen zu dem Zeitpunkt, wenn sie alle relevanten Datenquellen sichten und aus wirtschaftlicher Sicht über deren Nutzung entscheiden. Oft wird heute aus der Sicht der Anwendung heraus gedacht, was die Gefahr mit sich bringt, dass Potentiale unentdeckt bleiben.
Und wo liegen Chancen?
Wer die Datenpotentiale erkennt und intelligent auswertet, gewinnt das strategische Wissen um die Märkte und kann so Unternehmen optimal steuern und Produkte marktgerecht designen. Der Druck dazu ist riesig. Heute verkürzt sich die durchschnittliche Lebensdauer von Unternehmen immer mehr und auch ehemalige Marktriesen verschwinden. Das gilt nicht mehr nur für Technologiefirmen, sondern auch für Handels-Unternehmen oder Versicherungen. Wer heutzutage die richtigen Erkenntnisse aus Daten ziehen kann, kann auch die Zukunft gestalten.
Wie konkret kann das aussehen?
Ein gutes Beispiel liefert derzeit die Automobilbranche. Als die drei großen deutschen Oberklassehersteller den Kartenhersteller Here gekauft haben, wurde das meist vor dem Hintergrund der Navigation gesehen. Ein weiteres und vielleicht wichtigeres Ziel ist es aber, an Daten zum Verkehr und zur Verkehrsnutzung zu kommen. Here arbeitet derzeit intensiv an Big-Data-Ansätzen, bei denen aus extrem vielen Daten sehr schnell Informationen abgeleitet werden können. Die Daten stammen aus der „Connected Mobility“, also dem Zusammenspiel aus Internet-fähigen Autos und der Sensorausstattung der Fahrzeuge.
Es geht nicht nur um die technische Entwicklung des autonomen Fahrens, sondern darum, das Nutzungsverhalten besser zu kennen. Aus dem Bewegungsprofil eines Fahrzeuges kann man zum Beispiel aussagekräftige Life-Styleoder Konsum-Profile erstellen. Die Datenauswertung kann de facto auch eine Form der datengetrieben Verhaltensforschung sein.
Wo liegen weitere Rückwirkungen dieser Big-Data- Ansätze auf die bisherigen Fachbereiche?
Das Beispiel zeigt auch, wie und warum Geomarketing und Marktforschung enger zusammenwachsen: Big Data können heute – intelligent ausgewertet – viele Teile der Marktforschung ersetzen, die sich bisher auf stichprobenartige Interviews oder Online-Befragungen gestützt hat. Quasi eine Marktforschung ohne Befragung. Das geht soweit, dass sogar die Sozial- und Wirtschaftsforschung davon profitieren kann: Man kann über Big Data neuartige Erkenntnisse über Mobilitätsverhalten, Freizeit und Konsum gewinnen. Big Data wird das klassische, sozialwissenschaftlich geprägte Methodenbesteck ergänzen und erweitern.
Wie weit sind Industrie und Wirtschaft mit den Kenntnissen über Big-Data-Ansätze?
Die Aufmerksamkeit, wenn es um das Buzz-Word „Big Data“ geht, ist extrem hoch. Man erkennt die Notwendigkeit und spürt den wirtschaftlichen Nutzen. Mit konkreten Ansätzen steht man allerdings erst am Anfang. Allerdings herrscht meist ein pragmatisches Vorgehen vor. Man stützt sich vor allem im Mittelstand auf bekannte Werkzeuge. Der Auswertung von Daten, die im Unternehmen wuchern oder unstrukturiert internetbasiert vorliegen, begegnet man noch mit Skepsis – oder man erkennt sie gar nicht. In den Kunden-Projekten erleben wir dementsprechend viele Aha-Effekte!
Welche Qualifikation ist gefordert, um die Datenschätze zu heben?
Eine interessante Frage! Man muss den Umgang mit Daten und deren Strukturen verstehen. Da sind tatsächlich Soziologen und Sozialwissenschaftler im Vorteil. Ich verweise hier zum Beispiel auf das „DataFest“, das von der Universität Mannheim und LMU München veranstaltet wird. Bei dem Wettbewerb geht es darum, innerhalb von interdisziplinären Teams große Datenmengen zu bearbeiten und auszuwerten.
Hier arbeiten naturwissenschaftlich geprägte Disziplinen wie Mathematik, Physik und IT/Informatik mit Statistikern und Sozialwissenschaftlern zusammen.
Ist vor dem Hintergrund des Big-Data-Ansatzes die Bezeichnung Geomarketing überhaupt noch sinnvoll?
Mikromarketing und Geomarketing sind unser Spezialgebiet! Von der anvisierten Zielgruppe über den passenden Standort bis hin zur aufmerksamkeitsstarken Botschaft für den richtigen Werbekanal: Wir liefern exakte Daten, erstellen Zielgruppenanalysen, Standortanalysen, finden ihr Marktpotenzial und optimieren Ihre regionale (Online)-Werbung. Sprechen Sie uns an.
Geomarketing. Das Datenspektrum umfasst feinräumige konsistente
Georaster, amtliche Marktdaten, mikrogeographische Informationen auf
Basis von 23 Mio. Häusern, B2C-, B2B- und POI-Adressen. Umfassendes
analytisches Know-how in Standortanalyse und Vertriebssteuerung bilden
die Basis für erfolgreiche Kundenprojekte.
Wir wissen, räumliche Analysen schaffen Fakten und neue Perspektiven. Mehr als 400 Unternehmen vertrauen der WIGeoGIS und ihren Geomarketing-Produkten.
In Zeiten von Big Data müssen die Marketing-Disziplinen fließend ineinander übergehen. Das heißt aber nicht, dass man sein Grundwerkzeug nicht beherrschen muss. Idealerweise sehe ich eine Qualifikation so, dass es eine Art Grundausbildung zum Data Scientist geben sollte und erst dann die jeweiligen Schwerpunktanwendungen wie etwa Standortplanung, Marktforschung oder Stichprobenziehung vertieft werden.
Wie äußern sich diese Trends konkret bei der infas360?
infas360 lebt unter anderem von den Synergien, die sich innerhalb der infas-Holding ergeben. Das betrifft also vor allem die Marktforschungskompetenz. Bestes Beispiel ist derzeit immer noch die Small-Area-Methodik. Diese verbessert die regionale beziehungsweise lokale Prognose von Daten deutlich. SAM setzen wir nicht nur in Kundenprojekten mit ein, vor allem um aus Stichproben belastbare überregionale Statistiken zu generieren. Wir nutzen die Methodik auch zur Weiterentwicklung des eigenen Datenportfolios.
Grundsätzlich gilt: Die Kernkompetenz der infas 360 liegt im Data Driven Research, das heißt aus Sicht des Kunden: die richtige Auswahl von Daten und Methoden treffen, die zur Beantwortung der Fragestellung am sinnvollsten für das Unternehmen ist.