Forschende der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL haben ein Modell entwickelt, das auf digitalisierten Luftbildern aus der Nachkriegszeit Lebensräume wie Wald, Gewässer oder Obstwiesen identifizieren kann. Damit wollen sie nun eine historische Lebensraumkarte der Schweiz erstellen.
Die Landschaft der Schweiz hat sich seit der Nachkriegszeit stark verändert: Flurbereinigungen, Autobahnen und Zersiedelung haben wichtige Lebensräume für Tiere und Pflanzen verändert, vernichtet oder zerstückelt. Doch wie groß sind diese Veränderungen im Vergleich zu heute? „Diese Frage wird uns oft gestellt“, sagt Bronwyn Price von der WSL-Gruppe Fernerkundung. Dank Luftbildern von 1946, die die US Army Air Forces nach Ende des Zweiten Weltkrieges in der Schweiz gemacht hatten und die seit 2019 öffentlich zugänglich sind, hat die Forscherin sie nun untersucht – und mit ihrem Team ein Computermodell entwickelt, das die historischen Bilder in digitale Lebensraumkarten umsetzt.
Typische Regionen als Beispiel

Das neue Modell kann auf Bildern in schwarz/weiß verschiedene Lebensraumtypen identifizieren und sie so in historische Lebensraumkarten umarbeiten. Quelle:(links), SWISSIMAGE HIST 1946 swisstopo; Karten (rechts): WSL)
Die Forschenden prüften zunächst, ob die Schwarz-Weiß-Bilder helfen, die Verbreitung der damaligen Lebensräume digital darzustellen. Dazu wählten sie acht sehr unterschiedliche und für die Schweiz typische Regionen aus. „Insbesondere Obstgärten und Rebberge sind interessant, da sich ihre Fläche seit 1946 stark verändert hat“, sagt Price.
Mit Expertenwissen, historischen Karten und zusätzlichen Daten, etwa zur Topografie oder zum Klima am entsprechenden Ort, trainierten die Forschenden ein Computermodell darauf, die Bilder auszuwerten. Das war nicht einfach: „Der Computer konnte zum Beispiel Flüsse und Straßen zuerst nur schlecht unterscheiden, oder lockeren Wald von Gebäuden. Mit Hilfe mehrerer Kontrollschritte verbesserten die Forschenden die Trefferquote. Mit Erfolg: «Das Modell zeigt an, wie verbreitet welche Lebensräume in den 1940er-Jahren in den untersuchten Regionen waren“, sagt Price.
Wichtige Informationen für den Naturschutz
Solche Informationen sind beispielsweise im Naturschutz wichtig: „Manchmal kommen Arten außerhalb ihrer angestammten Lebensräume vor, an Stellen, an denen man sie nicht erwartet“, erklärt Price. „Auf einer Lebensraumkarte, die den historischen Zustand zeigt, kann man dann schauen, ob an dieser Stelle früher vielleicht der ‘richtige’ Lebensraum existierte und die Art einfach noch nicht verschwunden ist.“ Aussterbeschuld nennen die Fachleute dieses Phänomen. Eine historische Lebensraumkarte könnte helfen, solche ‘Schulden’ zu identifizieren und dadurch erlauben, bedrohte Populationen zu unterstützen.
Auch Vergleiche mit der digitalen Lebensraumkarte der Schweiz, die die Forscherin und ihr Team im Auftrag des Bundesamts für Umwelt BAFU entwickelt haben, sind möglich. „Die historische Karte unterscheidet zurzeit allerdings noch weniger Lebensraumtypen als die aktuelle“, schränkt Price ein. Die Forscherin und ihr Team arbeiten in einem Folgeprojekt bereits daran, das Modell weiter zu verbessern. So soll etwa eine Künstliche Intelligenz lernen, die Umgebung von ‘unklaren’ Objekten auf den Bildern – etwa einzelnen Bäumen oder Gebäuden – bei der Identifikation mit einzubeziehen.
Eine Karte für die ganze Schweiz
Zudem werden sie eine historische Lebensraumkarte für die ganze Schweiz erstellen – und das nicht nur für 1946, sondern mithilfe neuer Bildquellen auch für spätere Daten. Dies wird erlauben, Muster und Trends in den Veränderungen der Lebensräume der Schweiz in den vergangenen siebzig Jahren zu untersuchen.