Migros, die größte Detailhändlerin der Schweiz, hat ihr Supply Chain Management digitalisiert und setzt dabei auf die GIS-Kompetenz von Esri Schweiz. Das weltweite Liefermanagement ist in der selbst entwickelten Monitoring-Software LTOPEX Tower gebündelt.
Die Herbstferien stehen an und der Handel bereitet sich auf den Verkaufsstart saisonaler Artikel vor. Für manch urlaubsfreudigen Kunden steht dann noch kurzfristig der Kauf eines passenden Koffers auf dem Programm – entweder, weil der alte nicht mehr funktionstüchtig ist, es diesmal einfach ein größerer oder auch kleinerer sein muss. Für Handelsunternehmen bedeutet das: Eine nahtlose Lieferkette muss gewährleistet sein. Denn wenn die Warenlieferung sich verzögert – und ein beworbenes Produkt im schlimmsten Fall überhaupt nicht in den Regalen steht – drohen hohe Umsatz- und Image-Verluste. Der Migros-Genossenschafts-Bund (MGB), das größte Detailhandels- unternehmen der Schweiz, muss sich solchen und anderen Herausforderungen stellen.
Logistik ist für alle Handelsunternehmen ein zentraler Erfolgsfaktor. Eine optimierte Supply Chain liefert besten Anschauungsunterricht für das Potenzial der Digitalisierung von Arbeitsprozessen. Mit der selbst entwickelten Logistik-Monitoring-Software LTOPEX Tower setzt der MGB auch international neue Maßstäbe. Im Sommer wurde der Detailhändler in den USA für seine Lösung mit dem globalen SAG Award ausgezeichnet.
Engpässe in der Lieferung gilt es strikt zu vermeiden. „Der Kunde will das Produkt schnell haben und nicht darauf warten müssen“, sagt Thomas Wunderli, Leiter IT Logistik und Transport beim MGB. Ebenso müssen der Zeitpunkt der Lieferung und die Bewerbung einer Produktaktion aufeinander abgestimmt sein: Da zum Beispiel vor der Urlaubszeit der Bedarf an Reisekoffern hoch ist, muss die Sonderaktionsware pünktlich in den Regalen stehen und mit entsprechendem Vorlauf beworben werden. Damit dies planmäßig funktioniert, bedarf es eines umfassenden Managements der Lieferkette, einem sogenannten Supply Chain Management.
Dies hat bei Migros globale Ausmaße. Der Detailhändler beschafft rund die Hälfte aller Waren außerhalb Europas. Rund 10.000 Container werden dafür jährlich über den Seeweg transportiert.
Die Logistik von A bis Z auf einen Blick
Migros setzt dabei auf eine nachhaltige Digitalisierungs-Strategie, bei der die geographische Komponente eine herausragende Rolle spielt. Der Handelsriese entwickelte gemeinsam mit dem GIS-Spezialisten Esri eine kartenbasierte Kommandozentrale für das Supply Chain Management, den sogenannten LTOPEX Tower. Das Ziel: Die komplexen Daten der Supply Chain werden in konkrete Informationen verwandelt und zentral und anschaulich dargestellt.
Die Steuerung der Lieferkette hängt von vielen Faktoren und Partnern ab, wie Wunderli erklärt. In der Supply Chain stellen Hersteller, Transportunternehmen, Häfen und Zollstellen Schnittstellen dar, die für eine rechtzeitige Lieferung überwacht werden müssen. Denn bei Bestellungen kann eine einzige Verzögerung bereits die Planung von Migros gefährden. Der Leiter für IT in Logistik und Transport erklärte dies anschaulich auf der Esri GIS Talk im November 2018 in Bonn: „Das Marketing-Team bei Migros hatte eine Koffer-Aktion kurz vor den Herbstferien geplant. Die Koffer dafür wurden bereits im Frühjahr bestellt.“ Die Planung sei zeitlich korrekt abgelaufen, doch dann: „Das Dilemma kam. Der Lieferant teilte uns mit, dass die Koffer später geliefert werden“. Mit dem neuen Lieferdatum wäre die Ware allerdings erst nach den Herbstferien angekommen – viel zu spät für die geplante Aktion. „Wir wären auf der Ware sitzen geblieben – inklusive aller zugehörigen Kosten“, so Wunderli.
Liefermanagement auf GIS-Basis
Ein Ereignis wie dieses sei kein Einzelfall, sondern eine Herausforderung, mit der Händler regelmäßig konfrontiert würden. „Bei einer verspäteten Lieferung ist eine schnelle Reaktion nötig, um im Plan zu bleiben“, sagt Wunderli. Genau dafür ist der LTOPEX Tower gedacht: „Da die Lieferung immer in einem örtlichen Zusammenhang steht, haben wir uns entschieden, nicht auf Excel-Listen zu setzen, sondern ein geographisches Informationssystem für das Liefermanagement zu nutzen.“
Die webbasierte Applikation fasst alle Informationen zu Lieferungen zentral zusammen und stellt sie im Mission Control – quasi der Startseite der Applikation – bereit. Sie umfasst neben Kartendarstellungen auch Tabellen, Statistiken und Visualisierungselemente, die aus dem Computerspielbereich stammen, um eine intuitive Übersicht zu schaffen. Für die Verarbeitung und Bündelung der Daten werden Algorithmen eingesetzt. „Die Software folgt dem Single Point of Truth-Prinzip“, sagt Wunderli. Der LTOPEX Tower überwacht Perfor- mancewerte und Events über die gesamte Lieferkette und alle Migros-Partner hinweg. Die Daten im LTOPEX Tower sind nicht nur gebündelt, sondern auch allgemeingültig und für jeden Anwender von gleicher Qualität, wie Wunderli herausstellt.
Die Anwendung ermöglicht eine proaktive Steuerung der Supply- Chain-Prozesse, ein durchgängiges Track&Trace über alle Transporte und das Controlling aller Vertragsvereinbarungen (SLAs) auf Kunden- und Lieferantenseite. Der LTOPEX Tower bedient sich verschiedener Technologien von Esri. In der Lösung für das Supply Chain Management kommen ArcGIS Enterprise, ArcGIS Geo- Event Server, ArcGIS API for JavaScript sowie Web AppBuilder for ArcGIS, ArcGIS Desktop und ArcPy zum Einsatz.
Schnelle Reaktion auf Verzögerungen
Im Mission Control von LTOPEX Tower werden alle für die Lieferungen an Migros genutzten Transportarten dargestellt. Linien zeigen die aktuell laufenden Transporte an das Handelsunternehmen in Echtzeit an, wie Wunderli in seiner Präsentation zeigt. Zudem werden die unterschiedlichen Destinationen der Lieferungen sowie Verspätungen und Risiken für verschiedene Transporte für die Disponenten bei Migros auf einen Blick dargestellt.
Die Visualisierung von Abweichungen, Trends und Key Performance Indicators (KPIs) hilft dabei, schnell auf Probleme zu reagieren und Entscheidungen zu treffen, stellt Wunderli heraus und kommt auf sein Koffer-Beispiel zurück: „Die Marketingabteilung kann innerhalb der Applikation eine Nachricht verfassen, dass die Ware aufgrund der Herbstaktion schneller benötigt würde. Der Disponent konnte dann eine alternative Lieferung aus verschiedenen Optionen auswählen, nachdem er die einzelnen begutachtet hat. Beispielsweise war eine Umladung auf ein anderes Schiff aufgrund eines aufkommenden Taifuns nicht möglich, wie aus LTOPEX Tower hervorging. Nach Auswahl der Transsibirischen Eisenbahn als Alternative gab unser Dis- ponent dann Rückmeldung an die Marketingabteilung“, so Wunderli. Auch in den einzelnen Filialen haben die Leiter die ausstehende Kofferlieferung via App verfolgen können, berichtete Wunderli. „Die Lösung stellt einen technologischen Meilenstein dar, der uns Echtzeitinformationen über unseren Warenfluss bietet“, fasst Stefan Goldlücke, Leiter Supply Chain Management Fachmärkte beim MGB, zusammen.
Risiken durch Natur- gefahren berücksichtigt
Ebenso ist ein kartenbasiertes Risikomanagement hinterlegt. So ist ein weltweites Frühwarnsystem für Gefahren höherer Gewalt (Naturgefahren) und deren Wirksamkeit integriert. Dort kann zum Beispiel erkannt werden, wie sich Stürme oder auch eine Trockenperiode wie im Sommer 2018, als die Binnenschifffahrt auf dem Rhein stark beeinträchtigt war, auf die Lieferkette auswirken und wie dem frühzeitig planerisch entgegengewirkt werden kann. (vb)
https://ltopex.migros.net/tower/