Die Stadt Bremen nutzt einen Digitalen Zwilling, um mithilfe von Virtual City Systems Mikroklimasimulationen im Stadtgebiet durchzuführen und auf dieser Basis fundiertere und vorausschauende Entscheidungen treffen zu können.
Städte rücken zunehmend in den Mittelpunkt des Klimawandels, da sie einerseits enorme Mengen an Energie verbrauchen und andererseits einen erheblichen Anteil der weltweiten Treibhausgasemissionen verursachen. Spezifische Bedrohungen für Städte in diesem Zusammenhang können etwa Überschwemmungen aufgrund von häufiger auftretenden Starkregenereignissen oder Überhitzungen durch langanhaltend hohe Temperaturen sein.

Transiente Strömungssimulation eines Bebauungsszenarios mit Ansys Discovery. Foto: Virtual City Systems GmbH
Um angesichts der weltweiten Urbanisierung – und der damit einhergehenden Verschärfung der Problematik – dennoch ein nachhaltiges städtisches Leben ermöglichen zu können, ist es von großer Bedeutung, Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel in den Fokus von Stadtentwicklung und -planung zu rücken. „Entscheidend für die Ergreifung geeigneter Maßnahmen in städtischen Gebieten und künftigen Entwicklungsprojekten ist das Verständnis des Zusammenspiels zwischen der bebauten Umwelt und Umweltfaktoren wie Sonneneinstrahlung und Aufheizungen, steigende Wasserstände oder Windströmungen. Der Einsatz digitaler Werkzeuge im Bereich der Stadtplanung für präventive Simulationen wird daher zu Recht zu einem Standardverfahren“, berichtet Dr. Stefan Trometer, Managing Director bei der Virtual City Systems (VCS) GmbH. Ein Beispiel für technische Innovationen in diesem Zusammenhang seien etwa Digitale Zwillinge, die Entscheidungsträger dabei unterstützen können, fundiertere und vorausschauende Entscheidungen zu treffen.
Detaillierte Mikroklimasimulationen im Stadtgebiet
Diese Mehrwerte haben auch die Stadt Bremen und das hier ansässige Landesamt für Geoinformationen erkannt und daher gemeinsam mit VCS vor einigen Jahren mit dem Aufbau eines Digitalen Zwillings begonnen. Ziel ist dabei unter anderem, das aufgebaute 3D-Stadtmodell für detaillierte Mikroklimasimulationen im Stadtgebiet zu nutzen. „Konkret geht es um die Frage, welchen Einfluss Maßnahmen wie Baumpflanzungen, Bodenversieglungen oder Fassadenbegrünungen auf die klimatischen Verhältnisse in ausgewählten Quartieren der Überseestadt Bremen haben, einem der größten Stadtentwicklungsprojekte in Europa“, berichtet Trometer. Der grundlegende Ansatz war die Verknüpfung der semantischen 3D-Stadtmodellplattform Bremens mit einer 3D-Solarpotenzialanalyse zur Ermittlung der solaren Exposition und einer interaktiven 3D-Wind- und -Wärmesimulation.
Im ersten Schritt wurden dafür in den vordefinierten Berechnungsgebieten verschiedene Bebauungsszenarien mithilfe des VCS-Planungswerkzeugs VC Planner erstellt, die sich in Größe, Form und Anordnung der Gebäude sowie in Art und Beschaffenheit der Freiflächen unterschieden. „Diese Szenarien wurden anschließend samt Vegetationsobjekten mit unserem virtualCAD Exporter aus der interaktiven Webkarte für die Solarpotenzialanalyse exportiert“, so Trometer, der ausführt: „Mithilfe der Solarpotenzialanalyse konnte schließlich die Sonneneinstrahlung in Form der Wärmestromdichte an sämtlichen Geländeoberflächen und Gebäudeflächen für einen typischen Sommertag Ende Juni zwischen 13 und 14 Uhr berechnet werden.“
Visualisierung der Ergebnisse

Visualisierung von Klimasimulationsergebnissen in Form von Temperatur-Differenz-Plots in der VC Map. Foto: Virtual City Systems GmbH
Im nächsten Schritt wurden die Bebauungsszenarien in die Simulationssoftware Ansys Discovery importiert. Mit den solaren Randbedingungen wurde nun eine detaillierte Temperaturverteilung für die unterschiedlichen Szenarien mittels einer zeitabhängigen und an eine thermische Simulation gekoppelten Strömungssimulation berechnet. Hierfür wurden in jedem Zeitschritt die Veränderungen im Simulationsbereich für die physikalischen Größen Temperatur und Geschwindigkeit betrachtet.
Doch wie aussagekräftig sind die erhobenen Daten überhaupt? Und wie wird das geprüft? „Als Bewertungskriterium wurde die Temperaturverteilung in einer Höhe von 1,5 Metern über ein Gitter an Monitoringpunkten im Berechnungsgebiet ausgewertet und so auch in unserer Anwendung VC Map mit den Bebauungsszenarien visualisiert“, so Trometer. Um nun den Einfluss von beispielsweise Bäumen, entsiegelten Flächen oder begrünten Fassaden herauszuarbeiten, wurden Szenarien mit und ohne Veränderung analysiert und ausgewertet. „Durch die Überlagerung der Temperaturverteilung erhält man Temperatur-Differenz-Plots, die den Einfluss aus der Modellveränderung veranschaulichen. So können schon in frühen Planungsphasen solche Effekte konkret und schnell für ein Szenario abgeschätzt werden“, führt Trometer aus. Ausschlaggebend für die Ergebnisse sind die unterschiedlichen baubedingten Schattenwürfe, die zusätzliche Verschattung durch Bäume sowie die prozentuale Reflektion und Wärmeabstrahlung der Gelände- und Gebäudeoberflächen.
Bremer Erkenntnisse
Durch die Bremer Simulationen ist zu erkennen, dass vermehrte Verschattung durch Bäume tendenziell einen Abkühlungseffekt auf das direkte Umfeld hat. Jedoch trägt die Baumbepflanzung ebenso zu einem reduzierten Luftaustausch bei, da der Windfluss gestört wird. „Dies hat einen negativen Rückkopplungseffekt auf die Wärmeverteilung im direkten Umfeld“, erklärt Trometer, der ausführt: „Dieses Beispiel veranschaulicht die komplexen Wechselwirkungen, die für ein solches Szenario zu erwarten sind. Und es wird deutlich, dass nur eine detaillierte Simulation in der Lage ist, diese Komplexität abzubilden.“
Insgesamt tragen Mikroklimasimulationen zu einem besseren Verständnis für die Wechselwirkungen zwischen der bebauten Umwelt und dem umliegenden Klima bei. Der unmittelbare Vergleich von simulierten Szenen hilft darüber hinaus dabei, geeignete planerische Maßnahmen zu ergreifen. „Digitale Zwillinge dienen damit als Werkzeug, um Planungsprozesse vorab zu simulieren, besser zu verstehen und Entscheidungsträger bei klimaadaptiven Maßnahmen durch sachbezogene Daten zu unterstützen“, resümiert Trometer. (jr)