Vermessung und Geoinformationssysteme – das waren in der Vergangenheit nicht nur verschiedene Tätigkeitsgebiete, sondern auch systemisch getrennte Welten. In der Vermessung wurden möglichst genaue Punkte, Linien und Flächen aufgemessen, und das GIS stellte die reale Welt objektorientiert dar und analysierte Sachverhalte auf Basis räumlicher Zusammenhänge. Dass nun beide Welten zunehmend verschmelzen, ist ein in der Geoinformationswirtschaft oft genutztes Narrativ. Doch wie sieht dies konkret aus? Und vor allem: Was nützt es im betrieblichen (Vermessungs-)Alltag? Ein Projekt der DB Engineering & Consulting GmbH (DB E&C) gibt dazu umfassende Antworten. Mobildigitalität und Prozesssehen
Das Tochterunternehmen der Deutschen Bahn AG hat mit dem Start der konzernweiten Digitalisierungsstrategie zu Beginn des Jahres 2019 auch Technologie der frox GmbHaus Dortmund im Einsatz. Das Unternehmen entwickelt und realisiert seit über fünfzehn Jahren Softwarelösungen für die digitale Vermessung und die mobile GIS-Datenerfassung. Im Projekt der DB E&C kommt das digitale Feldbuch „FX Survey“ zur Anwendung. Die Vermessung im Außendienst läuft seitdem vollständig digital qualitätsgesichert. Die DB E&C hat damit das bisherige Vermessungskonzept komplett neu designt. Der Hersteller frox bezeichnet das neue Verfahren mit den Stichworten „Mobildigitalität“ und „Prozesssehen“.
„Mobildigitalität“ bedeutet, dass der Vermessungsprozess komplett in der Örtlichkeit mobil abgebildet wird. Es werden also nicht „nur“ geometrische Daten, sondern auch objektorientierte Sachdaten erfasst. Dazu bildet die frox-Lösung die zu vermessenden Objekte im digitalen Feldbuch in einer einheitlichen Objektstruktur ab. Der Vermesser vor Ort muss dementsprechend alle zu dem Objekt dazugehörigen Geometrie- und Sachdaten regelbasiert und vollständig aufnehmen. „Bei einem einfachen Objekt, wie einem Bordstein beispielsweise, gehören dabei also sowohl die Ober- als auch die Unterkante zu den geforderten Daten“, beschreibt Christoph Babilon von frox das Prinzip. „In der Darstellung des Objektes ist dann sofort sichtbar, ob alle für das Objekt geforderten Einzelwerte vorliegen. Die Visualisierung in ‚FX Survey‘ dient somit zugleich der Qualitätssicherung der Daten, denn Messfehler sind sogleich erkennbar. Die Anwender haben also jederzeit den kompletten Vermessungsprozess im Überblick, daher der Begriff Prozesssehen.“ Eingeschlossen ist die Übergabe der Daten durch den Außendienst an die nachgelagerten Fach- und Zeichenabteilungen.
Diese geschieht auf Basis einer einheitlichen und fest definierten, objektorientierten Struktur. „Dadurch stehen die Daten ohne Nachbearbeitung in einer sehr hohen Qualität zur Verfügung“, beschreibt Andy Kobs, Referent Grundsätze Geodäsie der DB E&C, die Vorteile dieser Arbeitsweise. „Also sozusagen ‚Vermessung meets GIS‘– was in diesem Fall heißt, dass die Umwandlung der analogen Realität in digitale Daten (Vermessung) mit der Beurteilung und Einschätzung der Daten (GIS) vor Ort innerhalb eines Arbeitsvorgangs abgebildet wird.“
Dieser Ansatz der „objektorientierten Vermessung“ bringt verschiedene Vorteile mit sich. Er beschleunigt die Vermessung im Feld und ermöglicht mit den interaktiven Karten des Feldbuchs die Validierung vor Ort, so die Erfahrungen der DB E&C. „Da direkt sichtbar ist, was gemessen wird, werden Rückfragen und unnötige Fahrten zwischen Büro und Projektfläche vermieden, was alleine bereits eine enorme Zeiteinsparung bedeutet“, so Andy Kobs. Zudem sei eine hohe Arbeitsgeschwindigkeit und Performance mit „FX Survey“ möglich. Auch praktische Konstruktionsfunktionen und automatische Bemaßungen tragen zur Effizienz bei.
Systematischer Test als Benchmark
Das digitale Feldbuch mit seiner Digitalisierung der Erfassungsprozesse steht also in unmittelbarer Verbindung mit den Zielen der Digitalisierungsstrategie der Deutschen Bahn. Um die positiven Erfahrungen im ersten Anwendungsjahr mit konkreten Zahlen belegen zu können, hat die DB E&C Anfang 2020 einen systematischen Test durchgeführt. Dieser erfolgte in einem zweigeteilten Projekt für die DB Netz AG und die Stadt Münster. Bestandteil des Projektes ist das Aufmaß der bestehenden Topographie und der Gleisanlagen für den Bau eines 740 Meter langen Überholgleises für Güterzüge in Münster Sudmühle. Die Komplexität der Vermessung lag nach Angaben der DB E&C nicht nur an der Vielzahl von Linienobjekten, wie Gleiskörper, Böschungen, Zäune, Hecken, Wege, Straßenfahrbahnen und Bahnübergängen. Gegenstand der Bestandsaufnahme waren ebenso alle Objekte, die die Baumaßnahme betrafen: Auch die Entwässerung, das Straßenmobiliar, die Gebäude, Höhenpunkte und Grenzsteine wurden erfasst. Zusätzlich erfolgte für die Stadt Münster ein Aufmaß der angrenzenden Siedlungen, Dächer und Grenzsteine für die Ortsumfahrung Sudmühle.
Insgesamt also eine Vielzahl von Aufgaben, bei der eine schnelle Auswahl der jeweiligen Objekte im Feld gefordert war. „Die objektorientierte Erfassung mit ‚FX Survey‘ bietet dabei genau die notwendige Flexibilität“, so Andy Kobs. Um einen exakten Vergleich zu bekommen, hat das Büro Duisburg der DB E&C die Vermessung also zweimal im selben Umfang durchgeführt – zum einen nach dem traditionellen Prinzip (messpunktorientiert über die Vermessungsinstrumente mit den zugehörigen Controllern und einem analogen Feldbuch) und zum anderen auf Basis der frox-Technologie. Zum Einsatz kamen aufgrund der Topographie und der geforderten Genauigkeit die gleichen Leica-Tachymeter.
Ergebnisse des systematischen Tests
Der Außendienst war durch das digitale Aufmaß um 25 Prozent schneller als bei der messpunktorientierten Vermessung und dies bei einer viel höheren Datenqualität und einer objektorientierten Datenbasis. Das spiegelte sich dann in der innendienstlichen Nachbearbeitung wider, in der eine Zeitersparnis von 80 Prozent erreicht wurde. Über den gesamten Prozess gesehen, vom ersten Aufmaß bis zur fertigen Planerstellung, lag die Zeiteinsparung bei 55 Prozent. Der Effizienzzuwachs ist im Profilaufmaß der Linienobjekte am größten gewesen. Mit der interaktiven Karte von „FX Survey“ wählt der Anwender die Objekte direkt aus der Karte aus – ohne in Listen suchen oder Codes eingeben zu müssen. Dies bedeutet ein besseres Handling und eine höhere Geschwindigkeit bei der Vermessung. Hinzu kam als Ergebnis laut Andy Kobs eine hochwertige Dokumentation. Die vermessenen Objekte, Fotos sowie digitalen Skizzen und Notizen können mit der frox-Technologie den Projektbeteiligten und den betreffenden Fachabteilungen direkt nach der Vermessung zur Verfügung gestellt werden. Ein automatisierter One-Push-Export der DB E&C erzeugt bei jedem Aufmaß eine einheitliche Datenstruktur der CAD- und GIS-Daten.
Ausblick
„Primäres Ziel für den Roll-Out des digitalen Feldbuchs mit der Software ‚FX-Survey‘ war der Lückenschluss in der digitalen Wertschöpfungskette der Leistungsprodukte Geodäsie. Aufgrund der Benutzerfreundlichkeit, der qualitativ sehr guten Arbeitsergebnisse und des signifikanten Effizienzzuwachses wird die DB E&C das Feldbuch künftig auch in anderen Gewerken (z.B. Umweltplanung, Abfall und Altlasten oder Geotechnik) deutschlandweit einsetzen“, fasst Andy Kobs die Erfahrungen aus dem umfassenden Test zusammen. (sg)