BMDV und Stadt Hamburg treiben den Einsatz von Digitalen Zwillingen für Brückenbauwerke voran. Ziel ist unter
anderem die Verlängerung der Lebensdauer.
Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) startet in Zusammenarbeit mit der Stadt Hamburg das „Reallabor Digitaler Zwilling“. Grundlage ist das Pilotprojekt smartBRIDGE Hamburg – ein virtuelles Abbild der Hamburger Köhlbrandbrücke. Unter wissenschaftlicher Begleitung soll das Potenzial Digitaler Zwillinge für die Erhaltung und den Betrieb einer Brücke unter Realbedingungen gehoben werden. Von den Digitalen Zwillingen erwartet das BMDV in der Verkehrsinfrastruktur eine vorausschauende und nachhaltige Instandhaltung sowie eine Verlängerung der Lebensdauer von Brücken unter Beibehaltung der Verkehrssicherheit.
Das BMDV verspricht sich von Digitalen Zwillingen von Infrastrukturbauwerken, dass sie aussichtsreiche Methoden ermöglichen, um unsere Verkehrsinfrastruktur besser, effizienter und zielgerichteter zu planen, zu sanieren und zu erhalten. Über Sensoren, die am Bauwerk installiert sind, bekommt das virtuelle Modell bei dem Konzept Echtzeitdaten zu Zustand und Verhalten. Hinzu kommen die Daten aus der regelmäßigen Bauwerksprüfung und -diagnostik. Durch das digitale Zusammenspiel dieser Informationen soll schnell erkannt werden, wie stark die Belastung ist, an welchen Stellen Schäden drohen und wo rechtzeitig instandgesetzt werden muss. So kann schneller reagiert werden, weil das Verhalten der Brücke prognostizierbarer wird.
Reallabor fordert zum Mitmachen auf
Mit dem Start des Reallabors veröffentlicht das BMDV zugleich ein umfassendes Dokument mit dem Titel „Digitaler Zwilling von Brücken“. In enger Kooperation mit der Hamburg Port Authority dokumentiert der Beitrag einen vielversprechenden Ansatz zur vorausschauenden Instandhaltung. Die Basis ist das Pilotprojekt smartBRIDGE Hamburg, das die Potenziale der Digitalisierung anhand der Zustandsbeurteilung der Köhlbrandbrücke erläutert. „Einem interdisziplinären Team aus Bau- und Verkehrsingenieuren sowie IT-Spezialisten ist es gelungen, eine digitale Abbildung der Brücke zu erstellen, die nicht nur aktuelle Zustandsdaten und Befunde, sondern zu erwartende Wartungsmaßnahmen und Risikoeinschätzungen zusammenführt. Das virtuelle Modell ist mit dem realen Bauwerk vernetzt“, meldet das Ministerium. Im Ergebnis kann zum Beispiel auch die Nutzungsdauer der Konstruktionen verlängert werden.
Die Herleitung und Einordnung der Methode, die die Grundlage zur Ausweitung des Digitalen Zwillings auf die Sanierung des gesamten Bundesfernstraßennetzes schaffen möchte, bilden den roten Faden des Dokuments. Dabei arbeitet das BMDV eng mit wissenschaftlichen Einrichtungen zusammen. Etwa 20 deutsche Universitäten und Forschungseinrichtungen werden im Rahmen des Projekts einbezogen.
Das BMDV stellt Interessenten einen kostenfreien Testzugang zum Reallabor bereit. Die Testversion ermöglicht einen interaktiven Einblick in die Funktionsweisen der Methode anhand der Hamburger Köhlbrandbrücke.
Pilotprojekt Nibelungenbrücke in Worms
Unter dem Titel „Digitaler Zwilling – Neue Level der Digitalisierung unserer Infrastruktur“ fand am 24.01.2024 die Onlineveranstaltung des BMDV mit Bundesminister Dr. Wissing und Senatorin Dr. Leonhard (FHH) statt. In der Onlineveranstaltung wurde das Reallabor Digitaler Zwilling durch Bundesminister Dr. Wissing freigeschaltet, das in enger Kooperation zwischen dem BMDV und BIM.Hamburg entwickelt wurde. Die Referenten gaben interaktive Einblicke in die vielversprechende Methode, konkrete Projektbeispiele sowie die Einordnung des Digitalen Zwillings in eine Gesamtstrategie des BMDV.
Professor Dr.-Ing. Gero Marzahn, Leiter des Referats StB 24 Ingenieursbauwerke beim BMDV, stellte im Rahmen der Online-Veranstaltung auch den Digitalen Zwilling der Nibelungenbrücke in Worms vor.
Diese Ikone des deutschen Brückenbaus, der ersten Spannbetonbrücke über den Rhein aus dem Jahr 1953, ist ebenfalls als Entwicklungs- und Testfeld für Digitale Zwillinge definiert. Sie fungiert als Pilotprojekt für eine digital unterstützte Bauwerkserhaltung. Auch hier steht die Frage im Mittelpunkt, wie die Nutzungszeit von Brücken verlängert werden kann, ohne dabei Tragfähigkeit und Verkehrssicherheit zu beeinträchtigen.
Zu diesem Thema gibt es neue Forschungsmethoden, die auf dem Digitalen Zwilling basieren. Dabei wird über den Digitalen Zwilling der Brücke dauerhaft und in Echtzeit der Zustand berechnet. So wird erkannt, wo es sinnvoll, ist die Lebensdauer der Brücke mit kleineren Baumaßnahmen zu verlängern, um die alternde Infrastruktur weiter sicher und wirtschaftlich zu nutzen. Anhand eines detaillierten FE-Modells werden Einflüsse auf Durchbiegungen und Dehnungen infolge variierter Parameter identifiziert. So wird eine prädiktive Instandhaltung durchgeführt. Die Forschung zu den Methoden erfasst, verknüpft und bewertet alle Daten zu Geometrie, Material, Beanspruchung und Alterung. Das Konzept des digitalen Zwillings erlangt in diesem Kontext eine völlig neue Bedeutung.
In dem Projekt wurde deutlich, dass
Bestandsaufnahmeverfahren wie terrestrisches Laserscanning oder Photogrammetrie die Datenlage deutlich verbessern und die Modellbildung unterstützen können. Auch Drohnen tragen zur Automatisierung der Zustandserfassung von Bauwerken bei.
Neu ist auch der Einsatz neuester Sensoren, die eine hochgenaue (3D-)Strukturerfassung kompletter Objekte ermöglichen. Eine entscheidende Rolle spielen dabei digitale optische Systeme (z. B. Laserscanner, Videotachymeter, 3D-Kameras etc.) für die Aufnahme und Überwachung dreidimensionaler Geometrien. Hier liegt der Forschungsfokus auf den verteilten Sensorsystemen zur kooperativen Erfassung und der Erarbeitung von stationären oder mobilen Multi-Sensor-Systemen.
Mittels selbstlernender Algorithmen oder Computer Vision werden aufgenommene Bilder verarbeitet. Die semantischen Informationen werden unter anderem mit Hilfe von bildbasierten künstlichen neuronalen Netzen (KNN) in den Bildern gekennzeichnet.
Laut den Erfahrungen in dem Pilotprojekt gibt es noch deutliche Forschungslücken im Bereich „Digitale Modelle“, die sich in der automatisierten Verarbeitung von heterogenen, analogen Bestandsunterlagen und vor allem in deren Verknüpfung mit den Ergebnissen digitaler Bauaufnahmeverfahren zeigen. Zudem fehlen bisher wissenschaftliche Methoden für die Verarbeitung der relevanten heterogenen Informationen zu Zustandsindikatoren.