Für die NEPTUN WERFT konzipierte Leica Geosystems eine GNSS-Lösung, die den Ausdockvorgang tonnenschwerer Maschinenraummodule absichern soll. Die Herausforderung: Die Position muss in der Bewegung laufend in Echtzeit übertragen werden.
Floating Engine Room Units – im Schiffbau kurz als FERUs bezeichnet – sind die schwimmfähigen Herzstücke der Kreuzfahrtschiffe, für die die Papenburger NEPTUN WERFT bekannt ist. Das zur MEYER Gruppe gehörende Unternehmen fertigt die Schiffskraftwerke, die sowohl die Antriebsenergie für das Schiff liefern als auch dessen Strombedarf decken, allerdings nicht in einem Trockendock an, sondern baut sie oberhalb des Wasserpegels in unterschiedlichen Fertigungshallen. Das bedeutet für den Schiffsbau: Die FERUs müssen einen Höhenunterschied von zwei Metern überwinden, um im Trockendock anzukommen. Dafür kommen sogenannte schwimmende Absenkvorrichtungen (ASV) zum Einsatz.
Wenige Zentimeter entscheidend
Beim Ausdockvorgang wird das FERU zunächst in der Fertigungshalle mit einem Hydrauliksystem hochgehoben. Anschließend gleitet es entlang einer silikonbeschichteten Bahn über Land bis an die Kaikante zur dort im Wasser liegenden ASV. Sobald das Schiff auf die ASV verschoben ist, manövrieren Schlepper den mehr als 40.000 Tonnen schweren Koloss über die 16 Meter tiefe Dockgrube. Dort angekommen wird die ASV zentimetergenau positioniert und so gesichert, dass nur noch das Ab- und Auftauchen möglich ist. Die Tanks werden dann geflutet, sodass die ASV sinkt. Ist dieser Vorgang beendet, schauen von den insgesamt 18 Meter hohen Aufbauten nur noch zwei Meter aus dem Wasser heraus. Sobald ausreichend Wasser auf dem Deck ist, kommt dann das OK für die Schlepperkapitäne, deren Schlepper an Bug und Heck des FERU jeweils fest vertäut werden.
Der gesamte Prozess – das Verschieben des FERU auf die ASV und später auch das Ausdocken der FERU aus selbiger – ist heikel, wie Lars Wegener, zuständig für Vermessung bei der NEPTUN WERFT, erklärt: „Das erfordert Präzisionsarbeit in Echtzeit.“ Der Grund: Weder der Lotse, der oben auf dem FERU steht, noch die Schlepperkapitäne der Absenkvorrichtung können sich an Steuer- oder Backbordseite orientieren. „Der Heckkapitän sieht nur eine große graue Metallwand meterhoch und -breit vor sich aufragen. Beide involvierte Kapitäne müssen dem Lotsen also blind vertrauen. Dieser muss genau wissen, wie die genaue Position des FERU auf der ASV ist, sonst berührt das Maschinenraummodul die Aufbauten und es entstehen Schäden am FERU und der ASV“, stellt Wegener die Situation dar. Insgesamt bleiben Lotse und Kapitänen gerade einmal bis zu 120 Zentimeter Abstand zwischen dem FERU und den Aufbauten des ASV. „Das Ausdocken gleicht dem Gang eines Kamels durch ein Nadelöhr“, so Wegener.
GNSS-Technologie aus dem Tiefbau
Um Schäden zu vermeiden, galt es für die NEPTUN WERFT daher, ein System zu integrieren, das die gesamten Manövriervorgänge sichert. Die Anforderungen an die Positionierung lauteten: Eine Genauigkeit von zwei bis drei Zentimetern bei beweglichem Untergrund. Darüber hinaus musste die Lösung unempfindlich gegen Umweltfaktoren wie Temperaturschwankungen, Wind und Salzwasser sein.
„Eine draht- und funklose Datenübertragung in Echtzeit war für uns ebenso essenziell für den geplanten Einsatz“, sagt Wegeners Kollege Kevin Schemmel. Das Vermessungsteam um Fachbereichsleiter Ralph Zimmermann prüfte verschiedene Anbieter und entschied sich letztlich für Leica Geosystems, mit dessen Vermessungslösungen die MEYER Gruppe bereits seit vielen Jahren arbeitet.
Auf den steuerbordseitigen Aufbauten der ASV wurde so an Bug und Heck jeweils eine Mehrfrequenz-GNSS-Antenne montiert und der dazugehörige Dual-Empfänger Leica iCG80 im Leitstand eingebaut. Ursprünglich ist diese Installation von Leica Geosystems für den Einsatz auf Baumaschinen im Tiefbau entwickelt worden – mit der Anforderung, dass die Lösung nicht nur die genaue Position feststellt, sondern auch die Richtung der Bewegung sehr genau abbildet. Das Konzept eignete sich damit optimal für die von der NEPTUN WERFT gestellte Aufgabe, wie Schemmel feststellt. Auf die Installation der GNSS-Antennen und des Dual-Empfängers folgte eine tachymetrische Aufmessung der relativen Lage der Antennen im Bezug zur ASV. „Das geschah einmalig mittels einer Leica Nova TS60-Totalstation“, beschreibt Wegener. Auf einer der Werfthallen – relativ geschützt und an einem präzise ausgemessenen Festpunkt – wurde zudem noch ein hochpräziser Empfänger in Form einer Leica Viva GS10 installiert. Die Software für die Steuerung der ASV im Leitstand verknüpft die GNSS-Daten, terrestrische und maritime Karten so miteinander, dass die Live- und Prognosedaten zu Bewegungen der ASV und des FERU für alle an der Verschiebung und den Dockvorgängen Beteiligten zur Verfügung stehen.
Erfolgreiche Manöver mit FERU 1396
Das FERU 1396 konnte mithilfe der Leica-Lösung in nur zehn Minuten aus dem Nadelöhr der ASV manövriert werden. Dafür wurden die zwei iCG80-GNSS-Empfänger zunächst auf den eingemessenen Positionen der ASV befestigt und der Empfänger mit dem Leitstand in Betrieb genommen, um das FERU aus der Fertigungshalle auf die exakte Position auf der ASV zu verschieben. Für das Ausdocken des FERU aus der ASV wiederum wurden beide Antennen auf dem FERU montiert. „Um sofort auf Veränderungen reagieren und entsprechende Anweisungen erteilen zu können, haben die Lotsen und Schlepperkapitäne bei beiden Vorgängen Leica CS35-Tablets verwendet, auf denen sie neben den Live- und Prognosedaten auch ganz genau sehen, wie viel sie nach steuer- und backbord steuern müssen, um schadensfrei aus der ASV zu fahren“, erklärt Wegener. Der Fachbereichsleiter fasst das Projekt zusammen: „Wir haben mit dieser Technologie im wahrsten Sinne des Wortes Großes bewegt.“ (vb)