Starkregenereignisse haben seit 2001 einen Schaden von rund 6,7 Milliarden Euro in Deutschland verursacht. Wie soziale Medien bei der Starkregenvorsorge und -prognose helfen können, zeigt eine Untersuchung des Kompetenzzentrums Wasser Berlin und der Berliner Wasserbetriebe.
Einzig ein Schild an der Wand mit der Aufschrift „Hauptbahnhof“ verrät noch, worum es sich hier handelt. Der Boden, die Wände, der Aufzug – alles ist mit braunen Wassermassen bedeckt. Eine junge Frau steht an den Treppenstufen, das Smartphone gezückt. Sie macht ein Bild, lädt es in die sozialen Medien hoch – und steht damit für das, was die Gesellschaft mittlerweile zu einem Großteil ausmacht: Passiert etwas Unerwartetes, Ungewöhnliches oder gar Sensationelles, zückt der Bürger sein Handy und dokumentiert das Ereignis minutiös. Was dabei herauskommt, sind riesige Datenmengen, die nicht nur unterhalten sollen. Im Gegenteil: Die sozialen Netzwerke können auch wichtige Hilfestellungen leisten. Zum Beispiel bei der Starkregenvorsorge und -prognose. Dazu hat das Kompetenzzentrum Wasser Berlin gemeinsam mit den Berliner Wasserbetrieben ein Projekt gestartet, in dem Bilder und Videos aus sozialen Netzwerken zu zwei Starkregenereignissen in Berlin systematisch untersucht und auf Überflutung und Überflutungshöhen ausgewertet wurden.
Gerade das Thema Starkregen gewinnt zunehmend an gesellschaftlicher Brisanz: Rund 11.000 Starkregenereignisse hat der Deutsche Wetterdienst (DWD) in Deutschland seit 2001 gezählt. Nach Angaben des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) entstanden dadurch bundesweit 1,3 Millionen Schäden an Wohngebäuden. Schadensvolumen dabei: Etwa 6,7 Milliarden Euro. Im Schnitt sind das also rund 5.300 Euro pro Schadensfall durch Starkregen, der Spitzenwert eines Einfamilienhauses lag sogar bei etwa 700.000 Euro. Noch schwerer wiegen dabei Schäden an Leib und Leben der Bürger. Es fehlt jedoch bislang an einer systematischen Dokumentation der Vorfälle.
Starkregen und Social Media
Aus diesem Grund und um solche Szenarien in Zukunft bestmöglich verhindern zu können, sind die Themen Starkregen- und Hochwasservorsorge sowie -prognose zunehmend in den Fokus von Stadtverwaltungen, (Ab-)Wasserexperten und Kommunen gerückt. Für das Projektteam bestehend aus Andreas Matzinger, Max Pilger, Pascale Rounault (alle Kompetenzzentrum Wasser Berlin) und Martin Nebauer (Berliner Wasserbetriebe) standen bei der Untersuchung der Social- Media-Beiträge zu den beiden Starkregenereignissen – das eine fand zwischen dem 29. und 30. Juni, das andere zwischen dem 22. und 29. Juli 2017 statt – daher verschiedene Fragen im Mittelpunkt: In welchem Umfang stehen Bilddaten aus sozialen Medien zu Überflutungsereignissen überhaupt zur Verfügung? Wie genau können vorhandene Bilddaten für eine Abschätzung von Überflutungshöhen verwendet werden? Und wie repräsentativ kann eine Überflutungssituation durch Bilddaten aus sozialen Medien abgebildet werden?
Material & Methodik
Das Team suchte dafür zunächst über Schlagworte (beispielsweise „Berlin“, „Starkregen“, „Regen“, „Überflutung“) nach Foto- und Videomaterial auf den Social-Media-Plattformen Facebook, Twitter, Youtube und über die Google-Bildersuche. Dabei wurden ausschließlich Bilddateien für die Untersuchung berücksichtigt, die in Berlin lokalisierbar waren, bereits während des Starkregenereignisses hochgeladen wurden und nicht schon früher im Netz auftauchten. Neben der Ortszuweisung der Bilder stand außerdem die Bewertung der Überflutungshöhe im Fokus der Projektpartner.
Im ersten Schritt wollte das Team um Andreas Matzinger den gefundenen Bilddaten eine Ortsangabe zuweisen. Diese präzise Lokalisierung von Überflutungen stand insbesondere deswegen im Zentrum, weil Starkregenereignisse quasi an jedem Ort in Deutschland die gleiche Wahrscheinlichkeit aufweisen. Während die direkte Lokalisierung der Bilder aufgrund von Urheberangaben in der Theorie durchaus einfach darstellbar ist – die Urheber verorten hierbei ihre Bilder direkt beim Upload –, stellte sich in der Praxis jedoch schnell heraus, dass dies aufgrund der häufig unterdrückten Angabe von Koordinaten durch den Uploader oftmals nicht darstellbar ist. Das Projektteam musste den Bildern in diesen Fällen also manuell eine Ortsangabe zuweisen. Dies geschah über Hinweise auf den Bildern (Buslinien, Straßennamen etc.) unter Zuhilfenahme des Internets, setzte gleichzeitig jedoch einerseits gewisse Ortskenntnisse, andererseits einen hohen Zeitaufwand für die Recherche voraus.
Im zweiten Schritt wollten die Forscher die Überflutungshöhen schätzen. Dies geschah anhand von typischen Referenzobjekten: Auto- oder Busräder, historische Berliner Poller oder Fahrradreifen zum Beispiel. Der Überflutungsanteil eines abgebildeten Referenzobjektes wurde ausgehend von symmetriegebenden Anhaltspunkten (Radmitte, Pollersegmente) bestimmt. Unsicherheiten wurden aus der bekannten Streuung der Höhe der Referenzobjekte und einer geschätzten Fehlertoleranz von 20 Prozent des Überflutungsanteils durch Fehlerfortpflanzung errechnet. Bei Bilddateien und insbesondere bei Videodateien, die mehrere Standorte zeigten, wurden Überflutungshöhen für mehrere Punkte berechnet.
Ergebnisse & Diskussionen
Insgesamt wurden auf diese Weise für die beiden Starkregenereignisse 109 Bilddaten gesammelt. Schwierigkeiten ergaben sich dabei vor allem, weil einerseits die gleiche Bilddatei oftmals vielfach weiter gepostet wurde. Andererseits wurden einige Standorte gleich aus mehreren Winkeln abfotografiert und in die sozialen Netzwerke geladen – für einen Standort gab es also gleich mehrere Motive. Diese Dopplungen mussten zunächst eliminiert werden. Zudem wurden teilweise thematisch passende Bilder früherer Ereignisse hochgeladen und etwa 50 Prozent der Bilddaten waren nicht lokalisierbar. All diese Faktoren berücksichtigt, war die Ausbeute an Bildmaterial aus sozialen Medien, so das Kompetenzzentrum, für die beiden Jahrhundertereignisse eher gering.
Trotz dieser Schwierigkeiten sowie einiger Lücken in der Dokumentation der Starkregenereignisse in Berlin zogen Andreas Matzinger und Co. ein positives Fazit: Im Gegensatz zu anderen Daten – beispielsweise Feuerwehrdaten, (geschätzten) Regendaten, Regengefahrenkarten und -modellen – hätten die Bilder aus sozialen Medien einen direkten Überflutungsnachweis ermöglicht, so das Kompetenzzentrum Wasser Berlin. Somit könnten durch diese Methode einerseits insbesondere für stark betroffene Standorte vergleichsweise detaillierte Überflutungskarten erstellt werden und die Daten andererseits eine Identifikation von Hotspots ermöglichen und eine verbesserte Validierung von Überflutungsmodellen schaffen. Letztere könnten dann, so das Projektteam weiter, vorrangig für die Ursachensuche und die Maßnahmenplanung eingesetzt werden. (jr)