Wie haben sich die Wasserresourcen in den letzten 120 Jahren verändert? Und was passiert, wenn es bis Ende des 21. Jahrhunderts noch einmal zwei Grad wärmer wird als heute? Fragen wie diese beantwortet das globale Wasser-Modell WaterGAP, das maßgeblich vom Institut für Physische Geographie der Goethe-Universität und von der Ruhr-Universität Bochum entwickelt wird. Bislang ließen sich die damit erzeugten Daten nur von Expertinnen und Experten nutzen. Eine neue Web-App ändert das nun. Entwickelt wurde sie von dem französischen Geodaten-Unternehmen Ageoce, das dafür mit der Goethe-Universität kooperierte.
Die Süßwasser-Ressourcen in Deutschland gelangen zunehmend unter Stress. Das liegt nicht so sehr daran, dass sich die Jahresmenge des Niederschlages ändert. Stattdessen hat sich seine Verteilung verändert. Die lange ausgedehnten Trockenphasen nehmen zu. Ebenso gibt es vermehrt Starkregenereignisse, bei denen das meiste Regenwasser oberflächlich abfließt und das Grundwasser kaum gespeist wird.
Einflüsse auf das Grundwasser
Dass Wasser in Deutschland vielerorts zumindest zeitweise knapp wird, hat nicht nur mit den sich verändernden Niederschlags-Mustern zu tun. Es gibt noch zahlreiche weitere Faktoren, die seine regionale Verfügbarkeit beeinflussen: Welcher Anteil des Niederschlags im Winter in den Gletschern und als Schnee gespeichert und erst bei dessen Schmelze wieder freigegeben wird. Wie hoch die Sonneneinstrahlung ist und damit die Verdunstung. Wie bewaldet das betrachtete Gebiet ist (Wälder verschatten den Boden und begünstigen die Einsickerung von Wasser in den Boden, das Kronendach dient darüber hinaus als Wasserspeicher). Aber auch, wie stark die Ressourcen für die Bewässerung landwirtschaftlicher Kulturen, für Viehwirtschaft, Industrie und den Wasserbedarf der Haushalte genutzt werden. Seit 30 Jahren bemühen sich Forschende darum, diese Einflüsse in Computermodellen abzubilden.
Eines der heute weltweit meistgenutzten Modelle heißt WaterGAP. Das Kürzel steht für „Water – Global Assessment and Prognosis“, was sich frei mit „globale Einschätzung und Prognose der Wasserressourcen“ übersetzen lässt. WaterGAP erblickte vor knapp 30 Jahren an der Universität Kassel das Licht der Welt. Seitdem wird das Modell kontinuierlich verfeinert und weiterentwickelt – inzwischen vor allem an der Goethe-Universität Frankfurt und der Ruhr-Universität Bochum.
Modelle wie WaterGAP erlauben es, die Prozesse, die die Wasserverfügbarkeit beeinflussen, per Software nachzustellen. Dadurch können sie räumlich und zeitlich aufgelöste Zeitreihen zu verschiedenen Variablen des Wasserkreislaufes berechnen. Auf diese Weise ist es möglich, für fast jede Region auf unserem Planeten den aktuellen Stand und die historische Entwicklung der Wasserressourcen abzuschätzen, wenn auch mit einer gewissen Unsicherheit.
Freie App für Geodaten
Ageoce ist darauf spezialisiert, komplexe Geodaten so aufzubereiten, dass sie sich in einem ganz normalen Internet-Browser betrachten lassen. Auch die beiden Europa-Karten zur Grundwasser-Neubildung 1980 und 2021 wurden mit dieser „Web-App“ erzeugt. „Wir wollen es Laien ermöglichen, die Entwicklung der Wasser-Ressourcen in den letzten Jahrzehnten nachzuvollziehen“, betont Dr. Guillaume Attard, Geschäftsführer von Ageoce. „Die Philosophie unseres Unternehmens ist es, die Lücke zwischen Forschung und operativer Umwelttechnik zu schließen – beispielsweise indem wir Forschungsdaten so übersetzen, dass jeder sie nutzen kann. WaterGAP ist dafür ein ideales Beispiel.“
In die Zusammenarbeit ist auch die Bibliothek der Goethe-Universität eingebunden: Sie hat kürzlich eine Plattform zur Publikation von Forschungsdaten entwickelt – das Goethe University Data Repository (GUDe). Es steht allen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern offen. „Wir nutzen GUDe, um die Ergebnisse des Modells in strukturierter Weise abzulegen und der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen“, erklärt Hannes Müller Schmied. Der französische Projektpartner kann dann über das Internet darauf zugreifen.
In der Forschung wird WaterGAP nicht nur eingesetzt, um die historische Entwicklung der Wasser-Ressourcen zu untersuchen. Ein besonderes Interesse gilt den Auswirkungen bestimmter Klimaszenarien: „Uns interessieren Fragen wie: Was passiert mit der Verfügbarkeit von Wasser für Mensch und Umwelt, wenn es tatsächlich weltweit 2, 3 oder 5 Grad wärmer wird? Wo bilden sich mögliche Hotspots des Klimawandels aus, die nach vertiefender Betrachtung rufen? Und welche Rolle spielen dabei direkte menschliche Eingriffe z. B. der Bau von Stauseen oder die Wassernutzung durch Haushalte, Landwirtschaft und Industrie?“, sagt Hannes Müller Schmied, Projektmitarbeiter am Institut für Physische Geographie der Goethe-Universität. In der Web-App ist dieser Blick in die Zukunft noch nicht möglich. Vielleicht ändert sich das bald: Der Wissenschaftler plant, Finanzmittel für ein Projekt zu beantragen, in dem die Visualisierungs-Plattform weiter ausgebaut werden soll.