Helsinki ist europaweit einer der Vorreiter bei der Erstellung von 3D-Stadtmodellen. Vor dem Hintergrund ambitionierter klimapolitischer Ziele soll das Modell helfen, CO2 einzusparen. Dafür hat die Stadt gleich zwei 3D-Stadtmodelle parallel erstellt.

Bei einem Mesh-Modell wird aus Punktwolken-Daten ein vermaschtes Datenprodukt erzeugt, dass ein geringeres Datenvolumen hat. Foto: Bentley; City of Helsinki
Fachlich-inhaltlich auf höchstem Niveau, aber trotzdem intuitiv und performant in der Nutzung, das sind zwei Eigenschaften, die bei 3D-Stadtmodellen noch immer nicht innerhalb eines Produktes realisierbar sind. Die Stadt Helsinki verfolgt daher eine Doppelstrategie und hat im Rahmen von Helsinki 3D+ kurzerhand zwei verschiedene Modelle aufgebaut. Die finnische Hauptstadt bezeichnet diese auch als Mesh- und als Informations-Modell. Beide werden als offene Daten veröffentlicht.
Nicht nur mit diesem technologischen Schachzug hat sich Helsinki in eine europaweit führende Position katapultiert, was die Nutzung von 3D-Stadtmodellen angeht. Die Stadt kann auf eine lange Tradition der 3D-Stadtmodellierung zurückblicken, die bis in die achtziger Jahre zurückreicht. Die ehrgeizigen Klimaziele von Helsinki haben die 3D-Strategie nochmals gepusht: 2015 wurde der Plan vorgestellt, bis 2050 eine Co2-neutrale Stadt zu werden. Kürzlich hat die Regierung die Frist sogar auf 2035 verkürzt. Das Modell ist für die Stadt ein wichtiges Tool, um die nötigen Einsparpotenziale zu ermitteln, doch es ist für die Finnen weit mehr als nur ein Klima-Tool. Es soll die internen Dienstleistungen verbessern und intelligente Stadtentwicklung fördern. Um diese Ziele zu erreichen, setzt man konsequent auf offene Daten und stellt das Modell Bürgern, Firmen und Interessierten frei von jeglichen Barrieren zur Verfügung. Somit haben Drittfirmen die Chancen, kommerzielle Anwendungen zu entwickeln – eine Strategie, wie sie beispielsweise in Deutschland bereits von Berlin verfolgt wird.
Das Mesh-Modell
Die Verfügbarkeit von zwei Stadtmodellen erhöht die Möglichkeiten der Nutzung, denn die Datengrundlage ist gänzlich verschieden. Das CityGML-Modell basiert auf GIS-Daten, Punktwolken, Schrägluftbildern und IFC-BIM. Das Mesh benutzt die Luftbilder der jüngsten Befliegung der Stadt. „Es zeigt Helsinki im Sommer 2015, als 50.000 Luftaufnahmen gemacht wurden”, erklärt Projektleiter Jarmo Suomisto.
Die geringere Informationsdichte ist vor allem für Planungen mit weniger großen fachlichen Anforderungen ausgelegt, beispielsweise im Umfeld von Events oder Immobilienplanungen. Während das CityGML im Wesentlichen mit den Lösungen der Berliner Firma virtualcitySYSTEMS GmbH erstellt wurde, wurde das Mesh mit Programmen von Bentley Systems erzeugt. Die Produktfamilie für die „Realitätsmodellierung“ nennt sich ContextCapture und erzeugt die 3D-Produkte mit einem relativ geringen Datenvolumen. „Es ist problemlos möglich, innerhalb des gesamten Stadtmodells auf jedem beliebigen Smartphone sehr performant zu navigieren“, sagt Ted Lamboo, Senior Vice President bei Bentley Systems. Dies soll beispielsweise die Interaktionsmöglichkeiten mit Bürgern verbessern. Sie können im Internet eingeben, wo sie Verbesserungsmöglichkeiten für ihre Stadt sehen. Die Bürgerinteraktionsplattform zeigt an, wo mehr oder weniger Parkplätze oder Parks gewünscht werden. Auf Knopfdruck wird gezeigt, welche Auswirkungen gewünschte Szenarien auf die Stadtumgebung haben. Helsinki 3D+ ist also ein wissenschaftlich fundiertes Planungsspielzeug für Laien und soll so das Verständnis für Zukunftsfragen fördern. Zudem haben Stadtplaner so den systematischen Zugriff auf Rückmeldungen. Auch können sie beispielsweise erkennen, welche Auswirkungen ein geplantes neues Gebäude auf Sichtverhältnisse, den Schattenwurf oder die Lärmausbreitung hat.
Das Semantische Modell

Helsinki im CityGML: Die gesamte Stadt mit 80.000 Gebäuden ist erfasst. Foto: Bentley; City of Helsinki
Das ebenfalls im Jahr 2016 erstellte semantische Modell enthält auch Informationen über die Eigenschaften der einzelnen Objekte, zum Beispiel ein Dachobjekt zur Wärmeisolierung, zum Baualter oder zur statischen Traglast. Dies wird benötigt, wenn zum Beispiel Analysen zur Solarenergie oder dem Wärmebedarf durchgeführt werden. Der Dateninhalt des semantischen Modells wird durch verschiedene Analysen und Simulationen jeweils angereichert.
„Helsinki ist die erste Stadt in den nordischen Ländern, die in ihrem gesamten Gebiet ein intelligentes semantisches Modell entwickelt hat”, sagt die stellvertretende Bürgermeisterin Anni Sinnemäki. Das semantische Modell soll vielseitige Stadtanalysen und -simulationen ermöglichen. Darüber hinaus können die Eigenschaftsdaten des Modells mit Analyseergebnissen in einer Datenbank angereichert werden. „Diese können die gesamte Stadt in Bezug auf Energiequellen, Treibhausgasemissionen oder die Umweltauswirkungen des Verkehrs erfassen“, sagt Projektleiter Jarmo Suomisto vom City Executive Office.
5D-Methode
Derzeit arbeitet die Stadt an nicht weniger als zwölf Pilotprojekten. Ein Highlight ist beispielsweise eine BIM-orientierte Modellierung, die als ein fünfdimensionales Projektmanagement- Tool für die Stadtentwicklung fungiert. Neben den 3D-Entwurfsinformationen werden dabei Dimensionen von Zeit und Kosten bei der Planung hinzugefügt. Damit wendet die Stadt die aus dem Infrastrukturmanagement bekannte 5D-Methode nun auch für die Stadtplanung an und nimmt hier ebenso eine europaweite Pionierrolle für die Adaption von BIM an. Der Open-Data-Ansatz zeigt schon Früchte in der Forschung, beispielsweise bei der Berechnung des Solarpotenzials, was die Stadt bereits für 80.000 Gebäude durchgeführt hat.

Auf Basis des Informations-Modell im CityGMLFormat ist eine erweiterte Analyse entstanden, die das Solarenergieerzeugungspotenzial jeder Oberfläche jedes Gebäudes einschließlich aller Dächer und Außenwände berechnet – insgesamt sind das mehr als 900.000 Flächen. Diese innovative Analyse wurde vom Lehrstuhl für Geoinformatik unter Leitung von Prof. Dr. Kolbe an der Technischen Universität München realisiert.
Minecraft-Modell
Das 3D-Modell soll zum Beispiel auch als Basis dienen, um Helsinki als Minecraft-Modell aufzubauen und so der Gaming-Welt zur Verfügung zu stellen. Man darf gespannt sein, welche weiteren Szenarien per Open Data mit den beiden Modellen noch entwickelt werden.
www.virtualcitysystems.de
www.bentley.com/de
www.visithelsinki.fi/de