Hexagon zeigt, wie ein Digitaler Zwilling von ganz Deutschland erstellt werden könnte und welche innovativen Anwendungspotenziale mit einem solch revolutionären Ansatz einhergehen werden.
Die Industrie hat es vorgemacht: Simulationen und digitalen Zwillinge von Produkten oder Produktionsanlagen schaffen enorme Optimierungspotenziale. Mehr Leistung in kürzerer Zeit mit weniger Kosten, einer schnelleren Planung, weniger Fehlern, längeren Laufzeiten und besseren Umweltbilanzen. Die Öffentliche Verwaltung könnte es nun der Industrie gleichtun, denn Digitale Zwillinge von Städten, Infrastrukturen und Geländeformen schaffen Möglichkeiten, wichtige gesellschaftliche Herausforderungen zu meistern.
Angesichts dieser großen Potenziale stellt sich die Frage: Warum nicht gleich einen Digitalen Zwilling von ganz Deutschland erstellen? Dass die technische und wirtschaftliche Realisierung von solchen Digitalen Zwillingen auch großflächig machbar ist, hat das Unternehmen Hexagon nun gezeigt – bis auf die Ebene von ganz Deutschland. Hexagon, seit jeher ein Schrittmacher für die Entwicklung der Geoinformatik, stellt damit Innovationen höchster Tragweite in den Raum. Doch ist es wirklich sinnvoll, einen Digitalen Zwilling von einem gesamten Land zu erstellen?
Testprojekt auf 8600 Quadratkilometern
Zunächst einmal ist es wichtig, dass Hexagon die Realisation in der Praxis bereits unter Beweis gestellt hat – sowohl technisch als auch wirtschaftlich. Unter der Führung des Bundesamts für Kartografie und Geodäsie (BKG) und in Zusammenarbeit mit dem Landesbetrieb Geoinformation und Vermessung der Freien Hansestadt Hamburg und der Stadt Hamburg wurde ein 8.600 Quadratkilometer großes Gebiet in der Metropolregion Hamburg innerhalb von nur 89 Flugstunden erfasst und auf dieser Basis ein hochauflösender 3D-Datensatz erstellt. Realisiert wurde dieser Digitale Zwilling mit neuester Technologie, einem Single Photon LiDAR-Sensor (Leica SPL 100, siehe Kasten) von Hexagon.
Für jeden Quadratmeter erfasste der Sensor mindestens 42 Punkte mit einer Höhengenauigkeit von deutlich unter 10 Zentimetern. Gleichzeitig wurden auch Luftbilder mit einer Auflösung von 22 Zentimetern aufgenommen. Hochgerechnet auf das gesamte Land bedeutet dies, dass rund 3.700 Flugstunden ausreichen, um alle 357.000 Quadratkilometer zu erfassen. „Je nach Anzahl der eingesetzten LiDAR-Flugzeuge, der Wetterlage und Fluggenehmigungen könnte man einen solchen Vorgang für ganz Deutschland also in rund 24 Monaten umsetzen“, sagt Jürgen Dold, Executive Vice President von Hexagon. In dem Digitalen Zwilling sind aufgrund der Auflösung alle relevanten Objekte erkennbar: Gebäude, Dachaufbauten, Bäume und Büsche, Hochspannungsmasten, und teils Geländeformen unter der Vegetation. Auch Wasseroberflächen und die Topographie von Gewässerböden im Uferbereich werden erfasst, denn der Messbereich des Lasers erreicht nach Angaben von Hexagon fünf bis zehn Meter Wassertiefe.
Nutzen großräumiger Zwillinge
Technologie Single Photon Laser
Hexagon bietet mit dem Leica SPL 100 einen Einzelphoton-basierten Laserscanner für den Einsatz auf Flugzeugen. Er besitzt eine im Vergleich mit bisherigen Airborne Laserscannern höhere Flächenleistung, da er bei großen Flughöhen von bis zu 4.000 Metern eingesetzt werden kann. Die SPL-Technologie (Single Photon Laser) unterstützt die dafür notwendige Sensibilität bei der Erfassung der reflektierten Laserpulse. Der SPL 100 beinhaltet zudem einen für diese Bauart notwendiges, hochleistungsfähiges Navigationssystem (GNSS/IMU) und eine 80 Megapixel RGBI Kamera (RCD30). Aufgrund der eingesetzten grünen Wellenlänge des Lasers (532 nm) ist er auch für bathymetrische Anwendungen geeignet.
Jürgen Dold hebt hervor, dass ein solcher Digitaler Zwilling aufgrund der hohen Auflösung einen zehnmal höheren Informationsgehalt hat als Produkte, die in den letzten Jahren im Auftrag der Bundesländer erfasst worden sind. „Zudem stehen uns Technologien zur Verfügung, Prozesse bei der Datenproduktion und -auswertung effizienter zu gestalten“, so Dold. Ein solcher Datensatz besitzt aber noch weitere wichtigen Eigenschaften. Er ist konsistent und im Vergleich zu bestehenden großräumigen lasererzeugten 3D-Modellen aktuell. Das macht ihn zum Beispiel für den Einsatz von KI so interessant. Analysen mit Künstlicher Intelligenz und Geo-KI sind enorm wichtig, denn es sind die entscheidenden Werkzeuge, um aus der Datenflut nutzbringende Informationen zu gewinnen. „Wir haben Geo-KI für den Datensatz eingesetzt und waren dann erstaunt, wie gut es bereits mit einem geringen Trainingsumfang funktioniert hat, sprich wie viele Gebäude, verschiedene Vegetation oder Infrastrukturelemente identifiziert und klassifiziert werden konnten“, so Dold.
Der Einsatz von Cloud Lösungen könne dies noch erheblich verstärken, etwa um Informationen noch schneller zu erlangen. Man könne bereits in diesem Datensatz erkennen, wie die Vegetation im Umfeld von Stromleitungen wächst, beschreibt Dold ein einzelnes Beispiel stellvertretend für das hohe allgemeine Potenzial, mit hochgenauen und aktuellen Basisdaten, relevanten Fachdaten und analytischen Methoden Vorhersagen zu erstellen. Davon sind einige Anwendungen von höchster gesamtgesellschaftlicher Relevanz, etwa die Sicherung von Versorgungsinfrastruktur oder die Simulation von Hochwasser- und Starkregenereignissen, die mit dem Digitalen Zwilling eine neue Qualität erreiche.
Von der Wichtigkeit der Vegetation für die Beherrschung des Klimawandels einmal ganz abgesehen. So könne man nicht nur flächendeckend Bäume identifizieren und demnach zählen, sondern aufgrund der hochpräzisen Daten sogar das darin enthaltene Volumen der Biomasse. „Für die Waldinventur etwa liegen dort revolutionäre, neue Ansätze“, so Dold. Ebenso können neue Kennzahlen erstellt werden wie etwa das Verhältnis von Gebäudevolumen zu Biomasse für Städte oder bestimmte Regionen, farblich kodiert und intuitiv darstellbar. „Die Generationen, die uns folgen, werden uns dankbar für solche Informationen sein“, so Dold.
Wichtig sei dabei auch, so Dold, dass die Kombination von LiDAR und photogrammetrische Sensoren weitere Vorteile haben. Die kombinierte Auswertung der Daten liefert eine größere Erkenntnistiefe. So hat die Stadt Köln in einem Projekt beispielsweise herausgefunden, dass 20 Prozent mehr an versiegelter Fläche über die kombinierte Auswertung erkannt werden kann.
Prognose für die nächsten 5 Jahre
Vor dem Hintergrund der schnellen Technologieentwicklungen erwartet Hexagon auch entsprechend weitreichende Folgen, die sich für die nächsten fünf Jahre in drei Bereiche unterteilen lassen. Zum einen steigt der Grad der Aktualisierung. „Ich bin überzeugt, dass wir autonom fliegende Drohnen sehen werden, die Digitale Zwillinge in Echtzeit erstellen. Miniaturisierte Sensoren, schnellere Kommunikationstechnologien und kombiniertes Edge- und Cloud-Processing”, berichtet Dold. Der zweite Trend liege in der Steigerung des visuellen Erlebnisses – der Eindruck werde immer realer, intuitiver und detailreicher. Das liegt nicht nur an neuen Visualisierungstechniken wie Virtual- oder Augmented Reality. Im Zuge der Datenfusionierung werden die Digitalen Zwillinge auch vollständiger, Luftbilddaten, terrestrische und Innenraumaufnahmen fließen in einen Digitalen Zwilling zusammen. Und drittens werden die Digitalen Zwillinge interaktiver. So kommen sie beispielsweise bei Training und Ausbildung zum Einsatz. „Es verändert sich die Art, wie wir arbeiten werden“, schließt Dold.