Auf den GeoIT Days der con terra in Münster zeigten Vertreter aus Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft, wie weit die Entwicklung von Digitalen Zwillingen bereits fortgeschritten ist.
Welche wirtschaftspolitische Dimension hat das Thema Digitaler Zwilling in Deutschland? Wie kann die Zusammenarbeit zwischen öffentlicher Verwaltung, Wissenschaft und Wirtschaft in diesem Bereich fruchtbar werden? Und in welche Richtung entwickeln sich Digitale Zwillinge? Selten wurden diese Fragen so umfassend beantwortet wie auf den GeoIT Days der Firma con terra im November in Münster. Hochrangige Vertreter aus allen Bereichen, wie z.B. vom BKG, den Landesvermessungsverwaltungen, der Telekommunikationsbranche, der Deutschen Bahn oder der Energiewirtschaft referierten über das Konzept des Digitalen Zwillings in all seinen Facetten.
Der Begriff Digitaler Zwilling wird derzeit in der Geoinformationswirtschaft häufig verwendet. Als Vorteile werden gesehen, dass DZ die Möglichkeiten bieten, historische Entwicklungen zu analysieren und die Gegenwart besser zu verstehen. Dadurch sind sie auch ein wertvolles Instrument für die Entwicklung von Szenarien, Simulationen und Prognostiken, sie erweitern also den Blick in die Zukunft. Damit sind DZ auch die Weiterentwicklung von Geodateninfrastrukturen (GDI).
In Münster ging es rum die Frage, wie dynamische, fachspezifische Modelle dazu beitragen können, den dringend notwendigen Effizienzschub für Verwaltung, Infrastrukturmanagement und Klimafragen in die Praxis umzusetzen.
Technik und Kultur
con terra hat in der Vergangenheit einige Projekte im Bereich DZ begleitet. Wichtig ist die richtige Perspektive auf das Gesamtthema. „Digitale Zwillinge haben einen technischenUrsprung, aber sie haben immer einen fachlichen Kontext. Die Projekte werden erst dann erfolgreich, wenn man miteinander spricht und intensiv zusammenarbeitet“, sagt Dr. Thore Fechner, Teamleiter bei con terra. Er spricht von Digital Spaces, in denen digitale und physische Ebenen verschmelzen. Analyse- und Planungsprozesse werden beschleunigt und vorhandene Ressourcen effizienter genutzt. Prozesse, Menschen und Kultur sind dabei wichtiger als die reine Technik.
Das Besondere ist, dass die IT-Infrastruktur es heute erlaubt, auch großräumige Digitale Zwillinge zu erstellen, wie z.B. das Land Nordrhein-Westfalen, das gerade im September einen DZ mit Geobasisdaten des gesamten Landes veröffentlicht hat. Das Projekt gilt als eines der derzeit weltweit größten DZ „Der Aufbau eines so großen performanten 3-D-Meshes ist schon was Besonderes“, sagt Fechner. Zum Einsatz kommt neben Esri-Technologie auch FME und map.apps. Dieser Schritt trägt nun weitere Früchte, nicht nur im Hinblick auf die Nachnutzung als Open Data. Kommunen, Behörden oder Industrieunternehmen können auf Basis dieses Landes-DZ eigene, fachspezifische DZ aufbauen.
Fachzwillinge des Landes
Ein weiterer Meilenstein in der technologischen Entwicklung ist die künstliche Intelligenz. Insbesondere die Möglichkeiten der automatischen Objekterkennung, -identifikation und -klassifikation werden von den Experten einhellig als immens eingeschätzt. KI schafft hier ein völlig neues Leistungsniveau und kann für die notwendige Dynamik und Spezialisierung der Zwillinge sorgen, etwa wenn aus reinen Punkt- oder Mesh-Daten Fachdaten zu Bäumen, Straßen oder Gebäuden generiert werden. Thore Fechner erläuterte beispielsweise, wie Versicherungen erstmals in der Geschichte Schäden an Gebäuden großflächig und in kurzer Zeit erkennen und bewerten können. Aber auch Kommunen können, wie Frank Knospe, Abteilungsleiter bei der Stadt Essen, am Beispiel seiner Stadt zeigte, ihren Baumbestand bei Unwetterereignissen (am einzelnen Baum) erkennen oder wie Gefahrenpotentiale an Haupt- und Rettungswegen in Abhängigkeit von der Baumhöhe bewertet werden können.
In Nordrhein-Westfalen zeigen mehrere Projekte, wie aus einem Geobasiszwilling ein Fachzwilling entwickelt werden kann. Zuletzt wurde der DZ Gefahrenabwehr realisiert. Er ermöglicht unter anderem die Simulation von Hochwassersituationen oder Rauchentwicklungen. Auf Knopfdruck können in markierten Gebieten betroffene Einrichtungen wie Schulen und Kindergärten sowie Einwohnerzahlen ermittelt werden. Diese Anwendung ist nicht als Expertensystem konzipiert, sodern soll im Einsatzfall möglichst schnell und einfach all denjenigen helfen, die einen Überblick benötigen und dennoch umfassend informiert sein müssen.
Ein zweiter Fachzwilling wird in Nordrhein-Westfalen für Denkmäler eingerichtet. Hier geht es z.B. um die Frage, inwieweit sich Denkmäler und Windenergieanlagen gegenseitig beeinflussen. Thore Fechner erläuterte, wie im Rahmen des DZ Denkmäler eine Potenzialanalyse für Windenergieanlagen im Bereich der Brühler Schlösser (UNESCO-Weltkulturerbe) durchgeführt wurde. Konkret geht es dabei unter anderem um die Analyse von Sichtachsen und Schattenwurf. Der DZ Denkmal, dessen Geodaten lokal stark verdichtet sind (z.B. durch Drohnenbefliegungen), bietet solche Funktionen als integriertes Werkzeug und liefert unmittelbare Ergebnisse. „Hier zeigen sich die Stärken eines Digitalen Zwillings“, sagt Fechner.
Eine Sichtanalyse auf Basis der DZ wurde auch von der Deutschen Bahn und dem Landesamt für Geobasisinformation Sachsen (GeoSN) vorgestellt. Bei der Neubaustrecke Dresden-Prag wurde für einen Streckenabschnitt in der Nähe des Barockgartens Großsedlitz ebenfalls untersucht, ob die Bahnanlagen gesehen werden. Dies wurde auch im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung genutzt. In diesem Projekt wurden vor allem BIM-Daten der Trasse, der Tunnelanlagen und der Brücken in den DZ integriert. Projektbeteiligte waren GeoSN, DB InfraGO, Esri und con terra. Dieses Beispiel verdeutlicht auch den nächsten Entwicklungsschritt für Digitale Zwillinge. Aus Sicht von con terra ist das derzeit stark an Bedeutung gewinnende Thema die Integration von BIM-Daten im DZ.