Die Verwendung von geographiebasierten Methoden in der Markt-, Sozial- und Wahlforschung ist untrennbar mit dem Unternehmen infas aus Bonn verbunden. Das gilt auch für die Geschichte des Geomarketings.
Das Unternehmen infas360 GmbH feierte im September in Bonn das Jubiläum zu 40 Jahre Geomarketing. Im Jahre 1982 hatte das Schwesterunternehmen infas LT, damals noch unter der Firmierung Lutum + Tappert DV-Beratung GbR, seinen ersten Eintrag im Handelsregister. Damals, in der Frühzeit der Digitalisierung, wurden erstmals digitale Karten für wirtschaftliche und unternehmerische Fragestellungen eingesetzt. Ein berechtigtes Jubiläum also, vor allem, weil das Unternehmen unter Führung von Werner Tappert und Joachim Lutum in den vier Dekaden den Markt mitprägte. Bei genauerem Hinsehen kann man aber die inhaltlichen Wurzeln des Geomarketings noch tiefer verfolgen und dabei kommt man an dem Namen infas in Deutschland nicht vorbei. Genau genommen ist die Gründung des infas Instituts im Jahre 1959 ein entscheidender Meilenstein, das heute noch Form der infas Holding AG und ihren 100-prozentigen Tochterunternehmen besteht, vor allem dem infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft. Aus der bewegten infas-Geschichte heraus, soviel vorweggenommen, gründeten Joachim Lutum und Werner Tappert als ehemalige Mitarbeiter auch ihr Unternehmen.
Bereits in den frühen 1960ern führte infas das Thema Geographie gewissermaßen in die deutsche Sozial-, Politik- und Regionalforschung ein, lange bevor der Begriff Geomarketing erfunden wurde und man die Geographie in Form digitaler Karten als Teilbereich der Information (sprich Geoinformatik) ansehen konnte. Das lag vor allem an den Gründern Wolfgang Hartenstein, Klaus Liepelt und Günter Schubert, die damals modernstes Methodenwissen aus den USA nach Deutschland brachten. Ab 1965 hatte das Institut den Auftrag der ARD, Analysen und Hochrechnungen zu Bundestags-, Landtags-, und Kommunalwahlen in der Bundesrepublik Deutschland durchzuführen. Diese Wahlforschung führte erstmals regionale Bezirke als Ergebnisraster ein. Auch die Umfragen am Wahltag wurden wahlkreisspezifisch ausgewertet. Der neue Ansatz hatte Erfolg und revolutionierte die Bekanntgabe von Wahlergebnissen in den Medien. Bis 1996 wurde infas von der ARD mit dieser Aufgabe betreut.
Geographie und Wahlforschung
Auf die Ursprünge der Wahlforschung lohnt ein genauerer Blick. Wie so häufig gehen die Ursprünge der regional geprägten Wahl- und Sozialforschung auf die USA zurück. Bei der Präsidentschaftswahl 1952, bei der sich der Republikaner Dwight D. Eisenhower und der Demokrat Adlai Stevenson gegenüberstanden, wurden erstmals – initiiert von dem Fernsehsender CBS – Rechner für die Wahlprognose eingesetzt. In Deutschland begannen ARD und ZDF im Jahr 1996 mit diesem Ansatz. Zuvor lagen in Deutschland die Wahlergebnisse erst am Tag nach der Auszählung der Stimmzettel vor.
Die ARD konnte 1965 das ZDF mit seinen Prognosen spektakulär ausstechen. Erste Hochrechnungen am Wahlabend gegen 22 Uhr brachten nicht nur erstmals noch am gleichen Tag computergestützte Hochrechnungen, sie lagen auch sehr nahe am realen Ergebnis und waren weit genauer als die des ZDF, das einen methodisch älteren Ansatz wählte. Ein IBM-Rechner von infas wurde damals mit Daten aus 12 von 248 Wahlkreisen gefüttert und schätzte auf dieser Stichprobe, die gezielt von infas bestimmt worden war (heute würde man non probability sample sprechen), das landesweite Ergebnis.
In den darauffolgenden Jahren kamen Analysen zur Wählerwanderung dazu, wozu infas eine Software nutzte, mit der in den USA Verkehrsströme analysiert wurden. Die „Geographie“ drang immer stärker in die Wahlprognose ein. Im Jahr 1980 nutzte infas die britische Software icon, um damit die statistischen Zahlentabellen grafisch zu visualisieren. Wenig später, genau im Jahr 1982, gab es dann die erste Darstellung von Wahlergebnissen in Form von farblich kodierten Landkarten im deutschen Fernsehen. 1987 kamen dann erstmals anstatt zentralen Großrechnern vernetzte PCs zum Einsatz.
Im Zuge unternehmerischer Verwerfungen kam es bei infas dann aber auch zu wirtschaftlichen Herausforderungen. Der Versuch, die modernen Methoden in die Sozial- und Wahlforschung auch auf die damals aufkommende Marktforschung zu übertragen, war nur zum Teil erfolgreich. Damalige Mitarbeiter wie Werner Tappert und Joachim Lutum machten sich aufgrund damaliger Insolvenzgeschehen selbständig, vor allem, weil sie an das Potenzial des Geomarketings glaubten. Übrigens ging aus dem infas-Nukleus auch das Unternehmen infas Geodaten GmbH hervor, das nach zwischenzeitlichem Verkauf später in die heutige Nexiga GmbH umbenannt wurde.
Die infas Sozialforschung GmbH blieb allerdings erfolgreich und firmierte ab 1998 wieder unter dem ursprünglichen Namen „infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft GmbH“. Neben der Sozialforschung kamen mit der Mobilitäts- und Verkehrsforschung ein wichtiger Umsatzträger dazu.
Im März 2014 kamen dann die Geo-Kompetenzen wieder zurück ins Haus. Innerhalb der infas Holding AG wird die infas360 GmbH mit Sitz in Bonn gegründet. Das neue Unternehmen mit Michael Herter an der Spitze bietet disziplinübergreifende Marketing Intelligence auf Basis einer neuen Kombination aus Geomarketing, Marktforschung und Customer Analytics. Das Unternehmen integriert moderne Small Area Methoden in sein Produktportfolio und migriert stetig zum neuen Themengebiet Data Sciences. Ende 2018 steht dann auch für Werner Tappert und Joachim Lutum die „Rückkehr“ an. Ihr Unternehmen Lutum+Tappert DV-Beratungs GmbH, an deren Spitze sie immer noch stehen, wird von der infas Holding übernommen und 2022 dann in infas LT GmbH umbenannt, wobei „LT“ für Location Technologies steht. (sg)
infas-CEO Menno Smid im BUSINESS GEOMATICS-Interview über das moderne Geomarketing und welche Rolle geobasierte Methoden dabei spielen.