
Menno Smid ist diplomierter Soziologe. Er gibt seit 1995 die Richtung der größten Holding-Tochter (infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft GmbH) vor und führt sie in das multimediale Zeitalter. Foto: infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft GmbH
Welchen Einfluss haben geobasierte Methoden wie Mikrogeographie oder Small Area Methoden auf heutige Markt-, Wahl- und Sozialforschung?
Vielleicht ist es sinnvoll zunächst auf ein aktuelles Problem in der Markt- und Sozialforschung hinzuweisen, um die Bedeutung insbesondre von Small Area Methoden besser einzuordnen. Einerseits benötigen Politik und Wirtschaft immer genauere regionalisierte Informationen aber auch detaillierte Informationen von Subgruppen, beispielsweise in der Armutsforschung. Andererseits stehen diesem zunehmenden Bedarf an detaillierten Informationen überwiegend unveränderte, aber auch zunehmend reduzierte Budgets, vor allem in der Marktforschung, gegenüber. Die Feingliedrigkeit dieser Bedarfe kann mit klassischen Methoden, die allesamt auf direkten Schätzern basieren, nur mit großem Aufwand und einem hohen relativen Standardfehler befriedigt werden. Hier ist die Gruppe der Methoden, die auf indirekten Schätzern basieren im Vorteil und können eine Lösung sein. Allerdings setzt die Anwendung solcher Small Area Estimators gute Kenntnisse in der Statistik und gute regionalisierte und in Subgruppen valide Daten voraus. Auch wenn Fortschritte bei der Güte und dem Zugang regionalisierter Daten zu konstatieren sind, benötigt man dann noch entsprechend ausgebildete Statistiker. Und die sind Mangelware.
Kann das Geomarketings umgekehrt auch von den heutigen Methoden in der Markt- und Sozialforschung profitieren?
Ja, indem die regionalisierten Daten angereichert und kombiniert werden mit Daten aus der Markt- und Sozialforschung. Und dann muss der steinige Weg der Anwendung indirekter Schätzer für relevante Fragestellungen gegangen werden. Der Aufwand lohnt sich!
Die Digitalisierung hat die Marktforschung in den letzten 10 Jahren stark verän-dert. Wie können moderne GIS-Methoden hier unterstützen?
Die Digitalisierung hat die Marktforschung nicht nur verändert, sondern fast bis zur Unkenntlichkeit zerstückelt. Die klassische Marktforschung existiert nicht mehr. Sie ist digital und sie muss agil sein und sehr situationsspezifisch mit besonderen Daten von Subgruppen agieren. Differenzierte Daten in interessanten Subgruppen sind das Kapital der zukünftigen Marktforschung gepaart mit interpretativer Expertise über die Entwicklung der Märkte selbst. Das „Warum“ bei Kaufentscheidungen ist nach wie vor eine zentrale Frage, die nur mit Befragungen beantwortet werden kann. Und hier sehe ich große Chancen auch für die angesprochen statistischen Modelle.
Es gibt derzeit eine große Diskussion rund um die rein internetbasierte Wahlforschung, bei der auch Small Area Methoden eine Rolle spielen. Wie sehen Sie das Potenzial von SMA für das Thema?
Es gibt in den Wahlforschungsdaten ein ganz zentrales Problem: die Rückerinnerung der Menschen ist im Hinblick auf die letzte Wahl stets stark fehlerbehaftet. Wenn Sie die Menschen in guten Zufallsstichproben fragen, was sie bei der letzten Wahl gewählt haben und es mit dem tatsächlichen Ergebnis vergleichen, finden sie dramatische Abweichungen. Diese Rückerinnerung ist aber für die Wahlvorhersage – und das ist immer noch ein zentrales Anliegen der Parteien, zu verstehen, wo sie in der Wählergunst stehen – ein Fundamentalproblem, das auch nicht durch eine internetbasierte Wahlforschung gelöst werden kann. Aus einem einfachen Grund: die internetbasierte Forschung kann keine Zufallsstichproben zu ihrer Grundlage machen. Die Ergebnisse sind also noch schlechter als in der klassischen Vorgehensweise. Das ist der Stand der Forschung und auch ein Dilemma der Wahlforschung. Aber immerhin lässt sich dann trefflich in den Medien über die manchmal sehr unterschiedlichen Ergebnisse spekulieren und das ist möglicherweise auch ein Beitrag zur Meinungsbildung der Wählerinnen und Wähler, die am entscheidenden Tag der Wahl dann doch anders agieren als vorhergesagt. Neuerdings schön nachvollziehbar bei den Zwischenwahlen in den USA. (sg)